Eine genetische Beratung und Analyse bieten für Prävention und Therapie völlig neue Möglichkeiten, sagt die Chefärztin des Check-up Zentrums Hirslanden, Dr. Anna Erat. Neben der Krebsvorsorge werden mittels Genmedizin vor allem auch Risiken im Bereich Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht.
Frau Erat, Sie sind Chefärztin und Sportmedizinerin im Check-up Zentrum. Was machen Sie genau?
Ich setze mich für Menschen ein, die ihre Gesundheit nicht dem Zufall überlassen möchten. Unsere PatientInnen setzen sich mit ihrem Körper und ihrer Gesundheit auseinander und wollen ihre Lebensqualität optimieren. Sei es als SpitzensportlerIn, hochbelastete Person oder im Wechsel von Lebensabschnitten.
Basierend auf klinischem und genetischem Wissen entwickeln wir individuell auf den Ratsuchenden oder die Ratsuchende abgestimmte Präventionsmassnahmen, die die Gesundheit und Lebensqualität optimieren sollen.
Genetische Untersuchungen gehören heute zu einer zielgerichteten und wirksamen Prävention klar dazu. Kann man das so sagen?
Ja – das kann man so sagen. Gerade wenn in der Familie gewisse Krankheiten wie plötzlicher Herztod im jungen Alter, gewisse Krebserkrankungen oder erbliche Stoffwechselerkrankungen bei Kindern aufgetreten sind, kann eine genetische Untersuchung lebensrettend sein. Heute werden beispielsweise viele erbliche Stoffwechselerkrankungen durch das routinemässig durchgeführte Neugeborenen-Screening vermutet und durch die Genetik dann bestätigt.
Bekannt sind genetische Untersuchungen vor allem aus dem Bereich der Krebsvorsorge. Genetische Vorsorgeuntersuchungen mit Fokus auf Herz-Kreislauferkrankungen nehmen aber stark zu. Für wen machen sie Sinn?
Eine genetische Beratung macht für jede Person Sinn, die sich für die eigene Gesundheit interessiert und wissen möchte, welche Risiken sie oder er aufgrund der Familiengeschichte in sich tragen könnte. Die sogenannte Stammbaumanalyse zeigt auf, welche genetischen Analysen sinnvoll sind. Zusätzlich gibt es krankheitsspezifische Fragebögen, beispielsweise für genetisch bedingte zu hohe Cholesterinwerte, die aufzeigen, ob eine Veranlagung vorhanden ist.
Ich bin aber auch Sportmedizinerin – daher gerne noch ein Beispiel aus dem Sport: Eine sportmedizinische Untersuchung macht man, um die Risikofaktoren vor allem auch im Bereich Herzkreislauf zu erheben. Wir schauen beispielsweise, ob in der Familie Hinweise eines verdickten Herzmuskels oder Rhythmusstörungen vorhanden sind (Hypertrophe Herzmuskelkrankheiten bzw. Brugada syndroma). Vor der Wettkampfsaison führen wir bei Athleten wie FussballspielerInnen und SchiedsrichterInnen eine sportmedizinische Untersuchung nach Swiss Olympic durch, einem Dachverband mit rund zwei Millionen Sporttreibenden in der Schweiz. Ergibt sich durch die Befragungen und Untersuchung ein Verdacht auf erbliche Herzkrankheiten, können wir dann durch eine genetische Analyse rasch die Diagnose bestätigen und entsprechende Massnahmen einleiten. Dadurch können wir im besten Fall einen plötzlichen Herzstillstand oder Herztod auf dem Fussballfeld, wie wir ihn bei Christian Eriksen gesehen haben, vermeiden. Sie erinnern sich sicherlich: Der Däne brach bei der EM 2020 mit Herzstillstand zusammen und musste wiederbelebt werden. Mittlerweile hat er einen Defibrillator (ICD) implantiert bekommen. Es gibt aber auch Sportler, die auf dem Platz gestorben sind. Und natürlich gilt dieses Risiko nicht nur für Profis, sondern auch für Hobbysportler, die einen erblich bedingt verdickten Herzmuskel haben.
Was sind die häufigsten genetischen Untersuchungen, die Sie vornehmen lassen und mit welchem Ziel?
