Ein kleines Gerät kann chronische Schmerzen lindern. Der «Schmerzschrittmacher» hemmt die Weiterleitung der Schmerzsignale zwischen Rückenmark und Gehirn und gilt als sichere und effektive Behandlungsmethode. Neurochirurgin und Schmerzspezialistin Dr. med. Petra Hoederath von der Hirslanden Klinik Stephanshorn erklärt, in welchen Situationen sich eine Neurostimulation lohnen kann.

Inwiefern kann die Neurostimulation bei chronischen Schmerzen helfen?

Dr. med. Petra Hoederath: Schmerzsignale werden übers Rückenmark an das Gehirn gesendet. Die Neurostimulation kann diesen Prozess mittels Stromimpulsen beeinflussen. So können die Schmerzen vielfach wesentlich reduziert werden.

Welche Komponenten braucht es für die Stimulation?

Dr. med. Petra Hoederath: Grob zusammengefasst, sind es drei Elemente. Da sind einerseits Elektroden, die auf die Haut des Rückenmarks aufgelegt werden. Hier gibt es zwei Varianten: Stab- und Plattenelektroden. Die Stabelektroden lassen sich zwar minimalinvasiv einlegen, verrutschen aber auch eher. Wir arbeiten deshalb fast ausschliesslich mit Plattenelektroden, die während eines kleinen Wirbelsäuleneingriffs in einem kurzstationären Aufenthalt implantiert werden. Das zweite Element ist der «Schmerzschrittmacher» – auch Impulsgeber genannt. Dieser wird im unteren Bauch oder im Gesässbereich chirurgisch unter die Haut implantiert. Das dritte Element ist ein kleines Gerät, etwa in der Grösse eines Smartphones, mit dem der Patient die Impulse später kontrollieren, steuern und sogar stoppen kann. Die meisten Patienten haben dieses Gerät stets bei sich. Es gibt aber auch Patienten, die so zufrieden mit der Einstellung sind, dass sie sie nie verändern müssen und folglich auch das Handbedienungsgerät nicht immer bei sich tragen.

Bei welchen Leiden kommt Neurostimulation in Frage?

Die Neurostimulation kommt bei Nervenschmerzen zum Einsatz. Der Grossteil der Neurostimulations-Patienten hat vor dem Eingriff bleibende Rücken- und Beinschmerzen nach Operationen. Doch auch bei Patienten mit einem Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom, neuropathischen Schmerzen nach Amputationen, Durchblutungsstörungen oder diabetischer Polyneuropathie kann diese Behandlung Linderung bringen.

Ist die Neurostimulation die letzte Hoffnung für Schmerzpatienten?

Kommt ein Patient zu mir in die Sprechstunde, wird in einer ausführlichen Schmerzanamnese und Untersuchung erst einmal der gesamte bisherige Behandlungsverlauf inklusive Medikamentenanamnese angeschaut. Hier gibt es meist noch viele Möglichkeiten, die Schmerztherapie zu optimieren. Wenn die medikamentösen und konservativen Behandlungsansätze ausgeschöpft, die Einschränkung gross und der Leidensdruck des Patienten hoch ist, kann die Neurostimulation durchaus eine interessante Option sein. Wichtig ist, dass die Patienten auch psychisch stabil sind. Jeder Patient wird deshalb ambulant unserem Psychiater aus dem Schmerzteam vorgestellt.

Warum ist die psychische Stabilität für diesen Eingriff so entscheidend?

Obwohl man es natürlich hofft, ist es wenig realistisch, dass ein Patient dank Neurostimulation komplett schmerzfrei wird. Realistisch ist eine signifikante Schmerzreduktion. Selbst im Fall eines Behandlungserfolgs bleibt es also wichtig, dass der Patient weiss, wie er mit den Schmerzen umgehen und leben kann. Zudem besteht die Gefahr, dass die Behandlung nicht anschlägt. Das geschieht zwar sehr selten, doch wenn dies der Fall ist, muss der Patient mit dieser Enttäuschung umgehen können. Auch deshalb ist es wichtig, dass die Patienten psychisch stabil sind, bevor wir diesen Prozess beginnen.

Wie läuft die Behandlung ab?

Eignet sich ein Patient für diese Behandlungsform und haben wir ihn im interdisziplinären Schmerzboard (weitere Informationen unten in der grauen Box) als geeigneten Patienten indiziert, gibt es zuerst eine Testphase, während der überprüft wird, ob die Neurostimulation tatsächlich die gewünschte Wirkung erzielt. Dazu wird in einem kurzstationären Aufenthalt die Plattenelektrode auf die Rückenmarkshaut aufgelegt und dann an der Faszie der Rückenmuskulatur fixiert. Die Elektrode wird dann an eine Verlängerung angeschlossen, die aus der Haut in der Flanke (seitliche Bauchregion) austritt. Diese Verlängerung wird anschliessend mit einem externen Stimulator verbunden. Während des rund viertägigen Spitalaufenthalts wird die Neurostimulation täglich überprüft und angepasst. Anschliessend dürfen die Patienten für einige Tage nach Hause, um die Neurostimulation unter realen Alltagsbedingungen zu testen.

