Eine Krebsdiagnose ist zunächst einmal ein Schock. Psychoonkologen helfen Betroffenen und Angehörigen, mit der Diagnose leben zu lernen. Ein Patentrezept dafür gibt es jedoch nicht, sagt Dr. Julia Biermann vom Psychiatriezentrum Uster. Denn jeder Patient gehe anders mit einer Krise um. Im Interview erklärt sie uns mehr dazu.

Wenn der Körper krank ist, leidet auch die Seele, heisst es. Welche Rolle spielt die Psyche bei einer Krebserkrankung?

Dr. Julia Biermann: Bei den meisten Erkrankungen ist das seelische Befinden beeinträchtigt – ganz besonders bei Krebs. Die Diagnose wirft die Menschen oft in eine existenzielle Krise. Sie sind plötzlich mit dem drohenden Tod konfrontiert.

Wie gehen die Menschen mit so einer Diagnose um?

Dr. Julia Biermann: Ganz unterschiedlich. Manche erleben eine Krebsdiagnose als Herausforderung, die es zu meistern gilt. Der Mehrheit der Menschen gelingt es, die Krankheit in ihr Leben einzuordnen. Sie geraten nicht ans Ende ihrer psychischen Kräfte. Andere erleiden einen psychischen Zusammenbruch und werden depressiv. Das hängt unter anderem von der Lebensphase ab. Ein jüngerer Mensch hat sich häufig noch nicht intensiv mit Krankheit oder Tod beschäftigt, und es trifft ihn eher unvorbereitet. Doch auch im höheren Alter kann eine Krebsdiagnose ein Schock sein. Wir Menschen verdrängen eben grundsätzlich sehr gut.

Kann eine gute Psyche Krebs heilen?

Dr. Julia Biermann: Wenn man darunter die psychische Widerstandsfähigkeit oder ein erfolgreiches Coping versteht, die einem ermöglichen, im Krankheitsverlauf eine positive Einstellung zu bewahren, so ist dies sicherlich für das psychische Wohlbefinden förderlich. Es hilft, Therapien besser durchzustehen. Es hat sich jedoch bislang nicht gezeigt, dass hierdurch der Krankheitsverlauf relevant positiv beeinflusst werden kann.

Was genau macht ein Psychoonkologe?

Dr. Julia Biermann: Ein Psychoonkologe ist psychotherapeutischer Ansprechpartner für Betroffene und Angehörige nach der Krebsdiagnose, einer Situation, die für den Menschen oft einen traumatisierenden Moment darstellt. Der Psychoonkologe unterstützt den Patienten bei der Verarbeitung und dem Leben mit der Krankheit. Es gibt kein standardisiertes Vorgehen, man muss sehr individuell auf die Bedürfnisse des Einzelnen eingehen. Es kann darum gehen, erhaltene Informationen zu ordnen und das weitere Vorgehen zu planen, oder darum, Ressourcen zu reaktivieren, um weiter am Leben teilhaben zu können. Oder man gibt aufkommenden Ängsten und Sorgen einfach Zeit und Raum. Entspannungsverfahren (etwa Achtsamkeits- und Imaginationsübungen) können helfen, Stress und Schmerzen abzubauen. Bei schwerem psychischem Leiden werden auch Medikamente wie Antidepressiva eingesetzt.

Wie helfen Sie Angehörigen, die zu Ihnen kommen?

Dr. Julia Biermann: Eine schwere Erkrankung betrifft das ganze Familiensystem. Oft finden die Angehörigen es schwierig, mit dem Betroffenen über die Erkrankung zu sprechen, insbesondere, wenn es um eigene Ängste und Sorgen geht, mit denen man den Kranken vielleicht nicht zusätzlich belasten möchte. Eigene Bedürfnisse werden oft hinten angestellt. Wir versuchen, die Angehörigen aufzufangen und schwierige Situationen und Hilfsmöglichkeiten auszuloten.

Wie kommt man in Kontakt mit einem Psychoonkologen?

Dr. Julia Biermann: In der Regel werden die Patienten aus den umliegenden Spitälern zu uns vermittelt. Es sollte möglichst jedem Patienten eine psychoonkologische Begleitung angeboten werden, im Normalfall passiert dies durch die behandelnden Spitalärzte.

Gibt es Tipps, was Krebspatienten selbst für ihre psychische Verfassung tun können?

Dr. Julia Biermann: Das hängt ganz vom Patienten und vom Stadium der Erkrankung ab. Wichtig ist, dass der Patient herausfindet, was ihm guttut, seine Bedürfnisse klar kommuniziert und bei Bedarf Hilfe in Anspruch nimmt. Manche brauchen Zeit und wollen sich zurückziehen, auch das muss respektiert werden.

Wie können Angehörige Patienten unterstützen?

Dr. Julia Biermann: Zunächst da sein, zuhören, für Entlastung sorgen und – wenn nötig – auch Abstand wahren. Oft erspürt man von selbst, was nötig ist. Spätestens wenn man Anzeichen einer stärkeren psychischen Beeinträchtigung bei seinem Angehörigen oder sich selbst sieht, sollte man externe Unterstützung suchen.

Welche Rolle spielt die Umgebung? Es gibt ja sogar Studiengänge, die sich damit beschäftigen, wie sich etwa Design und Umgebung auf den Heilungsprozess auswirken.

Dr. Julia Biermann: Das spielt sicher auch eine grosse Rolle, da man ja im Rahmen einer Krebsbehandlung viel Zeit im Spital verbringt. Es wird bei der Inneneinrichtung zunehmend auf den Einbezug psychologischer Aspekte Wert gelegt, was gut ist. Bei der Behandlung im Spital ist es aber zunächst einmal wichtig, dass man sich menschlich und fachlich gut aufgehoben fühlt. Leider kommt es in manchen Fällen seitens der Ärzte weiterhin zu einer mangelnden Sensibilität, etwa in einem entscheidenden Augenblick wie bei der Eröffnung der Diagnose.

Was sollte der Arzt denn in so einem Gespräch sagen?

Dr. Julia Biermann: Er soll wahrheitsgemäss informieren, gleichzeitig aber auch empathisch versuchen herauszuspüren, wie viele Informationen der Patient in diesem Augenblick überhaupt aufnehmen kann. Allzu konkrete Aussagen bezüglich der individuellen Prognose sollten zurückhaltend gehandhabt werden.

Besten Dank für das Interview.

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