An der Hirslanden Klinik Linde in Biel bietet PD Dr. med. Marco Siano onkogenetische Beratungen für Krebspatientinnen und Krebspatienten sowie deren Angehörige an. Seit kurzem arbeitet er exklusiv mit Hirslanden Precise zusammen, dem Kompetenzzentrum für genetische Beratungen und Analysen der Hirslanden-Gruppe. Dadurch kann er alle Schritte einer genetischen Untersuchung – Sprechstunde, Analyse und Befundbesprechung mit Handlungsempfehlungen – aus einer Hand anbieten. Im Interview spricht Dr. Siano über die Bedeutung und den Mehrwert der genetischen Medizin in der Krebsmedizin.

Herr Dr. Siano, was ist die Onkogenetik?

Onkogenetiker befassen sich mit genetischen Veranlagungen bei Krebserkrankungen. In der Schweiz erkranken jährlich über 41’000 Personen an Krebs. Rund fünf bis zehn Prozent der Krebserkrankungen – zum Beispiel bei Brustkrebs, Eierstockkrebs oder Darmkrebs – entstehen aus einer genetischen Veranlagung, sind also vererbt. Liegt bei einer Patientin oder einem Patienten eine erbliche Krebserkrankung vor, besteht nicht nur für sie oder ihn ein erhöhtes Risiko, an weiteren Tumoren zu erkranken, sondern auch für seine oder ihre Verwandten. Vor allem bei den leiblichen Eltern, Schwestern, Brüdern und Kindern. Unsere Arbeit ist es, durch die Analyse genetischer Daten zu ermitteln, ob eine Veranlagung für eine Krebserkrankung in einer Familie vorliegt und welche möglichen Konsequenzen für die Vorsorge oder Therapie daraus resultieren können.

Welche Bedeutung hat die genetische Medizin in der Onkologie?

Die Onkogenetik war während Jahrzehnten eine wenig beachtete Disziplin. Aufgrund der hohen Komplexität wurde ihr vorwiegend an Universitätskliniken oder in grossen Krebs-Zentren Beachtung geschenkt. Heute ist das anders, die Onkogenetik ist im klinischen Alltag von grosser Bedeutung. Wir wissen nun wie wichtig das Wissen aus den Genen einer Person – neben den bekannten Umweltfaktoren – für die Krebsentstehung ist. Es ermöglicht uns eine gezieltere Prävention und Früherkennung durchzuführen. Dies zum Thema des Erbguts des Patienten.

Liegt bereits eine Krebserkrankung vor, kann uns das Wissen über das Erbgut und somit die Genetik des Tumors weiterhelfen, um die wirksamste Therapie zu finden. Bereits heute wird rund die Hälfte der Tumore genetisch untersucht, um sie genau charakterisieren zu können und uns in der Therapiewahl zu unterstützen. Ich gehe davon aus, dass deswegen die genetische Sequenzierung der Tumore in Zukunft massiv zunehmen wird.

Welchen Mehrwert bietet die Onkogenetik?

Der grösste Nutzen besteht darin, dass eine erbliche Veranlagung für Krebs bei gefährdeten Personen und deren Angehörigen bekannt ist. Wenn also beispielsweise eine Frau Trägerin einer genetischen Mutation ist, die zu 60-80 Prozent zu Brustkrebs führt (z.B. die BRCA-Mutation), können wir bereits früher reagieren und intensivierte Screenings durchführen. Wir erkennen den Krebs frühzeitig, was die Prognose verbessern kann. Zudem kann sich die Patientin überlegen ob sie Massnahmen treffen möchte um die Entstehung des Tumors zu verhindern (z.B. die Entfernung des Brustgewebes). Die wichtigen Stichworte hierzu lauten somit Prävention und Früherkennung.

Ein weiterer Mehrwert ist es, dass man mit einer genetischen Analyse ermitteln kann, welches Medikament bei einer Patientin oder einem Patienten maximal wirksam ist. Unwirksame Therapien können von vornherein vermieden werden, wirksame Therapien kommen somit eher zum Zug, was Kosten spart und unnötige Nebenwirkungen für die Patienten verhindern kann.

