Die Schmerztherapie ist eine grosse Herausforderung: Schraubt man an einem Rädchen, dreht sich ein anderes. All diese Entwicklungen im Auge zu behalten und eine ideale Balance zu finden, ist eine ebenso herausfordernde wie befriedigende Aufgabe, erzählt Dr. med. Petra Hoederath, Leiterin des chronischen Schmerzdienstes an der Klinik Stephanshorn in St.Gallen.

«Normalerweise klingelt mein Wecker um 5.45 Uhr, schon um 7 Uhr gehts ins Spital. Im Büro angekommen, telefoniere ich erst einmal mit Patienten, die ich schon länger betreue. Wir besprechen, wie die Medikation anschlägt, überprüfen, ob es Anpassungen braucht. Um 8.30 Uhr steht dann die Schmerzvisite auf der Station auf dem Programm. Die Pain Nurse und die zuständige Pflegefachfrau informieren mich darüber, wie es meinen Patienten über Nacht ergangen ist und welche Schmerzmedikamente sie bekommen haben.

Dann gehts zu den Patienten. Natürlich ist klar definiert, wie lange jede Visite dauern darf. Mich interessiert das aber nicht. Chronische Schmerzpatienten brauchen Zeit. Zuhören ist das A und O. Hopp rein, hopp raus ist keine Option für mich. Da opfere ich lieber meine Mittagspause und mache da noch einige Visiten. Das gehört dazu, wenn man Ärztin ist.

Jeder Patient hat seine eigene Geschichte

Zwischen 10 und 11 Uhr treffe ich normalerweise neue Patienten. Zuerst mache ich eine ausführliche Schmerzanamnese, lasse mir von ihnen erklären, mit welcher Art von Schmerz sie zu kämpfen haben, welche Medikamente sie nehmen, unter welchen Unverträglichkeiten sie leiden und wie sie mit dem Schmerz leben. Nach fast 18 Jahren als Schmerzexpertin erkenne ich relativ schnell, was das Problem ist und welche Möglichkeiten es geben könnte, um die Schmerzen zu lindern.

Dennoch ist jeder Patient individuell, jede Geschichte anders. Man muss bedenken, dass jene Leute, die zu mir kommen, vielfach schon etliche Behandlungen und Medikamente ausprobiert haben. Manche meiner Patienten hatten zudem unzählige Operationen hinter sich, bevor ich sie kennenlernte. Doch so unterschiedlich die Geschichten sind, überraschen tut mich mittlerweile nichts mehr, verwundern allerdings schon. Leider werden die Schmerzen immer wieder mit Medikamenten behandelt, die eigentlich nicht wirken können. Ein Nervenschmerz spricht zum Beispiel nicht auf ein Medikament gegen Rheuma und Entzündung an.

Aber es ist eben auch nicht ganz einfach. Die Schmerztherapie deckt unglaublich viele Fachbereiche ab. Schraubt man an einem Rädchen, dreht sich ein anderes. All das muss man stets im Auge behalten. Eine ideale Balance zu finden, ist auch für mich stets eine Herausforderung, aber macht den Fachbereich auch so unglaublich spannend.

Schmerzspezialistin, Schmerzexpertin, Dr. Petra Hoederath, Hirslanden Klinik Stephanshorn, Gespräch, Patient

Ruhe im Operationssaal

Um 12 Uhr wäre eigentlich Mittagspause, aber wie schon erwähnt, klappt das fast nie. Stehen keine Visiten mehr auf dem Programm, diktiere ich in dieser Zeit die Arztberichte und erledige die Administration. Als Ärztin muss ich schliesslich auch all meine Konsultationen dokumentieren und Versicherungs- sowie IV-Berichte schreiben. Am Nachmittag geht es dann mit den Konsultationen und mit neuen Patienten weiter. Sind die Konsultationen erst einmal beendet, telefoniere ich häufig mit Hausärzten, Psychiatern und anderen behandelnden Ärzten meiner neuen Patienten, um mir so ein vollständiges Bild ihrer Patientengeschichte zu machen. Anschliessend stehen üblicherweise noch Kontrollen und Sprechstunden auf dem Programm.

Ebenso gerne, wie ich mich mit Patienten unterhalte, stehe ich aber auch im Operationssaal. Das Wunderbare an einer Operation ist, dass ich mich ausnahmsweise nur auf eine Sache konzentrieren darf. Ansonsten ist es immer sehr hektisch, viele Leute möchten etwas von einem und ständig klingelt das Telefon; während der Operation gibts hingegen nur mich und den Patienten. An meinen OP-Tagen planen wir meist gleich zwei Operationen nacheinander ein. Als Schmerzspezialistin fokussiere ich mich vor allem auf eine Art von Eingriffen: Stimulationsoperationen. Sogenannte «Schmerzschrittmacher» hemmen die Weiterleitung der Schmerzsignale zwischen Rückenmark und Gehirn und gelten als sichere und effektive Behandlungsmethode bei chronischen neuropathischen Schmerzen.

Während eines rund 90-minütigen Eingriffs wird eine Plattenelektrode auf die Rückenmarkshaut gelegt. In einem zweiten Eingriff implantiere ich dann Impulsgeber unter die Haut. Das Verfahren ist äusserst erfolgreich und hat sich in den letzten 20 Jahren enorm weiterentwickelt. Und es geht immer weiter. Firmen bringen immer kleinere Impulsgeber mit neuen Stimulationsmustern auf den Markt. Half die Stimulationstherapie früher eher nur bei Rückenleiden, kommen immer mehr Krankheitsbilder hinzu und der Kreis an Menschen, denen mit der Behandlung geholfen werden kann, vergrössert sich.

Ein Leben, das nicht von Schmerzen diktiert wird

Chronische Schmerzen sind eine unglaubliche Belastung. Nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Viele Patienten begleite ich jahrelang, ich kenne sie, ihre Geschichte, ihre Umstände. Manche von ihnen haben durch ihre Schmerzen ihren Job, ihre Familie, ihren gesamten Alltag verloren. Das sind schwierige Situationen, auf die ich als Ärztin nur begrenzt Einfluss habe, die mich aber selbstverständlich dennoch sehr berühren. Dann gibt es aber auch die vielen anderen Geschichten, in denen wir es mit einer neuen Kombination von Therapiemassnahmen schaffen, Patienten, die vorher hunderte Milligramm Morphin nehmen mussten, um ihren Alltag gerade so zu überstehen, auf eine Kleinstdosis zu bringen. Oder die Momente, in denen Patienten glücklich die Klinik verlassen, weil sie endlich weniger Schmerzen haben. Gäbe es diese Erfolgsgeschichten nicht, hätte ich meinen Job schon längst an den Nagel gehängt. Aber zum Glück ist die Auswahl an Schmerztherapien gross, die Kombinationsmöglichkeiten sind schier unendlich. Deshalb stehe ich jeden Morgen auf, um meine Patienten zu treffen, sie zu begleiten und ihnen im Idealfall ein Leben zu ermöglichen, das nicht vom Schmerz diktiert wird.»

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