Das Schmerzboard

Im Schmerzboard der Klinik Stephanshorn in St.Gallen versammeln sich wöchentlich Spezialisten verschiedener Fachdisziplinen (z.B. aus der Neurochirurgie, Rheumatologie, Psychiatrie, Physikalischen Medizin, etc.). In diesem Rahmen besprechen sie komplexe Krankheitsgeschichten und legen die für die Patienten am besten geeignete Therapie fest und leiten diese anschliessend in die Wege. Der Einbezug verschiedener Fachspezialisten ermöglicht eine breit abgestützte Therapieempfehlung.

Was geschieht nach der Testphase?

Die wichtigste Frage ist, ob die Schmerzreduktion mehr als 50 Prozent beträgt. Wenn dem so ist, setzen wir den Neurostimulator in einem zweiten ambulanten Eingriff unter die Haut.

Wird ein Neurostimulator auf die Bedürfnisse des Patienten eingestellt?

Absolut. Schon während des Spitalaufenthalts testen die Medizintechniker gemeinsam mit mir die verschiedenen Programme. Sind die passenden Einstellungen gefunden, kann der «Schmerzschrittmacher» entsprechend programmiert werden. Mit einem kleinen externen Gerät kann der Patient später zwischen den Programmen wählen und die Intensitätsstufe in einem limitierten Rahmen erhöhen oder reduzieren. Grössere Veränderungen geschehen in Absprache mit dem zuständigen Arzt.

Fühlt man den «Schmerzschrittmacher» unter der Haut?

Ja, der «Schmerzschrittmacher» ist ein Fremdkörper, den man spürt, wie zum Beispiel einen Herzschrittmacher. Selbstverständlich platzieren wir das Gerät aber an einem Ort, an dem es den Patienten am wenigsten stört, wie beispielsweise im unteren Bauch oder im Gesässbereich. Natürlich gibt es gewisse Einschränkungen bei extremen Bewegungen. Aber ich habe auch Patienten, die immer noch tauchen, reiten, klettern und bisher nie Probleme hatten.

Welche Vorteile bringt die Neurostimulation?

Neben der Schmerzreduktion streben wir immer auch die Reduktion der Schmerzmedikamente an. Die meisten Patienten können die Schmerzmedikamente deutlich reduzieren oder sogar stoppen. Es gibt aber auch Fälle, in denen Schmerzreduktion mit der Stimulation in Kombination mit den Medikamenten erst optimal eingestellt sind. Zudem kann die Neurostimulation die Lebensqualität deutlich verbessern. Viele Patienten schlafen dank der Neurostimulation viel besser, was wiederum zu einem gesteigerten Wohlbefinden führt.

Birgt diese Behandlungsform auch Risiken?

Grundsätzlich ist die Komplikationsrate niedrig, dennoch kann es, wie bei jedem Wirbelsäuleneingriff, zu Komplikationen wie Infektionen, Thrombosen, Nachblutungen oder Nervenverletzungen kommen. Das ist jedoch höchst selten. Im Gegensatz zu Plattenelektroden können Stabelektroden zudem verrutschen und so zu Komplikationen führen. Materialbruch oder Hardwarefehler sind sehr selten. Ebenfalls eher selten gewöhnt sich der Körper an die Impulse, wodurch die Wirkung verloren gehen könnte. Dieses Risiko ist mit der neuen Generation Neurostimulatoren aber vernachlässigbar.

Kann der «Schmerzschrittmacher» auch wieder entfernt werden?

Wenn die Behandlung nicht mehr benötigt wird, kann der Impulsgeber in einer ambulanten Operation relativ leicht wieder entfernt werden. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Patient keine Schmerzen mehr verspürt und das Stimulationssystem deshalb nicht mehr benötigt oder aber dann, wenn es trotz Re-Programmierungen nicht mehr den gewünschten Erfolg bringt. Anders sieht es bei den Plattenelektroden aus, diese wachsen in der Regel in das Gewebe ein. Da die Patienten die Plattenelektroden weder spüren noch fühlen können und sie auch sonst keine negativen Auswirkungen haben, ist es nicht weiter problematisch, wenn diese drinbleiben.

Wer übernimmt die Kosten für eine Neurostimulation?

Diese Behandlung wird über die Grundversicherung gedeckt. Es empfiehlt sich aber trotzdem, dass der Arzt eine Kostengutsprache bei der Krankenversicherung oder Unfallversicherung einholt.

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