Der sogenannte Karpalkanal ist ein Nerven- und Sehnendurchgang auf der Innenseite des Handgelenks. Wird an dieser Stelle der Mittelnerv eingeengt, spricht man vom Karpaltunnelsyndrom. Die betroffenen Personen klagen über Taubheit und Kribbeln in den Fingern, manchmal auch über Kraftverlust in der Hand oder Schmerzen im Arm. Frühzeitig erkannt, ist das Karpaltunnelsyndrom gut behandelbar – auch mittels eines ambulanten Eingriffs.

Karin Fischer wachte mitten in der Nacht auf. Schon wieder. Aufgrund ihrer Beschwerden erwachte sie beinahe jede Nacht. Die Hände von Karin Fischer fühlten sich an, als gehörten ihre Hände gar nicht zu ihrem Körper, sie fühlten sich taub an und sie kribbelten. Karin Fischer schüttelte ihre Hände nach dem Aufwachen so lange aus, bis diese sich wieder etwas normaler als zuvor anfühlten. Was Karin Fischer nachts aufwachen liess, ist das sogenannte Karpaltunnelsyndrom. Bei diesem Syndrom ist der Mittelnerv der Hand, der unter anderem für die Sensibilität von Daumen, Zeige- und Mittelfinger sorgt, eingeklemmt. Der Mittelnerv verläuft im Handgelenk durch den sogenannten Karpaltunnel. Ist der Nerv an dieser Stelle entzündet oder aufgrund von angeschwollenen Sehnen eingeengt, resultiert das Karpaltunnelsyndrom und sorgt für Kribbeln und Gefühlsstörungen in der Hand. In einem späteren Stadium können die Nerven zunehmend geschädigt werden und gar Lähmungserscheinungen auftreten. Gleichzeitig bildet sich der Daumenmuskel schrittweise zurück. Dabei entsteht eine sichtbare und bleibende Delle am Daumenballen.

Erst nachts, dann auch tagsüber

Die Beschwerden von Karin Fischer verschlimmerten sich stetig. «Das Kribbeln wurde immer stärker und irgendwann kribbelten meine Hände auch tagsüber und schmerzten bei zahlreichen Tätigkeiten». Dr. med. Nathalie Schelhorn ist Fachärztin für Handchirurgie sowie Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates an der Hirslanden Klinik Birshof in Münchenstein. Sie bestätigt, dass dies die klassischen Symptome und der übliche Verlauf des Karpaltunnelsyndroms sind. «Das Karpaltunnelsyndrom tritt in vielen Fällen nachts auf. Oft treten die Beschwerden in der Folge auch tagsüber, etwa beim Fahrrad- oder Motorradfahren auf, da beim Fahren die Hand geknickt ist», erklärt sie weiter.

Auch bei Karin Fischer traten die Beschwerden beim Fahren ihrer Vespa auf. Als sie vor einer Fahrt ihre Handschuhe anzog und die Hände bereits zu kribbeln anfingen, beschloss sie, ihre Beschwerden abklären zu lassen. «Die Handschuhe haben zwar keinen Druck ausgeübt, aber bereits die Spannung am Handgelenk hat ein Engegefühl und ein gesteigertes Kribbeln mit sich gebracht, sodass ich bereits nach fünf Minuten Fahrt auf dem Roller nicht mehr in der Lage war, den Blinker zu setzen. Meine Hände waren taub.»

Überlastung des Handgelenks

Das Karpaltunnelsyndrom ist weit verbreitet. Grundsätzlich sind Männer und Frauen gleichermassen betroffen – tendenziell erkranken etwas mehr Frauen als Männer am Karpaltunnelsyndrom. Am häufigsten tritt es im Alter ab 50 Jahren auf. Die häufigste Ursache für das Karpaltunnelsyndrom ist eine Überbeanspruchung des Handgelenks. Es kann allerdings auch aufgrund von hormonellen Veränderungen während einer Schwangerschaft oder der Wechseljahre sowie bei Stoffwechselerkrankungen auftreten.

