In der Schweiz erkranken pro Jahr 4 000 bis 5 000 Menschen an Dickdarmkrebs. Im Interview spricht  Prof. Dr. med. Christoph Maurer, Belegarzt an der Hirslanden Klinik Beau-Site in Bern und Leiter des Magendarmzentrums Aare in Solothurn, darüber, weshalb für Patienten mit Darmkrebs ein chirurgischer Eingriff unerlässlich ist und wie viel von unserem Dickdarm wir mindestens benötigen, damit dieser einwandfrei funktionieren kann.

Herr Prof. Dr. Maurer, oft ist die Rede von «Darmkrebs»: Ist damit der Dickdarm- oder der Dünndarmkrebs gemeint?

Prof. Dr. med. Christoph Maurer: Spricht man von Darmkrebs, ist eigentlich immer von Dickdarmkrebs die Rede. Der Dickdarmkrebs ist die dritthäufigste Krebsart in der Schweiz (die häufigste Krebsart ist Brustkrebs bei der Frau / Prostatakrebs beim Mann, gefolgt von Lungenkrebs). Eine Erkrankung an Dünndarmkrebs stellt hingegen eine grosse Seltenheit dar.  

Was sind die Ursachen von Dickdarmkrebs?

Prof. Dr. med. Christoph Maurer: Dickdarmkrebs entsteht in 97 % aller Fälle auf dem Boden von gutartigen Darmpolypen. Dabei handelt es sich um Wucherungen der Schleimhaut. Diese zunächst noch kleinen Gewächse können langsam über die Jahre zu grösseren Polypen anwachsen und entarten. Das heisst, sie können sich praktisch alle zu bösartigen Tumoren entwickeln. Es dauert 5-7 Jahre, bis sich eine kleine Polypenknospe zu einem bösartigen Polypen entwickelt. Wir sprechen hier von der Adenom-Karzinom-Sequenz. Nur selten – in lediglich 3 % aller Fälle – entsteht Dickdarmkrebs direkt aus aspektmässig normaler Schleimhaut.

Die Adenom-Karzinom-Sequenz und die Wichtigkeit von Vorsorgeuntersuchungen

Wissenschaftler bezeichnen die Entwicklung vom gutartigen Polypen (Adenom) zu Krebs (Karzinom) als Adenom-Karzinom-Sequenz. Damit sich Adenome nicht zu bösartigen Tumoren entwickeln, werden diese nach Möglichkeit im Rahmen einer Dickdarmspiegelung (Koloskopie) festgestellt und rechtzeitig entfernt. In über 90 % aller Fälle liesse sich mit einer rechtzeitigen Darmspiegelung ein Dickdarmkrebs verhindern. Deshalb sind Darmspiegelungen als Vorsorgeuntersuchung so wichtig.

Welches sind die Symptome von Darmkrebs?

Prof. Dr. med. Christoph Maurer: Das häufigste Symptom sind Veränderungen der Stuhlgewohnheiten. Das heisst, jemand, der früher regelmässig am Vormittag einmal Stuhlgang hatte, hat plötzlich mal keinen Stuhlgang, dann dünnen Stuhlgang und am nächsten Tag fünfmal hintereinander Stuhlgang. Auch Blut im Stuhl sowie Schleimabgang können Zeichen für Darmkrebs sein. Erst später, wenn der Krebs lokal fortgeschritten ist, kommen auch Symptome wie Schmerzen oder Krämpfe hinzu. Symptome sind meist Ausdruck, dass sich bereits Krebs gebildet hat und es sich nicht mehr um einen gutartigen Polypen handelt.

Wer ist am häufigsten von Darmkrebs betroffen?

Prof. Dr. med. Christoph Maurer: Zu der Risikogruppe gehören Menschen ab 50 Jahren. Die genetische Veranlagung stellt den grössten Risikofaktor dar. Menschen, bei welchen Darmkrebs oder andere Krebskrankheiten in der Familie gehäuft vorkommen, müssen gut vorsorgen. Nebst der genetischen Veranlagung kann auch Rauchen oder Übergewicht Darmkrebs begünstigen. Ausserdem haben Menschen, die regelmässig d.h. mehrmals pro Woche rotes Fleisch – speziell vom Grill – konsumieren, ein höheres Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, als Menschen, die wenig rotes Fleisch essen oder bevorzugt Geflügel oder Fisch konsumieren.

Meine Stuhlgewohnheiten haben sich verändert oder ich habe Blut im Stuhl entdeckt. Wie gehe ich nun vor?

