Die Lebenserwartung der Menschen steigt, ebenso deren berechtigte Ansprüche an eine gute und schmerzfreie Lebensqualität. Wir alle wollen bis ins hohe Alter ohne Beschwerden mobil sein. Dieser Anspruch rückt natürlich abnützungsbedingte Probleme an unserem Bewegungsapparat in den Fokus der medizinischen Behandlungsaufgaben – auch an der Halswirbelsäule. Auf diese möchte ich im Folgenden etwas detaillierter eingehen.

Die Halswirbelsäule umfasst die sieben obersten Wirbel der Wirbelsäule. Nicht anders als die Lendenwirbelsäule (die fünf untersten freien Wirbel oberhalb des Steiss- und Kreuzbeins – vgl. dazu auch den Artikel «Rückenschmerz – was tun?») erfährt auch die Halswirbelsäule solche abnützungsbedingten («degenerativen») Veränderungen im Laufe unseres Lebens. Diese Veränderungen haben zum Glück meistens keinen speziellen Krankheitswert; oder anders gesagt zeigen sich Abnützungen der Wirbelsäule im Laufe des Lebens etwa ähnlich häufig wie graue Haare. Daher gibt es kaum einen Menschen über 50, der sich nicht persönlich an eine Episode von Nackenschmerzen (eine «Hals-Cheeri») erinnern kann. Die gute Nachricht dabei ist, dass die meisten dieser Episoden selbstlimitierend sind, d.h. sie verschwinden im Laufe einiger Wochen wieder komplett. In diesem Zusammenhang sprechen die Spezialisten von «axialen, spondylogenen» Nackenschmerzen, Beschwerden nämlich, die von der Arthrose der Halswirbelsäule und deren kleinen Gelenke (Facettengelenke) herrühren.

Es gibt nun aber insbesondere zwei Situationen, welche unter Umständen eine weitere Abklärung oder gar eine chirurgische Behandlung nach sich ziehen sollten:

Nerveneinklemmung durch einen Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule

Ähnlich wie im Kreuz können Bandscheibenvorfälle auch an der Halswirbelsäule auftreten. («zervikale Diskushernie»). Dabei ist der Mechanismus der Entstehung eines solchen Bandscheibenvorfalles ähnlich: Der innere Gallertkern der Bandscheibe tritt durch einen kleinen Riss im Faserring der Bandscheibe aus. Dadurch kann ein Spinalnerv (Nervenwurzel, welche direkt aus dem Rückenmark austritt) eingeklemmt werden. Die Spinalnerven an der Halswirbelsäule sind für die Weiterleitung von Informationen für die Arme zuständig. Die daraus resultierenden Symptome betreffen damit auch oft die Arme und Hände: Nacken-Armschmerzen, Gefühlsstörung in Armen, Händen oder Fingern, Kraft- und Koordinationsverlust in Armen, Händen oder Fingern. Im folgenden Bild ist ein solcher Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule in einer MRI-Untersuchung dargestellt:

Röntgenbild Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule

Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule (Pfeilmarkierung) zwischen dem 4. und 5. Halswirbel, dargestellt von der Seite (links) und von unten (rechts)

Oft keine Operation an der Bandscheibe nötig

Selbst bei akuten Beschwerden und einem nachgewiesenen Bandscheibenvorfall müssen längst nicht alle Menschen operiert werden. Unser Körper hat eine erstaunliche Selbstheilungstendenz. Wir empfehlen bei allen Patienten, die keine ausgeprägten Lähmungserscheinungen zeigen, primär 4-6 Wochen mit Schmerzmitteln und in der Folge mit Physiotherapie zuzuwarten. Dadurch kann die Operation in mindestens der Hälfte der Fälle umgangen werden – sprich wir operieren weniger als die Hälfte der Patienten mit einem Bandscheibenvorfall, die wir in der Sprechstunde sehen.

ABER: Sobald die Beschwerden länger andauern, mit normalen Schmerzmitteln nicht kontrolliert werden können oder schwere Lähmungserscheinungen bestehen, sollte die Operation besprochen werden.

Ersatz der Bandscheibe durch Platzhalter

Bei der Operation wird meist die betroffene Bandscheibe chirurgisch entfernt. Der Platz, den zuvor die Bandscheibe eingenommen hat, wird im Zuge der Operation durch einen starren («Cage») oder beweglichen («Prothese») Platzhalter ersetzt. Welche Methode für die Patienten die Richtige ist oder ob beide kombiniert werden, wird individuell vom Wirbelsäulenchirurgen festgelegt.

Die chirurgische Behandlung der eingeklemmten Spinalnerven hat eine sehr gute Prognose. Über 80% der Patienten beschreiben eine Besserung der ausstrahlenden Symptome in die Arme. Nackenschmerzen selber sprechen etwas weniger gut auf die chirurgische Behandlung an. Diese sind letztendlich Ausdruck der Abnützung des gesamten statischen Gefüges der Halswirbelsäule.

Die chirurgische Technik ist ausserordentlich gut etabliert und ausgereift. Wir werden von Patienten oft gefragt, ob denn ein Zugang mitten in den Hals nicht eine gefährliche Angelegenheit sei (die Entfernung der Bandscheibe muss von vorne geschehen, der Schnitt liegt vorne am Hals). De facto hat diese Operation aber ein kleines Risiko von leichteren Komplikationen (unter 1%) und ein extrem kleines Risiko von schweren Komplikationen. Die häufigste Komplikation des Zuganges zu der Halswirbelsäule von vorne ist das Auftreten einer Heiserkeit nach der Operation. In weniger als 1% der Fälle bleibt diese Heiserkeit zeitlebens bestehen. Infektionen und Nachblutungen sind selten und lassen sich in den allermeisten Fällen durch eine zweite Operation folgenlos behandeln. Das Risiko für eine permanente Lähmung von Armen und Beinen ist theoretisch denkbar – aber extrem selten. Fahrradfahren in der Stadt ist im Vergleich deutlich gefährlicher als eine Operation an der Halswirbelsäule.

