Nach einer schweren neurologischen Erkrankung mit mehrmonatigem Klinikaufenthalt besucht Esther Schmid heute regelmässig das Hirslanden Training. Dank der Physiotherapie, Massagen und Lymphdrainage macht ihre Genesung grosse Fortschritte und sie blickt optimistisch in die Zukunft.

Zügigen Schrittes geht Esther Schmid über den Gang des Hirslanden Trainings, wo wir uns für das Interview verabredet haben. Der Rollator, den Esther vor sich herschiebt, tritt vor ihrer farbenfrohen Erscheinung gänzlich in den Hintergrund.

Esther durfte ich kennenlernen, als ich 2007 an der Hirslanden Klinik Aarau zu arbeiten begann. Sie war damals bereits elf Jahre in der Klinik tätig und war eine der ersten Personen, die man beim Betreten der Klinik antraf. 2012 wagte sie einen mutigen Schritt und verliess nach 16 Jahren die Hirslanden Klinik Aarau, um «aarau info» zu leiten, wo sie bis zu ihrer Erkrankung tätig war.

Esthers Erkrankung war Stadtgespräch. Und obwohl sie bei uns im Notfall eintrat, verbietet es unser Arbeitsvertrag, Krankengeschichten einzusehen, wenn keine professionelle Notwendigkeit besteht. Und daran halten wir uns. Ich bin noch immer dankbar, dass sich Esther für das Interview zur Verfügung gestellt hat und ich sie treffen durfte.

Wie aus heiterem Himmel

Esther beschreibt, dass die Krankheit «wie aus heiterem Himmel» aufgetreten sei. An jenem 22. Mai 2018 habe sie erst Mühe gehabt, den Weg von der Stadt nach Hause zu schaffen. Das gehörte bisher zu einer ihrer normalen Aktivitäten, die sie keine Anstrengung gekostet habe. Dann schliefen die Hände ein. Bald danach verschwand langsam das Gefühl aus den Beinen. Esther rief in der Praxis von Dr. Rodriguez, ihrem Hausarzt, in Küttigen an. Sein Vorgänger, Dr. Beat Haldemann, war bis zu seiner Pension Esthers Hausarzt. Entsprechend gut kennt sie auch Frau Erb, die langjährige medizinische Praxisassistentin. Ihr berichtete Esther von den Symptomen. Frau Erb drängte Esther, sofort ein Notfall Zentrum aufzusuchen. Zum Glück, wie sich in der Folge schnell herausstellte.

Im Notfall Zentrum

Eine Nachbarin fuhr Esther ins Notfall Zentrum der Hirslanden Klinik Aarau. Hier wurde sie in einem Einzelzimmer mit eigenem Bad untergebracht. Schnell stellte die Pflegefachperson, die die medizinische Triage vornahm, die Dringlichkeit der Diagnose und Behandlung fest. Nachdem der Leiter des Notfall Zentrums, Dr. Cyrill Morger, Esther untersuchte, diagnostizierte er umgehend eine neurologische Erkrankung. Deshalb avisierte er sofort die diensthabende Neurologin. Esther erinnert sich nur noch, dass die «kompetente Ärztin tolle Stögelischuhe getragen und so beruhigend auf sie gewirkt habe». Die Neurologin hat Esther ans Kantonsspital Aarau (KSA) überwiesen, um dort einen Blutaustausch zu veranlassen. Denn über das entsprechende Gerät verfügt in Aarau das KSA. Erstmals war von dem «Guillain-Barré-Syndrom (GBS)» die Rede.

Das Guillain-Barré-Syndrom
Das GBS ist eine Autoimmunerkrankung. Das neurologische Krankheitsbild tritt akut auf und es kommt zu Veränderungen des peripheren Nervensystems. Betroffen sind vor allem die aus dem Rückenmark hervorgehenden Nervenwurzeln und die dazugehörigen vorderen Nervenabschnitte. D.h. dass in der Akutphase keine Signale mehr an die Muskulatur gelangen. Symptome sind Lähmungen an Beinen und Armen. Hinzu kommen Empfindungsstörungen in den Zehen und Fingern oder auf der Haut. Bei einigen Patientinnen und Patienten mit schwerem Befall kommt es gar zur Lähmung des Herzmuskels oder der Lunge. GBS kann sich ganz plötzlich – also über wenige Stunden – oder über einige Monate entwickeln. Die genauen Ursachen sind nicht bekannt. Es wird jedoch eine vorgängige Infektion vermutet.