Prof. Dr. med. Christoph Maurer: Das kommt auf das Alter an: Jemand, der bereits 50 Jahre alt ist und in seinem Leben noch nie eine Darmspiegelung hatte, sollte unbedingt diese Untersuchung zeitnahe vornehmen lassen. Mit keinem anderen Diagnostik-Tool entdeckt man Darmkrebs heute besser als mit der Spiegelung, bei der man gleichzeitig die Möglichkeit hat, zu biopsieren – sprich Gewebeproben zu entnehmen und auf Krebs zu testen. Blut im Stuhl tritt nicht nur im Zusammenhang mit Darmkrebs auf, sondern kann auch auf Hämorrhoiden, kleine Gefässmissbildungen (sog. Angiodysplasien) oder Divertikel hinweisen. Der erste Schritt für die Patienten ist der Gang zum Hausarzt, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

Wie erfolgt die Diagnose bei Darmkrebs? Welche Tests werden gemacht?

Prof. Dr. med. Christoph Maurer: Zur Diagnose der Krebserkrankung wird eine Dickdarmspiegelung durchgeführt. Von verdächtigen Veränderungen können so Gewebeproben entnommen und eine Krebserkrankung festgestellt werden. Kleinere Dickdarmpolypen können während einer Darmspiegelung gleich entfernt werden.

Viele Patienten haben Angst vor der Darmspiegelung. Ist diese schmerzhaft?

Prof. Dr. med. Christoph Maurer: Üblicherweise erhalten Patienten für die Darmspiegelung ein kurz wirkendes Schlafmittel (Propofol). Dadurch sind die Patienten entspannt und verspüren keine Schmerzen. Auch das Abtrennen von Polypen schmerzt nicht.

Der Patient erhält die Diagnose Darmkrebs. Wie geht es für ihn weiter und wie stehen die Heilungschancen?

Prof. Dr. med. Christoph Maurer: Zuerst muss der Dickdarmkrebs in das Stadium seiner Ausprägung eingeteilt werden. Dazu wird eine Computertomographie (CT) vom Brust- und Bauchraum veranlasst. Eine zusätzliche Magnetresonanztomographie (MRI) ist nur bei Tumorsitz im Enddarm, dem untersten Dickdarmabschnitt, notwendig. Die Behandlung von Dickdarmkrebs richtet sich nach der Lokalisation und dem Stadium des Tumors. Die wichtigste Behandlungsmethode ist nach wie vor der chirurgische Eingriff, denn der befallene Darmabschnitt – inklusive angrenzende Darmabschnitte zwecks Einhalten eines Sicherheitsabstands – müssen entfernt werden. Auch potenziell befallene Lymphknoten in der Umgebung des Darmkrebses werden dabei entfernt. Je nach Grösse des Tumors erfolgt die Dickdarmoperation durch einen offenen Bauchschnitt, mit der minimalinvasiven Laparoskopie-Technik (Schlüsselloch-Chirurgie) oder mit Hilfe des Da Vinci-Operationsroboters. Bei den beiden Letzteren ist es möglich, durch kleine Hautschnitte in den Bauchraum einzudringen, was schlussendlich auch zu einer kürzeren Genesungszeit beiträgt.

Wird der Krebs früh entdeckt, ist die Chance gross, dass sich der Tumor komplett entfernen lässt und eine Langzeitheilung erfolgt. In solchen Fällen reicht in der Regel ein chirurgischer Eingriff – es braucht weder eine Chemotherapie, noch im Falle eines Enddarmkrebses eine Radiotherapie (Bestrahlung). Dies ist aber lediglich der Fall, wenn der Krebs noch nicht gestreut hat und lokal noch nicht weit fortgeschritten ist.

Wie sieht die Behandlung aus, wenn sich bereits Metastasen in anderen Organen gebildet haben?

Prof. Dr. med. Christoph Maurer: Fernmetastasen, also Tumorableger, die auf dem Blutweg in Leber oder Lunge entstanden sind, sollten wenn immer möglich ebenfalls vollständig entfernt werden. Sollten Fernmetastasen primär nicht entfernbar sein, kann dies nach vorgängiger Verkleinerung durch Chemotherapie gelingen. Denn mit der heutigen Chemotherapie ist es möglich, rund 40 % der primär inoperablen Lebermetastasen sekundär doch zu entfernen. Dies ist für die Langzeitprognose entscheidend. Deshalb ist eine kontinuierliche enge Zusammenarbeit zwischen Onkologie und Chirurgie so wichtig.

Wann braucht es nach der Dickdarmoperation einen künstlichen Darmausgang?

