Viele Krebsarten, wie Brust-, Eierstock-, Darm-, Magen- und auch Bauchspeicheldrüsenkrebs können vererbt werden. Genetische Analysen ermöglichen nicht nur eine gezieltere Prävention, sondern verbessern auch die Behandlungsmöglichkeiten enorm, sagt der Onkogenetiker PD Dr. Marco Siano. Viele Krebsarten können bei spezifischen, genetischen Veränderungen dank zielgerichteter und neuer Immuntherapien viele Jahre lang in Schach gehalten werden.

Kann man durch genetische Analysen eine Krebserkrankung verhindern? Die Untersuchung ändert ja nichts daran, dass jemand ein „Krebs-Gen“ in sich trägt.

Gute Frage. Verhindern kann man eine Krebserkrankung natürlich nicht, ausser man entfernt noch vor einer Erkrankung direkt das gesamte Organ zum Beispiel Brust, Eierstöcke oder Dickdarm. Kennt man jedoch das ‚Krebs-Gen‘ das man in sich trägt, so weiss man auch, welche Tumorart wie wahrscheinlich auftreten wird und kann den Vorsorgeplan entsprechend anpassen. Lassen Sie mich ein Beispiel machen: BRCA-Gen-Trägerinnen haben über das ganze Leben hinweg eine 60- bis 80-prozentige Wahrscheinlichkeit, Brustkrebs zu entwickeln und eine 20- bis 40-prozentige Wahrscheinlichkeit, Eierstockkrebs zu erleiden. Daher beginnt man nicht erst mit 40 Jahren oder gar später mit regelmässigen Mammographie-Untersuchungen, sondern bereits mit 25 oder 30 Jahren. So entdeckt man einen Tumor im besten Fall, bevor er fortgeschritten ist oder gar Ableger gebildet hat. Die genetische Analyse verhindert also nicht das Risiko einer Erkrankung, erhöht aber die Chancen einer frühzeitigen Entdeckung und damit einer Heilung.

Wer kommt zu Ihnen in die Praxis?

Das ist sehr unterschiedlich:

  • Oft werden mir Patientinnen zugewiesen, die bereits Krebs haben, und bei denen eine Konstellation vorliegt, die darauf schliessen lässt, dass der Krebs familiär bedingt sein könnte. In diesem Fall überprüfen wir den Verdacht mit einer genetischen Analyse. Ist diese positiv und liegt somit eine Genveränderung vor, erklären wir den Betroffenen, dass auch ihre Familienangehörigen die Möglichkeit einer genetischen Analyse haben sollten und davon profitieren könnten. Entweder um frühzeitig Präventionsmassnahmen einzuleiten oder damit sie erleichtert sein können, weil keine Genveränderung vorliegt.
  • Dann gibt es Patienten und Patientinnen, bei denen einer oder mehrere Angehörige oder Angehörige in jungen Jahren erkrankt sind und die daher selbst kommen oder über den Hausarzt zur genetischen Abklärung zugewiesen werden. Insgesamt sind zum Beispiel beim Brustkrebs nur etwa zehn Prozent der Krebsfälle familiär bedingt. Die anderen sind „sporadisch“, also zufällig entstanden.

Was deutet auf eine familiäre Häufung hin?

Zum Beispiel eine Krebserkrankung in sehr jungen Jahren. Es gibt aber auch spezielle Arten von Krebs, die aufhorchen lassen. Hier lohnt es sich auf jeden Fall, nach einer Genmutation zu suchen. Ohne solche Hinweise „wild“ zu testen, lohnt sich nicht. Wer dennoch einen Test machen will, kann das auf eigene Kosten natürlich tun. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass man ein „Krebs-Gen“ findet, ist gering.

Wie gehen Menschen mit der Nachricht um, dass sie eine Genvariante in sich tragen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Krebserkrankung führen könnte? Ist das nicht belastend?

Auch das ist sehr unterschiedlich. Manche wollen ihre Gene nicht kennen und glauben, dass eine Krebserkrankung Schicksal ist. Andere wollen schon wegen ihrer Nachkommen wissen, ob es eine genetische Vorbelastung gibt. Ich würde sagen, dass die meisten schon einsehen, dass es wichtig ist, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Aber natürlich ist man nicht gezwungen sich testen zu lassen. Es gibt auch ein Recht auf Nicht-Wissen. Vor jedem Test ist eine genetische Beratung vorgeschrieben, bei der wir erklären, ob ein Test sinnvoll ist und was die Konsequenzen sind. Wenn man nichts findet, haben die Patienten immerhin Gewissheit und können beruhigt die normalen Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen. Wenn man doch etwas findet, sollte man besondere Versorgemassnahmen ergreifen und auch die Nachkommen darüber informieren. Denn sie können die Genmutation mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent geerbt haben.