Einklemmung des Rückenmarks durch Abnützung der Halswirbelsäule

Dies ist die zweite grosse Gruppe der abnützungsbedingen Probleme der Halswirbelsäule. Anders als im Kreuz laufen im Nervenkanal hinter den Wirbelkörpern nicht nur Nervenfasern, sondern das gesamte Rückenmark. Das Rückenmark ist das wichtigste Datenkabel im Körper und übertragt alle Informationen vom Körper zum Gehirn und wieder zurück.

Gangstörungen als typisches Symptom

Wenn das Rückenmark unter Druck gerät – zum Beispiel durch eine abnützungsbedingte Einengung des Kanals der Wirbelsäule («degenerative Spinalkanalstenose und zervikale Myelopathie») – kann dies zu einem oft schleichenden Funktionsverlust führen. Typisch für diese Problematik ist das Auftreten von Gefühlstörungen in den Beinen und Armen, gefolgt von Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen beim Gehen, bis hin zu einem Gangbild, welches einem Betrunkenen sehr ähnelt. Wir nennen dieses Gangbild die «spinale Ataxie», nämlich die Situation, dass unbewusste Haltungskorrekturen beim Gehen nur noch sehr grob erfolgen, wie dies eben im betrunkenen Zustand auch der Fall ist (Torkeln, Ausfallschritte, Unmöglichkeit mit geschlossenen Augen oder auf einer Linie zu gehen).

Das Problem dieser Erkrankung ist, dass sie oft nur spät erkannt wird und dass sich die verlorene Funktion auch nach chirurgischer Erweiterung des Wirbelkanals nicht immer wieder zurückholen lässt. Wirbelsäulenchirurgen auf der ganzen Welt behandeln daher diese Problematik in letzter Zeit aktiver und früher, um den Zustand des Verlustes der Gehfähigkeit gar nicht erst eintreten zu lassen.

Operation zur Erweiterung des Wirbelkanals

Die chirurgische Behandlung dieser Krankheitsgruppe schliesst die Erweiterung des Wirbelkanales ein, wie oben bei der Bandscheibenoperation erklärt. Häufig sind die Einengungen des Kanales aber über mehrere Segmente präsent, sodass der Zugang von hinten (vom Nacken her) an die Halswirbelsäule schonender ist. Dies bedeutet allerdings oft, dass nach Erweiterung des Kanales von hinten eine zusätzliche Stabilisierung mit Schrauben und Stäben notwendig wird, damit die Halswirbelsäule durch den Verlust ihrer hinteren Elemente nicht nach vorne «abkippt». In heutiger Zeit können Schrauben an der Halswirbelsäule mit einem intraoperativen Navigationssystem millimetergenau platziert werden. Folglich ist das frühere Risiko von falsch platzierten Schrauben auf fast null gesunken.

Röntgenbilder eingeklemmtes Rückenmark vor und nach der Operation

Typische Situation eines eingeklemmten Rückenmarks von der Seite («taillierte» Regionen über 4 Segmente) in einer MR-Untersuchung von der Seite (linkes Bild). Rechts die postoperative Röntgenaufnahme von der Seite: die Wirbelbögen sind entfernt und die Halswirbelsäule ist mit Schrauben und Stäben fixiert.

Bei rechtzeitiger chirurgischer Intervention lässt sich die Entwicklung der fortschreitenden Gangstörung in einem Drittel der Fälle verbessern. In einem Drittel der Patienten stabilisiert sich die Situation auf dem Niveau von vor der Operation; und im letzten Drittel wird die Symptomatik auch postoperativ noch etwas schlechter als vor der Stabilisierung. Neuere Daten zeigen, dass es vor allem Patienten mit bereits bestehender deutlicher Einschränkung sind, bei welchen sich die Situation trotz Operation verschlechtert. Aus diesem Grund wird heute eher früher eine operative Behandlung empfohlen.

Wann braucht es bei Nackenschmerzen weitere Abklärungen und den Spezialisten?

Wie eingangs erwähnt sind Nackenschmerzen ein extrem häufiges Problem und haben in der Mehrzahl der Fälle eine sehr gute Prognose. Die folgende Liste fasst einige «Warnsymptome» zusammen, welche eine weitere ärztliche Abklärung nach sich ziehen sollte (meist eine MR-Untersuchung der Halswirbelsäule):

  • Längere Beschwerdedauer als 6-12 Wochen
  • Koordinations- oder Kraftverlust in Arm oder Hand (Glas fällt aus der Hand, Zuknöpfen eines Hemdes ist unmöglich)
  • Gangstörung (wie betrunken) oder Stolpern ohne Licht (nächtlicher Toilettengang)
  • Nacken- und Armschmerzen nach einem Unfall
  • Beschwerden bei bekanntem Krebsleiden (v.a. Tumoren von Prostata, Lunge, Brust und Schilddrüse können Ableger in der Wirbelsäule bilden)
  • Auftreten zusammen mit Entzündungssymptomen (Fieber, Abgeschlagenheit)

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