Wie gesagt, untersuchen wir häufig die genetischen Risiken im Bereich Herzkreislauf- und Krebserkrankungen. Bei einer erblich bedingten Verdickung des Herzmuskels (Hypertrophe Kardiomyopathie, kurz HCM) können wir die Beschwerden gut behandeln und auch schwere Komplikationen wie einen plötzlichen Herztod vermeiden. Ähnlich ist es bei vererbten Herzrhythmusstörungen, wie kongenitale Long-QT. Das ist eine erblich bedingte Herzrhythmusstörung, die zum plötzlichen Herztod führen kann. Das sogenannte Brugada-Syndrom ist ebenfalls eine familiär bedingte Herzrhythmusstörung, die aber durch ein anderes Gen ausgelöst wird.
Es gibt auch erbliche Erkrankungen des Bindegewebes wie etwa das Marfan Syndrom, das unter anderem das Herz und die Blutgefässe betrifft. Die Folgen können zum Beispiel ein Aortariss sein. Durch eine genetische Analyse und die daraus folgende präzisere Diagnose können wir Veränderungen rechtzeitig erkennen und behandeln. Dazu müssen regelmässige interdisziplinäre Untersuchungen stattfinden. Mit den richtigen Massnahmen können Betroffene mit diesen Krankheiten leben. Prävention kann Leben retten!
Können Sie ein Beispiel aus Ihrer Praxis geben, bei dem eine genetische Untersuchung tatsächlich jemandem das Leben gerettet hat?
Ich erinnere mich gut an einen Athleten, der aufgrund eines familiär bedingt verdickten Herzmuskels (HCM) bereits mehrere plötzliche Herztode in der Familie hatte. Durch einen implantierten Defibrillator (ICD) konnten wir vermutlich sein Leben retten.
Ein anderes Beispiel: Bei einigen PatientInnen mit familiär bedingtem zu hohem Cholesterinspiegel (Familiäre Hypercholesterinämie), besteht eine Unverträglichkeit auf übliche Cholesterinsenker, sogenannte Statintherapien. Wenn wir also wissen, dass die Cholesterinwerte erhöht sind und der Patient eine genetisch bedingte Unverträglichkeit auf Statine aufzeigt, können wir die Cholesterintherapie optimieren und starke Nebenwirkungen wegen einer Statin-Unverträglichkeit vermeiden.
In der Schweiz haben etwa vier Prozent der Menschen Diabetes – Tendenz steigend. Jeder fünfte Erwachsene hat einen zu hohen Blutdruck. Würde sich die Häufigkeit dieser Volkskrankheiten dank genetischer Untersuchungen verkleinern lassen?
Für die Entstehung von Volkskrankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck ist der Lebensstil sehr entscheidend, aber das Risiko steigt durchaus mit einer familiären Vorbelastung.
Eine noch stärkere Rolle der genetischen Medizin sehe ich allerdings bei der Optimierung der Therapie zur Behandlung der Folgen und Spätfolgen. Hier kann das Wissen aus genetischen Analysen unnötige Komplikationen vermeiden. Wie eben am Beispiel des erhöhten Cholesterinspiegels erklärt, sind auch einige Medikamenten-Unverträglichkeiten genetisch bedingt. Wenn man die Gene kennt, weiss man genau, welche Medikamente man aussuchen oder wie man sie optimal einsetzen kann. Dieses spezifische Feld, bei dem es um die Medikamentenwirksamkeit geht, nennt sich Pharmakogenetik.
Spannend! Letzte Frage: Haben Sie selbst auch schon eine genetische Untersuchung für sich durchführen lassen?
Da wir in der Familie eine Krankheit haben, die auch genetisch bedingt sein kann, habe ich in der Tat eine genetische Beratung in Anspruch genommen und anschliessend eine genetische Untersuchung durchführen lassen. Zum Glück habe ich die krankheitsverursachende Variante nicht. Das ist jetzt eine enorme Entlastung. Bei einer genetischen Vorbelastung hätte ich präventive Massnahmen getroffen.
Zu hohe Cholesterinwerte?Testen Sie hier mittels einfachem Fragebogen die Wahrscheinlichkeit für genetisch bedingte, zu hohe Cholesterinwerte. |
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