Karin Fischer litt bereits eineinhalb Jahre an den Beschwerden, bevor sie sich zu einer Untersuchung durchrang. Da sie am Empfang der Hirslanden Klinik Birshof in Münchenstein arbeitet, liess sie ihre Beschwerden an ihrem Arbeitsplatz von Dr. med. Nathalie Schelhorn untersuchen. Im Rahmen der Untersuchung prüfte die Fachärztin, ob sich durch Klopfen auf die betroffene Stelle bei der Patientin ein elektrisierendes Gefühl einstellt. «Das Klopfen fühlte sich wie eine Explosion an», berichtet Karin Fischer. Zur abschliessenden Diagnose überwies Dr. med. Nathalie Schelhorn die Patientin an einen Neurologen. Dieser testete mittels einer sogenannten Elektroneurografie, wie stark der Nerv angegriffen waren. Beim Test stimulieren Elektroden den Nerv mit schwachen elektrischen Impulsen. Ist der Nerv geschädigt, leitet er die Impulse langsamer weiter. Je länger die Leitgeschwindigkeit ist, desto stärker das Karpaltunnelsyndrom. Nach den Messungen wurde bei Karin Fischer an beiden Handgelenken das Karpaltunnelsyndrom diagnostiziert. In der Folge entschieden Patientin und Ärztin gemeinsam, zuerst die stärker betroffene linke Hand zu operieren.

Eine Nicht-Behandlung kann die Nerven nachhaltig schädigen

Das Karpaltunnelsyndrom sollte frühzeitig behandelt werden. Je länger es unbehandelt bleibt, desto grösser ist die Gefahr, dass der Nerv irreparabel geschädigt wird. In einem ersten Schritt wird versucht, das Syndrom mit konservativen Methoden, das heisst ohne einen operativen Eingriff, zu behandeln. Da das Karpaltunnelsyndrom oft nachts auftritt, kann eine Nachlagerungsschiene getragen werden. Damit soll verhindert werden, dass das Handgelenk nachts eine Beugestellung einnimmt und dadurch der Nerv gereizt wird. Eine weitere Möglichkeit ist die Injektion von Kortison, wobei das entzündungshemmende Kortison in den Karpalkanal gespritzt wird. Diese Methode kommt nur in seltenen Fällen zur Anwendung, weil sie nur kurzfristig Linderung bringt.

Halten die Schmerzen über einen langen Zeitraum an und wachen Betroffene aufgrund der Symptome jede Nacht auf, empfiehlt Dr. med. Nathalie Schelhorn eine Operation. Der ambulante Eingriff dauert lediglich 15 bis 20 Minuten. Dabei wird das Handgelenk lokal betäubt und die Ärztin durchtrennt das Karpalband, welches die obere Begrenzung des Karpalkanals darstellt – der Nerv erhält wieder Platz, die Beschwerden verschwinden.

Nachbehandlung: Es braucht Geduld

Obwohl die Operation nur wenig Zeit in Anspruch nimmt, bedarf es bei der Nachbehandlung etwas Geduld. Die quälenden Schmerzen und das Kribbeln in der Nacht ist nach der Operation sofort behoben, aber die Erholung von vermindertem Gefühl in den Fingern und vor allem die Narbenreifung können Monate dauern. Rund zwei Wochen nach der Operation werden die Fäden entfernt. Die betroffene Hand kann bereits am Operationstag für leichte Tätigkeiten wie zum Beispiel das Heben einer Tasse oder das Anziehen der Hose eingesetzt werden. Aber: Während sechs Wochen verfügt die Hand noch nicht über die volle Kraft; die Narbe ist gar während eines halben Jahres noch sehr empfindlich. Eine komplette Nervenerholung kann bis zu eineinhalb Jahre dauern. Karin Fischer ist vom Vorher-Nachher-Effekt der Operation jedoch begeistert: «Das Kribbeln ist nach dem Eingriff sofort verschwunden. Ich habe zwar noch nicht die volle Kraft in meiner Hand, aber ich kann wieder alles machen – einfach ohne das Kribbeln. Es fühlt sich toll an!»

Die Prognose nach einer Operation des Karpaltunnelsyndroms ist sehr gut. «Der Erfolg der Behandlung ist grundsätzlich davon abhängig, wie stark der Nerv bereits geschädigt ist», erklärt Dr. med. Nathalie Schelhorn. «Aus diesem Grund sollten Betroffene eine Behandlung des Karpaltunnelsyndroms nicht zu lange aufschieben.» Karin Fischer wird ihre rechte Hand, die noch immer vom Karpaltunnelsyndrom betroffen ist, im Verlaufe dieses Jahres operieren lassen. «Diesmal warte ich nicht mehr so lange mit der Operation. Ich möchte nämlich bald mit beiden Händen wieder eine Flasche öffnen oder beim Vespa fahren blinken können», erklärt sie lachend.