Was ändert sich, wenn man ein oder gar mehrere „Krebs-Gene“ entdeckt?

Dann werden für die entsprechende Tumorart besonders engmaschige Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt: Bei männlichen Patienten mit einer BRCA-Mutation wird die die Prostata zum Beispiel bereits ab 40 Jahren mit einem PSA-Test überwacht. Bei Frauen startet man in diesem Fall z.B. früher mit regelmässigen Mammographien.

Auch ein Bauchspeicheldrüsenkrebs kann genetisch bedingt sein. Dabei kann es sich um das gleiche Gen, das auch Prostata- und Brustkrebs auslösen kann handeln. Wir sehen immer wieder Fälle, bei denen wir diese Genvarianten bei Bauchspeicheldrüsenkrebs identifizieren und daraufhin Familienangehörigen eine Testung empfehlen. Umgekehrt sehen wir Genträger, bei denen verdächtige Knoten auf der Bauchspeicheldrüse frühzeitig erkannt werden. Bauchspeicheldrüsenkrebs macht im Anfangsstadium keine Beschwerden und wenn man ihn dann entdeckt, ist es oft schon zu spät. Deswegen ist dies sehr relevant.

Macht eine genetische Abklärung überhaupt noch Sinn, wenn ich bereits an Krebs erkrankt bin?

Das hat mich letztens eine Patientin auch gefragt. Ich sagte „ja“ – und zwar aus verschiedenen Gründen: Erstens, ist das Risiko einen zweiten Tumor zu erleiden, natürlich da. Ausserdem können auch die Nachkommen die Genmutation in sich tragen. Eine Abklärung kann ihnen die nötige Sicherheit bieten, dass sie kein erhöhtes Risiko haben oder zeigen, dass eine engmaschige Betreuung wirklich sinnvoll ist.

Aber auch für die Therapieauswahl spielt die genetische Analyse eine ganz wichtige Rolle: Bei Patienten und Patientinnen mit einer metastasierenden Erkrankung können wir manchmal nicht sagen, wo der Krebs seinen Ursprung hat. Anhand der gefundenen Mutationen gelingt es uns dann diesen genauer zu charakterisieren. Dies ermöglicht auch eine gezielte und korrekte Behandlung.

Nicht zuletzt ist eine genetische Analyse auch für die Therapiewahl mittlerweile sehr wichtig, ja sogar zwingend geworden. Je nach Tumor kann vorausgesagt werden, ob eine klassische Chemotherapie oder moderne, zielgerichtete Therapien nur mit Tabletten am besten wirken. Ohne genetische Analyse wissen wir häufig nicht, ob die Medikamente, die wir verschreiben, wirklich wirken. Das macht ökonomisch Sinn, da man unwirksame Therapien vermeidet, zudem aber auch eine höhere Überlebenszeit und bessere Lebensqualität.

Wie viel grösser sind die Überlebenschancen nach einer genetischen Analyse?

Das ist extrem unterschiedlich. Bei Lungenkrebs beträgt die durchschnittliche Überlebenszeit mit klassischer Chemotherapie im Schnitt 12 Monate. Bei Vorhandensein gewisser Gen-Veränderungen, können gezielte Therapien das Überleben auf bis zu 50 Monate verlängern. Bei fast allen Tumorarten fahnden wir mittlerweile mittels genetischer Analysen nach der bestmöglichen Therapie. Die Wirkungsunterschiede sind teils frappant und sensationell.

Hinzu kommen die Möglichkeiten der neuen Immuntherapien. Auch für die gibt es genetische Untersuchungen, die uns sagen, wer am ehesten auf die Therapie anspricht oder eben nicht. Ein Paradebeispiel ist der fortgeschrittene schwarze Hautkrebs. Früher starben die Betroffenen innerhalb von drei bis sechs Monaten. Heute können diese Menschen dank einer Immuntherapie im Schnitt zehn Jahre lang ihren Hautkrebs kontrollieren und ein normales Leben führen. Im besten Fall gewinnen Patienten durch die Genanalyse Jahre. Dank der Genanalyse identifizieren wir Patienten mit anderen Tumorarten, die ebenfalls gut auf die Immuntherapie ansprechen können.

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