Das Wissen um den Zusammenhang zwischen angeborenen Genvarianten und Brustkrebs nimmt rasant zu. Letztes Jahr wurden die Schweizer Guidelines für die Empfehlungen von genetischen Beratungen und zur Kostenübernahme von genetischen Analysen im Bereich Brustkrebs deutlich ausgeweitet. Die Medizinische Onkologin und Hämatologin, PD Dr. Nerbil Kilic, hat die 9 häufigsten Fragen ihrer Patientinnen und Patienten zum Thema genetische Untersuchungen anlässlich des Brustkrebsmonats Oktober zusammengefasst.

1. Wann macht eine genetische Beratung im Bereich Brustkrebs Sinn?

Ob ich eine Patientin zur genetischen Beratung überweise, hängt damit zusammen, wie hoch das Risiko einer Mutation tatsächlich ist. Hier hat man in den vergangenen Jahren viel dazu gelernt und daher die Indikationen erweitert:

  • Bisher hat man vor allem Frauen, die schon in jungen Jahren an Brustkrebs erkrankt sind (unter 40 Jahren) oder mehrere direkte Verwandte mit Brustkrebs haben, zur genetischen Beratung geschickt.
  • Gemäss den neueren Schweizer Richtlinien ist eine genetische Beratung und Testung auch dann bereits sinnvoll, wenn eine Frau auf beiden Seiten Brustkrebs hat, eine besondere Histologie hat oder unter mehreren Krebsarten leidet. Auch eine familiäre Häufung von Darmkrebs, Hautkrebs, Bauchspeicheldrüsen- und Prostatakrebs kann auf eine Genmutation hinweisen, die Brustkrebs begünstigt. Ausdrücklich aufgeführt werden aschkenasische Jüdinnen. Sie dürfen sich aufgrund ihres erhöhten erblichen Risikos auch ohne Vorerkrankung genetisch testen lassen.

Grundsätzlich sollte im Zweifel immer eine genetische Beratung durchgeführt werden. Diese wird von der Grundversicherung übernommen. Gemeinsam mit der Genetikerin oder dem Genetiker wird dann entschieden, ob eine Analyse sinnvoll ist. Die finale Entscheidung liegt natürlich bei der Patientin.

2. Muss man zur Überprüfung einer vererbten Mutation gleich einen Gentest machen, oder kann man das familiäre Risiko auch anders feststellen?

Um das erbliche Risiko abzuschätzen gibt es zwar verschiedene Möglichkeiten und Tools, aber erst die Testung gibt das beste Risiko an. Mit den Patienten und Patientinnen führen wir vor jeder genetischen Analyse eine Stammbaumanalyse durch. Das ist gesetzlich so vorgesehen und macht auch Sinn. So kann man das Risiko abschätzen und die infrage kommenden Gene eingrenzen. Wenn die Patientin dann eine Genanalyse wünscht, hole ich eine Kostengutsprache bei der Krankenkasse ein. Die Chancen einer Kostenübernahme für die Untersuchung der gängigsten Gene stehen aufgrund der erweiterten Richtlinien recht gut. Für die genetische Analyse selbst genügt eine Blutuntersuchung.

3. Was genau wird bei einer genetischen Analyse untersucht?

Entscheidet sich eine Frau für eine Analyse im Bereich Brustkrebs, so wird ihr Blut in der Regel auf zwei Gene untersucht: BRCA1 und BRCA2. Sie sind für die meisten erblich bedingten Fälle bei Brustkrebs verantwortlich. Bei den Genen handelt es sich um sogenannte Reparaturgene, die aktiv werden, wenn Krebs entsteht. Sind diese Gene mutiert, können diese Reparaturen nicht mehr stattfinden. Frauen mit einer Mutation des BRCA-Gens wie bei Angelina Jolie haben ein bis zu 80-prozentiges Risiko, irgendwann in ihrem Leben an Brustkrebs zu erkranken, und ein bis zu 50-prozentiges Risiko für Eierstockkrebs. Das Risiko steigt allerdings mit dem Alter und hängt auch von der Familienanamnese ab, also wie häufig diese Krebserkrankungen tatsächlich in der Familie aufgetreten sind.

4. Bei mir wurde bereits Brustkrebs diagnostiziert. Ist eine genetische Beratung und Analyse dann überhaupt noch sinnvoll?

Ja, denn bei einer BRCA-Mutation ist die Wahrscheinlichkeit, auch auf der anderen Seite an Brustkrebs zu erkranken, deutlich erhöht. Auch andere Krebsarten treten häufiger auf. Ausserdem hilft es den Verwandten, ein möglicherweise erhöhtes Risiko zu erkennen oder auszuschliessen. Wenn man weiss, dass man von einer Mutation betroffen ist, kann man entsprechende Präventivmassnahmen einleiten. Die Frauen können auch selbst ihr Risiko minimieren. Ich rate Frauen immer, mit dem Rauchen aufzuhören. Aus Studien wissen wir, dass sich das auch noch lohnt, wenn man bereits an Krebs erkrankt ist. Denn dadurch erhöht sich auch die Verträglichkeit einer Chemotherapie deutlich und die Überlebenschancen steigen.

5. Übernimmt die Krankenkasse die Kosten für eine genetische Beratung und Analyse?

Man muss unterscheiden zwischen der genetischen Beratung und der genetischen Analyse.

