Kreuzbandrisse lassen sich im Spitzensport nicht gänzlich vermeiden. Obwohl die Genesungschancen nach einer operativen Behandlung sehr gut stehen, verlangt es Patientinnen wie Swiss-Ski-Athletin Andrea Ellenberger enorm viel ab, um wieder an frühere Spitzenleistungen anzuknüpfen. Der behandelnde Arzt Patrick Meyer und Physiotherapeutin Mägi Schaller, beide von der Hirslanden Klinik Birshof, geben Einblick in den langen Weg zurück auf die Piste.

Herr Meyer, sind Kreuzbandrisse bei Sportlerinnen und Sportlern ein unvermeidbares Risiko?

Patrick Meyer: Bei Frauen ist das Risiko eines Kreuzbandrisses im Skirennsport tatsächlich relativ hoch. Das bestätigen unter anderem die jährlichen Verletzungszahlen in diesem Bereich.

Weshalb sind Frauen besonders gefährdet?

Patrick Meyer: Einerseits ist die Kniekonfiguration von Frauen anfälliger für Kreuzbandrisse. Das liegt daran, dass die Grube im Knie, durch die das Kreuzband verläuft, enger ist als bei Männern. Es gibt aber auch Studien, die gezeigt haben, dass Frauen während ihres Zyklus ein höheres Risiko einer Kreuzbandruptur aufweisen. Das wiederum hat mit der hormonellen Umstellung, welche die Kreuzbänder temporär schwächt, zu tun. Je mehr Kraft man zudem hat, desto besser ist man vor einem Kreuzbandriss geschützt. Auch diesbezüglich sind Männer im Vorteil. Da Frauen im Spitzensport aber dieselbe Leistung erbringen müssen wie Männer, sind sie einer grösseren Gefahr ausgesetzt.

Wie schwierig ist die Behandlung eines Kreuzbandrisses?

Patrick Meyer: Das hängt vor allem davon ab, ob es neben dem Kreuzbandriss noch weitere Verletzungen im Knie gibt. Gerade dann, wenn zusätzlich der Meniskus verletzt ist oder eine Knorpelschädigung stattgefunden hat, ist die Therapie etwas komplizierter. Handelt es sich ausschliesslich um einen Kreuzbandriss, ist dieser in der Regel relativ gut behandelbar. Schwierig wird es aber dann, wenn entweder mehrere Bänder gerissen sind oder Verletzungen schon zuvor bestanden haben.

Welches ist die beste Behandlung bei einem Kreuzbandriss?

Patrick Meyer: Grundsätzlich kann ein Kreuzbandriss auch ohne Eingriff behandelt werden. Bei Spitzensportlern wie bei Andrea Ellenberger ist das allerdings keine Option. Es sollte operiert werden, damit sie wieder Topleistungen erbringen können. Für die Kreuzband-Rekonstruktion gibt es zwei Optionen: Entweder man entscheidet sich für die Entnahme einer körpereigenen Sehne oder für den Einsatz einer Fremdsehne. Studien haben allerdings gezeigt, dass körpereigene Sehnen besser verheilen.

Welche Aspekte gabs bei der Behandlung von Skirennfahrerin Andrea Ellenberger zu beachten?

Patrick Meyer: Leider hatte Andrea Ellenberger zusätzlich zu ihrem Kreuzbandriss ihren Meniskus verletzt. Eine frühere Rückenverletzung musste zudem insbesondere während der Rehabilitationsphase berücksichtigt werden. Es gab ein ganzes Team aus verschiedenen Fachkräften, das Andrea Ellenberger dabei unterstützt hat, in eine ideale Ausgangslage für ihr Training zurückzufinden. Letztlich war sie es aber ganz allein, die die Kraft und die Ausdauer aufgebracht hat, um sich wieder an die Spitze zurückzukämpfen. Davor habe ich grossen Respekt.

Wie stehen die Genesungschancen nach einem Kreuzbandriss?

Patrick Meyer: Die Genesungschancen stehen bei einer operativen Behandlung eines Kreuzbandrisses sehr gut. Nur selten haben Patienten nach einem Eingriff weiterhin mit kleineren Problemen zu kämpfen. Selbst diese lassen sich dann aber in der Regel in einer weiteren Behandlung korrigieren. Bei den allermeisten Patienten findet langfristig aber keine Beeinträchtigung statt.

Frau Schaller, wie wichtig ist die Rehabilitationsphase nach einem Kreuzbandriss?