Wann macht eine genetische Beratung Sinn?

Ein wichtiger Faktor ist das Alter. Sinnvoll ist eine genetische Beratung für Personen, die jung an Krebs erkrankt sind: Bei Brustkrebs vor dem 40. und bei Darmkrebs vor dem 50. Lebensjahr. Beraten lassen sollten sich auch gesunde Personen aus Familien mit gehäuft und insbesondere in jüngeren Jahren aufgetretenen Krebserkrankungen. Empfehlen würde ich eine Beratung auch Patientinnen und Patienten mit einer Krebserkrankung, die bereits bei mehreren Familienangehörigen aufgetreten ist, zum Beispiel mit Brustkrebs, Darmkrebs oder Prostatakrebs. Dann auch für Patienten mit beidseitiger Krebserkrankung in paarigen Organen wie zum Beispiel Brust oder Eierstöcke.

Wie läuft eine genetische Beratung in der Regel ab?

Diese Konsultationen dauern 30 bis 45 Minuten. Ich passe die Beratung individuell auf die Person an, die vor mir sitzt. Schliesslich hat jede Person andere Sorgen und Bedürfnisse. Wir besprechen auf jeden Fall die Familiengeschichte und allfällige Krebserkrankungen innerhalb der Familie. Ein Stammbaum wird erstellt. Besteht eine Konstellation, die für eine Vererbung spricht und somit für ein erhöhtes Risiko, formulieren wir die Fragestellung für die genetische Untersuchung. Die Patientin oder der Patient muss wissen, was genau gesucht wird, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, etwas zu finden und welche Resultate möglich sind. Die Person muss den Rahmen und ihre Rechte kennen, erst dann kann sie für den Gentest einwilligen. Diese Einwilligung muss schriftlich erfolgen. Nach diesem Erstgespräch stellen wir der Krankenkasse ein Gesuch für die Kostenübernahme. Wir haben übrigens auch viele Patientinnen und Patienten, die keine genetische Untersuchung durchführen möchten, aber von Angehörigen dazu angehalten werden, weil sie sich Klarheit wünschen.

Was geschieht, wenn in einer genetischen Analyse ein «Krebs-Gen» entdeckt wird?

Sobald das Resultat der genetischen Untersuchung eingetroffen ist, gibt es ein Nachfolgegespräch mit der Patientin oder dem Patienten. Meine Aufgabe ist es, aufzuklären, was das Resultat bedeutet – auch für die Angehörigen. Wird eine Veranlagung gefunden, mache ich darauf aufmerksam, dass möglicherweise auch anderen Familienmitgliedern eine genetische Beratung nahegelegt werden sollte.

Was hat sich durch die Zusammenarbeit mit Hirslanden Precise verändert?

Es ist gut, dass wir in der Region Biel, dem Seeland und dem Berner Jura, nun alle Schritte einer genetischen Untersuchung anbieten und breit zugänglich machen können: Von der genetischen Beratung über die Analyse bis hin zur Befundbesprechung mit Handlungsempfehlungen. Das ist ein Vorteil für unsere Patientinnen und Patienten. Auch, dass sie wohnortsnah einen Ansprechpartner haben, der ihnen eine hohe Qualität und Systematik anbieten und auf das Netzwerk von Hirslanden und die entsprechenden Spezialistinnen und Spezialisten zurückgreifen kann. Auch niedergelassene Hausärzte und Spezialisten können von diesem Angebot Gebrauch machen. Ich finde vorteilhaft, dass in unserer Region nicht nur ein Angebot in Onkogenetik besteht, sondern auch das Bewusstsein für dessen Wichtigkeit geschaffen wird.

 

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Zweifeln Sie daran, ob eine genetische Untersuchung für Sie sinnvoll ist? Wir unterstützen und beraten Sie gerne: hirslanden.precise@hirslanden.ch / 044 511 39 11