Prof. Dr. med. Christoph Maurer: Befindet sich der Tumor ganz unten im Enddarm (Mastdarm), kann es sein, dass bei der Dickdarmoperation der befallene Darmabschnitt zusammen mit dem analen Schliessmuskel entfernt werden muss. In diesem Fall kann die Stuhlkontinenz nicht erhalten werden, sondern es muss ein endgültiger, künstlicher Darmausgang anlegt werden. Bei hochspezialisierter Ausbildung und entsprechender Erfahrung des Chirurgen kann aber in 95 % aller Fälle mit Enddarmkrebs der Schliessmuskel erhalten bleiben, und zwar ohne onkologische Kompromisse, was natürlich sehr viel zur Lebensqualität des Patienten beiträgt.

Bleibt der Schliessmuskel bei der Enddarmoperation erhalten, befindet sich die Darmnaht nahe am After. Diese delikate Naht erfordert die Anlage eines temporären künstlichen Darmausgangs. Dadurch wird die Naht entlastet und kann besser heilen. Nach 6-12 Wochen kann dann der künstliche Darmausgang wieder rückgängig gemacht, also verschlossen, werden. Dann entleert sich der Stuhlgang wieder über den After.

Krebserkrankungen des End-/Mastdarms

In 35-40 % aller Darmkrebsfälle ist der Mastdarm (auch Enddarm genannt) betroffen. Grund dafür ist, dass toxische Substanzen in der Nahrung (z.B. Nitrosamine im grillierten roten Fleisch) im Enddarm am längsten liegen bleiben. Durch die lange Einwirkungszeit gerät der normale Regenerationsprozess der Schleimhaut  ausser Kontrolle und es entstehen Polypen und schliesslich Krebs.

Welche Komplikationen können bei der Operation auftreten?

Prof. Dr. med. Christoph Maurer: Wie bei jeder Operation können allgemeine Komplikationen wie beispielsweise eine Nachblutung oder ein Wundinfekt entstehen. Ist die Naht zwischen den beiden Darmenden, die wieder zusammengesetzt werden müssen, nicht dicht, kommt es zu einer Bauchfellentzündung, welche dann meistens eine weitere Operation notwendig macht. Die durchschnittliche Rate an Darmnahtleckagen beträgt in der Schweiz 7 %. Nebst der Senkung dieser Rate unter 1 % hat ein ausgewiesener und erfahrener Chirurg gelernt, bei seinen Patienten mit Enddarmkrebsoperation die Nerven für die Harnblase und die Sexualorgane zu schonen. Störungen der Harnblasenentleerung oder Sexualfunktion nach der Operation sollten somit heute eher die Ausnahme sein.

Wie geht es nach dem Eingriff für die Patienten weiter?

Prof. Dr. med. Christoph Maurer: Üblicherweise bleiben die Patienten 4-8 Tage lang in stationärer Behandlung. In den ersten Tagen ernähren sie sich von Tee, Suppe, Zwieback und Brei. Danach ist leichte Vollkost erlaubt. Nach 3 Wochen können die Patienten wieder alles Essen, ohne jegliche Einschränkung. 3-4 Wochen nach der Operation können Patienten wieder Sport treiben – vor allem wenn mit der Schlüsselloch-Methode operiert wurde. Je nach Grösse des Bauchschnitts dürfen ein paar Wochen lang keine schweren Gewichte angehoben werden. Die meisten Patienten gehen 3-4 Wochen nach dem Eingriff wieder zurück zur Arbeit. Der natürliche Anpassungsprozess an den verkürzten Dickdarm dauert 3-12 Monate. Danach sind Stuhlfrequenz und Stuhlfestigkeit wieder ähnlich oder gleich wie vor der Operation. Grundsätzlich benötigt der Mensch nur 20-30 cm von seinem Dickdarm für eine befriedigende Funktion. Der wichtigste Abschnitt hierfür ist der Mastdarm.

Nach mikroskopischer Analyse des entfernten Darmabschnittes und definitiver Bestimmung des Tumorstadiums wird an der sogenannten Tumorkonferenz, an der die diversen Spezialisten teilnehmen, das Vorgehen bezüglich weiterer Therapie oder Nachsorge festgelegt und dem Patienten vorgeschlagen.

Welche präventiven Massnahmen helfen, das Risiko für Darmkrebs zu senken?

Prof. Dr. med. Christoph Maurer: Körperliche Aktivität ist besonders wichtig, denn diese regt die Darmtätigkeit an. Menschen, die sich 3x pro Woche körperlich betätigen, haben einen besseren und geregelteren Stuhlgang. Dadurch können allfällige Schadstoffe im Darm weniger lang einwirken, entsprechend haben diese Personen weniger häufig Darmkrebs. Auch das Vermeiden von Übergewicht und der Verzicht aufs Rauchen vermindern das Darmkrebsrisiko.

Gute Gesundheit beginnt im Darm

Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen einer gesunden Darmflora und der menschlichen Gesundheit. Auf dem Hirslanden Blog finden Sie Tipps für eine gute Darmgesundheit..