  • Die genetische Beratung wird als allgemeine ärztliche Konsultation von der Grundversicherung übernommen.
  • Die Kosten der Analyse sind immer noch ein Tabuthema, das viele Patientinnen verunsichert: Nach der genetischen Beratung hole ich eine Kostengutsprache ein, wenn eine Analyse meines Erachtens wichtig ist und die Patientin dieser zustimmt. Ich sage in der Regel von vornherein, dass wir die Analyse nur machen, wenn die Krankenkasse die Kosten übernimmt. Dann sind die Frauen meist erleichtert. Die Chance, dass die Kosten übernommen werden, sind mit den neuen Swiss Medical Guidelines deutlich höher als früher.

6. Kann man durch eine Genanalyse verhindern, an Brustkrebs oder einer anderen Krebsart zu erkranken?

Ganz verhindern kann man es nicht. Man kann aber das Risiko einer Erkrankung reduzieren und zudem die Vorsorge anpassen, um eine Krebserkrankung früher zu entdecken. Manche Frauen entscheiden sich nach abgeschlossener Familienplanung beispielsweise für eine Entfernung der Eierstöcke. Damit minimiert man das Risiko an Eierstockkrebs zu erkranken von ca. 50 Prozent auf ca. 1 Prozent. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten als eine Operation. Wenn man weiss, dass man eine Genmutation hat, kann man auch zielgerichteter Medikamente verordnen. Die Therapien werden immer individueller.

Generell gilt: Das Brustkrebsrisiko steigt mit dem Alter, dafür sinkt die Sterblichkeit. Je früher Brustkrebs auftritt, desto aggressiver ist er und desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass er vererbt wurde.

7. Welche Konsequenzen hat die Diagnose einer Genmutation? Muss ich mir dann wie Angelina Jolie die Brüste entfernen lassen?

Die Empfehlungen sind sehr unterschiedlich und hängen unter anderem vom Alter ab. Für ein 18-jähriges Mädchen vor der abgeschlossenen Familienplanung sucht man natürlich Alternativen bei der Vorsorge. Diese gibt es auch. Ich hatte einmal eine Patientin, bei der in beiden Eierstöcken eine Vorstufe von Eierstockkrebs gefunden wurde. Sie hat sich daraufhin die Eierstöcke entfernen lassen. Als ich ihr bei der genetischen Beratung sagte, dass sie alleine damit schon ihr Krebsrisiko drastisch gesenkt hat, war sie sehr erleichtert und hat sich gegen eine Entfernung der Brust entschieden.

Man muss bei der Beratung sehr feinfühlig vorgehen. Eine genetische Beratung kann sehr verunsichern, aber – wie in diesem Fall – auch sehr erleichtern. Ärzte sollten bei der Beratung nicht nur auf die Zahlen und Risiken schauen, sondern müssen sich auch intensiv mit der Lebenssituation der Patientin und ihren individuellen Wünschen und Bedürfnissen auseinandersetzen.

8. Was passiert, wenn ich nach der Beratung keine genetische Analyse machen lasse?

Man kann auch nur aufgrund der Beratung das theoretische Risiko ermitteln und dennoch Massnahmen beschliessen, wie zum Beispiel die Prävention und den Lebensstil anpassen, um den Ausbruch einer Krebserkrankung zu minimieren. Ganz wichtig sind eine ausgewogene Ernährung, Bewegung und nicht zu rauchen. Neuere Studien haben wieder bewiesen, dass Bewegungsmangel verschiedene Krebserkrankungen begünstigt und kanzerogene Noxen wie Tabak und Alkohol vermieden werden sollten. Eine Genanalyse kann man immer noch zu einem späteren Zeitpunkt durchführen.

9. Angenommen bei mir wird eine Mutation festgestellt. Reicht es dann, wenn sich nur die weiblichen Familienmitglieder auf die Mutation untersuchen lassen?

Nein. Auch die männlichen Nachfahren und Geschwister sollten sich beraten und testen lassen, denn wir wissen, dass auch bei männlichen Genträgern das Risiko für Brust-, Bauchspeicheldrüse-, Darm- und andere Krebsarten deutlich erhöht ist. Bei bis zu 30% der Prostatakrebspatienten wurden Mutationen im BRCA-Gen gefunden. Insbesondere BRCA2-Mutationen finden sich häufiger beim Prostatakrebs. Die neuen Swiss Medical Guidelines von 2021 empfehlen daher auch eine genetische Beratung, wenn in der Familie gehäuft oder in frühen Jahren Prostatakrebs auftaucht und ihr Verlauf besonders aggressiv ist.

Brustkrebs ist nach wie vor der häufigste Krebs bei Frauen weltweit und in der Schweiz. Etwa 6300 Frauen erkranken in der Schweiz jedes Jahr daran. Die Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu erkranken, steigt mit dem Alter und ist um die 60 Jahre am höchsten. Zunehmend entwickelt sich bei immer mehr jüngeren Frauen Krebs in der Brust. In diesen Fällen spielt häufig die Genetik eine Rolle und das Krebsrisiko ist familiär erhöht. 5 bis 10 Prozent der Fälle sind erblich bedingt und durch eine Genmutation ausgelöst. Bei den unter 45-Jährigen sind es sogar 15 Prozent. Dank erfolgreicher Forschung und neuen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Genetik werden die Diagnostik immer besser und es kommen immer mehr zielgerichtetere und personalisiertere Therapien auf den Markt, sagt die Onkologin PD Dr. Nerbil Kilic. Viele Möglichkeiten bei der Prävention von Brustkrebs und anderen Krebsarten seien jedoch noch kaum bekannt.

 

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