Mägi Schaller: Die Physiotherapeutin begleitet die Athletin auf dem langen Weg von der Operation bis zur vollen Genesung. Während der Reha werden gemeinsam mit der Athletin Trainingsziele definiert. Der Therapieerfolg wird anhand einer Standortbestimmung überprüft und die Ziele abhängig von den Testresultaten neu angepasst. Die Zeit der Verletzung ist geprägt von mentalen Hochs und Tiefs. Sich gemeinsam über erreichte Ziele und Fortschritte zu freuen und die Athletin in schwierigen Phasen zu unterstützen und zu motivieren, sind im Reha-Alltag ebenso wichtig wie die physische Betreuung. Am Ende der Rehabilitation wird mithilfe eines Kriterienkatalogs und von Messwerten entschieden, ob die Athletin die volle Leistungsfähigkeit erlangt hat.

Andrea Ellenberger und Mägi Schaller bei der Physiotherapie

Welche Behandlungsoptionen gibt es für Betroffene?

Mägi Schaller: Die Rehabilitation beginnt meistens in der Physiotherapie mit passiven und aktiven Therapieformen. Zu den passiven Anwendungen gehören diverse Behandlungsmethoden wie Weichteiltechniken, manuelle Techniken und regenerative Massnahmen. Bei der aktiven Therapie geht es um den Aufbau der Belastbarkeit, der Kraft und der Ausdauer der Athletin. Im Unterschied zu Freizeitsportlern ist das involvierte Betreuerteam bei Spitzensportlern oft breiter gefächert. Neben dem Physiotherapeuten und dem Arzt werden Athletiktrainer, Trainer, Ernährungsberater, Mentalcoach etc. in die Betreuung und die Entscheidungen involviert.

Welche Behandlungsoption eignet sich für wen?

Mägi Schaller: Die Wahl der Therapieform richtet sich einerseits nach den Vorgaben des Operateurs und dem postoperativen Heilungsverlauf und wird situativ und individuell getroffen. Einflussfaktoren wie Schwellung, Schmerz, bestehende Vorverletzungen, allgemeine körperliche Verfassung, Therapieverlauf etc. beeinflussen die Entscheidung wesentlich.

Was war bei Andrea Ellenbergers Behandlung besonders wichtig?

Mägi Schaller: In der Therapie war es wichtig, nicht nur ihr verletztes Knie zu behandeln, sondern den ganzen Körper miteinzubeziehen. Dies war einerseits aufgrund ihrer Vorverletzungen und andererseits bezüglich der hohen Ganzkörperbeanspruchung beim Skifahren ein wichtiger Bestandteil des Trainings. Die Enttäuschung und die Frustration, vor allem nach einer Wiederverletzung wie bei Andrea Ellenberger, sind jeweils sehr gross. Auch die Angst, das Ziel «zurück zum Sport» nicht mehr zu erreichen, ist riesig. Bevor das Vertrauen in das Knie wieder vollständig erlangt werden kann, muss das Trauma mental verarbeitet werden. Ausführliche Gespräche, um auf die Ängste einzugehen, sowie klare Zielformulierungen, die den Reha-Weg aufzeigen und den Athleten die Fortschritte erkennen lassen, sind ein wichtiger Bestandteil der Therapie.

Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich bei Skisportlern? 

Mägi Schaller: Die Schwierigkeit in der Reha von Skisportlern ist, dass der Untergrund nicht so einfach verfügbar ist. Gewisse Faktoren wie Kräfte, die während des Fahrens wirken, sportspezifische Belastungsformen und extreme Positionen versucht man in der Therapie mit Hilfsmitteln zwar zu simulieren, aber die Eins-zu-Eins-Belastung ist nur auf der Skipiste zu erzielen.

Wie verlief Frau Ellenbergers Behandlung aus Ihrer Sicht?

Mägi Schaller: Andrea Ellenberger hatte trotz der Wiederverletzung eine recht gut verlaufende Reha. Anfängliche Probleme bei der Belastung in der maximalen Kniestreckung sowie in der Beugung, Rückenschmerzen und Muskelansatzbeschwerden als Reaktion auf intensivere Belastungen erforderten immer wieder Trainings­anpassungen. Therapieerfahrung, ein sehr gutes Körpergefühl mit sehr präzisen Rückmeldungen, sehr gute Compliance und Top-Motivation waren für die Reha ein grosser Vorteil.

Kontakte

Pract. med. Patrick Meyer ist Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparats. Er ist Belegarzt an der Hirslanden Klinik Birshof in Münchenstein.

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Mägi Schaller ist Sportphysiotherapeutin an der Hirslanden Klinik Birshof in Münchenstein.

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