 

Was ist die Triage im Notfall Zentrum?
Wird eine Patientin oder ein Patient vom Rettungsdienst eingeliefert, weiss das Notfall Zentrum bereits über den Zustand Bescheid und die Patientin oder der Patient kommt direkt in die Behandlungszone. Meldet eine Patientin oder ein Patient sich selbst im Notfall Zentrum, erfolgt zuerst am Empfang die Begrüssung. Eine erfahrene Notfall-Pflegefachperson führt anschliessend eine sogenannte „Triage“ durch. Das ist ein international validiertes Schema mit fünf Stufen. Stufe 1 bedeutet, dass der Patient in akuter Lebensgefahr schwebt. Bei Stufe 5 handelt es sich um eine Bagatelle. Dadurch können sich Ärzte und Pflegefachpersonal rasch einen Überblick verschaffen, wie dringend und in welcher Reihenfolge die Patienten behandelt werden müssen. Somit werden Patienten in einem Notfall Zentrum nach medizinischer Dringlichkeit – und nicht aufgrund des Zeitpunkt des Eintreffens – behandelt.

 

Heute beschreibt Esther es als erschreckend, dass diese Autoimmunerkrankung so unbekannt ist. Denn obwohl sie selten auftritt, kann sie jeden treffen, auch Kinder – und rasches Handeln ist wichtig.

Esther lag im KSA auf der Intensivstation. Sie hatte hohes Fieber und einen viel zu hohen Blutdruck. Die Atmung übernahm eine Maschine, ebenso erfolgte die Ernährung künstlich. Trotzdem sei sie in dieser Zeit bei vollem Bewusstsein gewesen. Auf der Intensivstation wurde für sie Tagebuch geschrieben. So hatten sowohl ihre Angehörigen aber auch Pflegefachpersonen und Ärzte die Möglichkeit, einige Worte zum Tagesablauf festzuhalten. Dies hilft gerade bewusstlosen Patienten, nach dem Aufwachen allfällige Erinnerungslücken zu füllen. Esther erzählt, dass sogar festgehalten wurde, wann das Fenster geöffnet wurde. «Dabei habe ich gar nicht realisiert, dass das Zimmer Fenster hatte, da ich so in meinem Körper gefangen war», schildert sie.

Verlegung nach Nottwil

In diesem Zustand wurde Esther nach Nottwil zur Rehabilitation verlegt. Dort verbrachte sie weitere zwei Monate an der Beatmungsmaschine. Noch immer war sie vollständig gelähmt und eine Mobilisierung nur mit Kran möglich. In Nottwil erlitt sie eine Lungenembolie und als Folge davon einen Herzstillstand. Dank rascher professioneller Hilfe konnte ihr geholfen werden, so dass keine weiteren bleibenden Beeinträchtigungen zurückgeblieben sind.

Esther beschreibt den Alltag in Nottwil mit den zahlreichen Therapien, in denen sie alles – wirklich alles – wieder hat lernen müssen. Sie ist noch immer dankbar für das umfassende Angebot, das den Patienten zur Verfügung steht und sie grossteils auch nutzen musste und durfte.

Die Patientenverfügung

«Weisst Du, hätte ich damals die Patientenverfügung bereits abgeschickt – sie liegt noch immer fixfertig vorbereitet zu Hause – wäre ich heute nicht mehr hier.», erzählt Esther weiter. Sie hat darüber viel mit Familie, Freunden und Bekannten gesprochen, da ihre Geschichte ihre Sicht vollständig geändert hat. Auch ich muss ihr Recht geben und mache mir ganz neue Überlegungen zur Patientenverfügung. Auf meine Frage, was Esther empfiehlt, kommt ganz schnell ein wichtiger Tipp: «Besprich jede einzelne Frage mit einer medizinischen Fachperson.» Diesen Rat werde ich sehr gerne befolgen.

Und die Psyche?

Während ich Esthers Erzählungen lausche und mir Notizen mache, stelle ich mir immer wieder die eine Frage: Wie schafft man es bloss, den Lebensmut zu behalten? Esther meint dazu: «Du hast gar keine Wahl. Entweder gibst Du auf oder Du kämpfst. Und ich bin ein positiver Mensch.»

Esther erzählt, wie sehr ihre beiden Söhne und deren Familien ihr in dieser schwierigen Zeit geholfen haben. Wie sie einen regelrechten Plan erstellt hatten, damit Esther regelmässig Besuch empfangen konnte. Wie dankbar sie ist, ihren grossen Freundes- und Bekanntenkreis stets gepflegt zu haben und von ganz vielen Menschen wunderbare Unterstützung erfahren zu haben und noch immer zu erfahren.

