Im Interview erklärt Prof. Sabina Gallati, weshalb sich Leistungssportler genetisch untersuchen lassen sollten und welche Risiken sie dadurch ausschliessen können. Sie gibt Auskunft, wie eine genetische Untersuchung abläuft, welche Vorteile diese mit sich bringt und wo genetischen Testungen Grenzen gesetzt sind.

Frau Gallati, sollte sich ein Leistungssportler genetisch untersuchen lassen?

Wenn in der Familie des Sportlers jemand an einer Herzkrankheit gelitten hat, empfehle ich eine genetische Untersuchung auf jeden Fall. Darüber hinaus sind auch vorbeugende genetische Untersuchungen möglich, beispielsweise, bevor jemand in den Leistungssport einsteigt. Dazu zähle ich die Abklärung von koronaren Herzerkrankungen aufgrund der familiären Hypercholesterinämie (hohe Cholesterinwerte), von Bindegewebserkrankungen und von gewissen metabolischen Krankheiten, die einen Leistungssportler stark einschränken würden.

Wie muss man sich eine solche Untersuchung vorstellen?

Das A und O bei genetischen Untersuchungen ist die individuelle Beratung vor und nach einem Test. Diese ist auch gesetzlich vorgeschrieben. In der Beratung wird die persönliche Anamnese und diejenige der Familie aufgenommen. Wir besprechen mit dem Sportler, welche Tests Sinn machen würden. Ob er diese dann durchführen möchte oder nicht, kann er selbst entscheiden. Sind in seiner Familie Leute betroffen, sollten noch vor dem Sportler diese sogenannten «Indexpatienten» untersucht werden.

Was bedeutet das?

Ein Indexpatient ist die Person, bei welcher als erstes eine bestimmte Krankheit identifiziert wird. Wenn es sich um eine genetische Erkrankung handelt, wird versucht, die krankheitsverursachende Genveränderung zu finden. Einerseits, um eine sichere Diagnose zu stellen und wenn möglich eine gezielte Therapie anbieten zu können. Und andererseits, um weiteren Familienangehörigen zuverlässig vorhersagen zu können, ob sie ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben oder nicht. Können wir den Indexpatienten nicht untersuchen, machen wir beim Sportler eine Analyse ins Blaue hinaus. Oder anders gesagt: Finden wir bei ihm keine genetische Veränderung, wissen wir nicht, ob er tatsächlich nichts hat oder ob wir die falschen Gene angeschaut haben. Finden wir hingegen beim Indexpatienten eine pathogene Genvariante und beim Sportler nicht, wissen wir, dass der Sportler kein familiär bedingtes erhöhtes Risiko hat.

Welche Vorteile bringen solche Untersuchungen mit sich?

Gibt es eine krankheitsverursachende Genvariante in der Familie, können wir eine hundertprozentige Aussage machen, ob der Sportler diese Mutation geerbt hat oder nicht. Beim Nachweis der Variante können frühzeitig entsprechende Präventivmassnahmen oder eine geeignete Therapie eingeleitet werden.

Wo sehen Sie die Grenzen genetischer Tests?

Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, wir wissen noch lange nicht alles. So ist es möglich, dass man unter Umständen keine klare Antwort erhält. Sei es, weil man eine Variante findet, deren Bedeutung man noch nicht genügend kennt, oder sei es, dass man keine pathogene Variante findet, welche die fragliche Krankheit erklären könnte. Es verbleibt somit immer ein Restrisiko, etwas verpasst zu haben, weil wir es noch nicht kennen. Finden wir nichts, können wir anbieten, die Daten in zwei bis drei Jahren erneut zu evaluieren, da man dann in der Forschung bereits wieder weiter ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man dann in etwa der Hälfte der Fälle etwas findet.

Auch der Sportmediziner Walter O. Frey sagt (siehe Interview), es gebe keine hundertprozentige Sicherheit für Athletinnen und Athleten – trotz regelmässigen sportmedizinischen Interviews, Untersuchen und Ruhe-EKGs. Könnten genetische Testungen diese «Sicherheitslücke» schliessen?

Man kann damit die Lücke kleiner machen, aber ein Nullrisiko gibt es für niemanden im Leben. Wir können immer nur für eine bestimmte Fragestellung eine hundertprozentige Aussage machen. Es bleiben aber immer noch viele Risiken. Wichtig ist jedoch, die hohen Risiken so gut wie möglich auszuschliessen.

Bieten Sie auch genetische Testungen für Sportler an, die wissen möchten, ob sie beispielsweise die richtigen «Ausdauer-Gene» haben?

Nein, wir bieten nur genetische Untersuchungen an, die eine medizinische Indikation haben, also für die Gesundheit relevant sind.

Was möchten Sie Sportlerinnen und Sportlern auf den Weg mitgeben?

Sie sollten bei allem Leistungssport – dem wir ja sehr viel Bewunderung entgegenbringen – ihrer Gesundheit unbedingt Sorge tragen.

Weitere Beiträge zum Thema:

«Sport ist für ein gesundes Herz das Medikament der Wahl», Interview mit Dr. Walter O. Frey, Sportmediziner und Chefarzt von Swiss-Ski.

 

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