Genetische Beratungen und Analysen sind längst keine Zukunftsmusik mehr. Besonderer Aufschwung und Bedeutung erfährt die genetische Medizin im Bereich Prostatakrebs: Anlässlich des «Movembers» – dem Monat der Männergesundheit – erklärt Onkologe PD Dr. med. Aurelius Omlin, wie genetische Beratungen und Analysen in der Prostatakrebsvorsorge und -behandlung zielführend eingesetzt werden.

Dass Brustkrebs durch Genvarianten vererbt werden kann, ist bekannt. Welche Rolle spielen die Gene bei Prostatakrebs?

Bereits in den 60er-Jahren gab es Hinweise auf Familien, bei denen Prostatakrebs häufiger vorkam als in anderen. Zudem hat die Forschung erkannt, dass das Risiko innerhalb von Familien mit der Anzahl der Betroffenen wächst. Ist zum Beispiel der Bruder erkrankt, dann ist das Risiko für die anderen männlichen Verwandten doppelt so hoch.

Im Jahr 2016 kam es bei der Erforschung von Prostatakrebs zu einem echten Durchbruch: Eine grosse Studie mit über 700 Prostatakrebs-Patienten, bei denen eine fortgeschrittene Erkrankung vorlag, hat nachgewiesen, dass 10 bis 12 % der Fälle vererbt sind und die Betroffenen eine entsprechende, krankheitserregende Genvariante in sich tragen.

Um welche Gene handelt es sich hier?

Das ist spannend: Im Grunde sind es die gleichen Gene, die auch für genetisch bedingten Brustkrebs verantwortlich sind: nämlich BRCA1 und BRCA2. Wobei beim Prostatakrebs meist eine Mutation des BRCA2-Gens vorliegt.

Übrigens: Betroffene Männer haben nicht nur ein erhöhtes Prostatakrebsrisiko, sondern auch ein höheres Risiko an Bauchspeicheldrüsenkrebs, Brustkrebs beim Mann und schwarzen Hautkrebs zu erkranken.

Wie weiss ich, ob ich ein genetisches Risiko für Prostatakrebs habe?

Erste Hinweise über das persönliche Risiko gibt die eigene Familiengeschichte: Wenn die Grossväter, ein Onkel, der Vater oder Brüder in jungen Jahren von Prostatakrebs betroffen waren, ist das ein Zeichen für ein erhöhtes Risiko. Wichtig sind auch Vorkommen von Brustkrebs, Hautkrebs, Eierstockkrebs und Bauchspeicheldrüsenkrebs in der Familie.

Eine genetische Beratung beim Spezialisten oder bei der Spezialistin hilft, das Risiko für Prostatakrebs und andere Krebsarten zu erfassen. Eine Vermutung lässt sich dann mit einem genetischen Test bestätigen oder verwerfen.

Was soll ich tun, wenn bei mir eine auffällige Genvariante nachgewiesen wird?

Familiär vorbelasteten Männern wird bereits ab 45 Jahren eine Prostatakrebs Vorsorge empfohlen. Dazu gehören das Abtasten der Prostata und Bluttests (PSA). Je nach Risiko sollten die Untersuchungen alle 1 bis 3 Jahre wiederholt werden. Bei auffälligem Befund ist eine bildgebende Untersuchung mit einem MRI notwendig.

Mutationsträger entwickeln den Krebs bei einer Erkrankung in der Regel früher und aggressiver. Eine frühe und engmaschige Vorsorge ist daher extrem wichtig. Gute Vorsorge kann Leben retten – das ist noch viel zu wenig bekannt.

Bisher stützte man sich in der Prostatakrebsvorsorge auf den PSA-Wert. Macht diese Vorsorge noch Sinn, oder sollten sich jetzt alle Männer stattdessen genetisch beraten lassen?

Es ist keine Entweder-oder-Situation, sondern man muss sich einfach bewusst sein, dass das Prostatakrebsrisiko genetisch bedingt erhöht sein kann. Bei entsprechender Familiengeschichte kann eine genetische Beratung sinnvoll sein. Ohne Hinweise auf eine familiäre Vorbelastung würde ich die anschliessende Analyse aber nicht empfehlen. Da reichen die normalen Vorsorgeuntersuchungen.

Bei einer familiären Vorbelastung kann sich der Krebs sehr schnell entwickeln. Ich habe zum Beispiel einen Patienten behandelt, der bereits länger mit erhöhten PSA-Werten abgeklärt wurde. In der Familiengeschichte ist auffällig, dass die Mutter des Patienten relativ jung an Brustkrebs erkrankt ist, und dass ein Bruder des Patienten Bauchspeicheldrüsenkrebs hatte. Mit dieser Familiengeschichte sollte bei einem erhöhten PSA-Wert auch bei unauffälligem MRI eine Biopsie der Prostata in Erwägung gezogen werden. Bei diesem Patienten wurde im Verlauf tatsächlich Prostatakrebs diagnostiziert, leider bereits im fortgeschrittenen Stadium und die genetische Untersuchung hat als Grundlage eine krankheitsverursachende BRCA2 Mutation ergeben.

Wird eine genetische Untersuchung von der Krankenkasse übernommen?

Die genetische Beratung ist über die Grundversicherung (KVG) abgedeckt. Wenn aufgrund der Familienanamnese eine genetische Analyse empfehlenswert ist, reichen wir eine Kostengutsprache ein. Für die Argumentation benötigen wir hier einen Stammbaum mit der Familiengeschichte und die persönliche Situation des Patienten. Bei einem gut begründeten Gesuch erreichen wir in der Regel eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse.

Nützt eine genetische Analyse auch noch etwas, wenn bei mir bereits Prostatakrebs diagnostiziert wurde?

Ja, es ist auf jeden Fall sinnvoll, zu erfahren, ob der Krebs genetisch bedingt ist. So können gegebenenfalls auch Angehörige ihr Risiko testen.

Ausserdem können wir heute auch die genetische Disposition des Tumors selbst untersuchen: Verschiedene Therapien wirken besser oder schlechter bei gewissen Tumoren.  Dazu erstellen wir beispielsweise sogenannte Genexpressionsprofile: Wir untersuchen 30 bis 40 aus dem Krebsgewebe und können die Tumore so in aggressive und weniger aggressive Formen einteilen. Dadurch können wir das Risiko besser einschätzen und die Behandlung abstimmen. Ein solches Genexpressionsprofil kann neben PSA, MRI und Prostatabiopsie zusätzliche wertvolle Informationen liefern. Ein erster solcher Genexpressionstest ist seit September 2022 in der Schweiz auch verfügbar.

Was war Ihr bisher grösstes Erfolgserlebnis bei genetischen Analysen?

Wir haben immer wieder echte Erfolge. Vor allem durch die genannten genetischen Untersuchungen am Tumorgewebe. Hier können wir Veränderungen sehen, die neue Therapien, wie zum Beispiel die Immuntherapie, ermöglichen. Bei einem Patienten mit aggressivem Prostatakrebs, wo die gängigen zugelassenen Medikamente keine Wirkung mehr zeigten, konnten wir basierend auf Veränderungen am Tumorgewebe eine Kostenübernahme für eine Immuntherapie erhalten. Die Immuntherapie hat rasch zu einem sehr guten und anhaltenden Ansprechen der Erkrankung geführt.

Weitere Informationen rund um das Thema Prostatakrebs finden Sie unter hirslanden.ch/prostatakrebs. Bei Fragen oder für die Vereinbarung eines Beratungsgesprächs sind wir sehr gerne unter kommunikation@ozh.ch und urologiezentrum.hirslanden@hirslanden.ch für Sie da.

 

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