Auf der Intensivstation fragte eine Pflegefachfrau Esther, ob sie Besuch von einer Patientin mit GBS empfangen möchte. Esther wollte. Die andere Patientin, Lisa, kam zu ihr und sagte: «Schau, ich kann wieder gehen! Das wirst Du bald auch wieder.» Diese Worte haben Esther Mut gemacht und sie während der zehn Monate in Nottwil begleitet. Beeindruckt haben Esther auch die Pflegefachpersonen, die ihr zur Seite gestanden, sie jedoch zur Selbständigkeit ermuntert haben.

In Nottwil sei sie mit dem Elektrorollstuhl durch den Rosengarten geflitzt, erzählt Esther weiter. Diese wunderbaren Pflanzen mit den vielen lieblichen Düften sei für sie ein richtiger Kraftort geworden. Sie erwähnt auch die Nähe zum See, die ihr inneren Frieden vermittelt hat. Auch psychologische Betreuung und Sozialhilfe sei ihr angeboten worden. Der Psychologe habe aber schon bald gemerkt, dass sie seine Unterstützung nicht benötige. Trotzdem habe sie den Austausch sehr geschätzt. Die Sozialhelferin sei vor allem mit der IV eine grosse Hilfe gewesen, da Esther inzwischen das Pensionsalter erreicht hat und die Sozialhelferin alles regeln konnte. Generell empfand Esther die Unterstützung durch die IV als sehr hilfreich, sogar einige bauliche Anpassungen wurden ermöglicht.

Wo steht Esther heute?

Über ein Jahr nach Auftreten des GBS wurde Esther nach Hause entlassen. Natürlich musste sie ihren Alltag neu organisieren. Dabei haben ihr weiterhin ihre Familie und Freunde sehr geholfen und unterstützen sie noch immer. Nur das Wort «Geduld» möge sie nicht mehr hören, das habe sie nun zur Genüge gehabt. Zeit, die habe sie – ganz viel. Aber das Geduldskonto neige sich dem Ende zu.

Hirslanden Training

1996 hat Esther erstmals das damalige Medizinische Trainingscenter MTC im Kernareal im Aarauer Schachen besucht. Nach einer Rückenoperation wurde ihr Physiotherapie verschrieben. In der Folge blieb sie dem Hirslanden Training als Kundin im Sport- und Ausdauerbereich erhalten. Die vielen persönlichen Kontakte, die sie seither knüpfen konnte, sowie die ansprechende, ruhige Atmosphäre in den Räumlichkeiten an der Aarauer Bahnhofstrasse, haben Esther dann auch dazu bewogen, das umfassende medizinische Angebot für ihre Rehabilitation zu nutzen. Zu ihrer Physiotherapeutin hat sie eine enge Beziehung und wird von ihr professionell und doch sehr persönlich und individuell begleitet. Zudem geht Esther regelmässig zur Massage und Lymphdrainage. Auch mit Krafttraining hat sie schon begonnen. «Dank diesen verschiedenen Therapien macht die Genesung grosse Fortschritte. Dafür bin ich sehr dankbar.», erzählt Esther. Ihre Disziplin hilft ihr zudem, denn sie macht auch zu Hause fleissig ihre von der Physiotherapeutin mitgegebenen Übungen.

Esthers Pläne

Esther kann inzwischen ganz Vieles wieder eigenständig erledigen. Sie ist sehr froh, wieder Auto fahren zu können und in ihrer Wohnung alleine zurecht zu kommen. Von sich aus erzählt sie: «Mein Leben hat sich komplett geändert. Ein Jahr Zeit für Genesung und Therapie gebe ich mir. Danach sollte ich kaum mehr eingeschränkt sein. Ich bin so dankbar, dass es mir heute wieder so gut geht und für all die Gespräche und Unterstützung von meiner Familie und Freunden.»

Liebe Esther, ich bin sehr froh, Dich so frohen Mutes und voller positiver Energie erlebt zu haben. Du hast eine anspruchsvolle Zeit hinter und wohl auch noch vor Dir. Wir wünschen Dir von Herzen weiterhin so grosse Fortschritte, damit Du in einem Jahr dort stehst, wo Du es Dir selber wünschst. Meine Kolleginnen und Kollegen werden Dich mit ihrem medizinischen Wissen und ihrer Erfahrung begleiten. Und ich freue mich, Dich bald schon in Aarau zu treffen – wahrscheinlich an einem Samstagvormittag am Gemüsemarkt.

Von Herzen alles Gute!