Ein Leistenbruch ist an sich ungefährlich. Da eine Selbstheilung jedoch ausgeschlossen ist, besteht das Risiko, dass irgendwann der Darm durch die Bruchpforte drückt und dabei eingeklemmt wird. «Dann zählt jede Stunde», erklärt Dr. med. Walter A. Gantert, Belegarzt an der Hirslanden Klinik St. Anna und an der Hirslanden Klinik Meggen, im Interview.

Leistenbrüche sind ein Männerthema. Richtig?

Dr. med. Walter A. Gantert: Das stimmt, Frauen erleiden weniger häufig einen Leistenbruch als Männer. Es ist tatsächlich so, dass in 90 % aller Fälle Männer davon betroffen sind.

Weshalb ist das so?

Dr. med. Walter A. Gantert: Weil bei Männern die Schwachstelle im Leistenbereich ausgeprägter ist als bei Frauen. Das Risiko, dass eine Bruchpforte entsteht, durch die sich Organe herauswölben können – somit eine Hernie – ist in der Folge viel grösser. Das gilt allerdings nicht für alle Hernienarten.

Warum nicht?

Dr. med. Walter A. Gantert:. Narbenbrüche, etwa nach einer Operation, oder Nabelbrüche können beide Geschlechter gleichermassen treffen. Auch von Zwerchfellbrüchen, etwa aufgrund eines Unfalls oder verursacht durch eine Krankheit, sind Männer und Frauen etwa gleich häufig betroffen. Es ist aber so, dass drei Viertel aller Hernien in der Leiste auftreten. Deshalb sind insgesamt mehrheitlich Männer von dem Thema betroffen.

Welche Symptome weisen auf eine Leistenhernie hin?

Dr. med. Walter A. Gantert: Meistens stellt der Patient eine Schwellung oder Vorwölbung im Bereich der Leiste fest. Diese Beule ist beweglich und lässt sich nach innen drücken. Häufig ist sie zudem abends oder nach hoher Belastung grösser. Das kann sehr schmerzhaft sein. Manche Menschen leben 30 Jahre mit einem Bruch und haben nie ein Problem. Bei anderen kann ein Bruch innert weniger Tage sehr gross und extrem schmerzhaft werden.

Wann also ist der richtige Zeitpunkt, den Arzt aufzusuchen?

Dr. med. Walter A. Gantert: Sobald man aufgrund einer Wölbung oder Schwellung einen Bruch vermutet, sollte man sich möglichst rasch beim Hausarzt melden. Wer zudem plötzlich starke Schmerzen in diesem Bereich verspürt, muss auf jeden Fall den Notfallarzt konsultieren. Ein Leisten- oder Bauchwandbruch kann sehr plötzlich auftreten. In diesen – eher seltenen – Fällen, in denen der Darm durch den Bruch eingeklemmt wird, muss man innert sechs Stunden operieren. So lange ist es in der Regel möglich, einen eingeklemmten Darm zu befreien. Vergeht mehr Zeit, besteht das Risiko, dass der Darm abstirbt.

Ein Leistenbruch kann also sehr gefährlich sein?

Dr. med. Walter A. Gantert: Ein eingeklemmter Bruch kann bei älteren Patienten in der Tat sogar zum Tod führen, wenn er nicht schnell genug oder richtig behandelt wird. Grundsätzlich sind diese Notfälle aber die Ausnahme. In den meisten Fällen ist ein Leistenbruch ungefährlich. Dennoch sollte man die Symptome ernst nehmen und bei Schmerzen schnell reagieren.

Gibt es neben dem Geschlecht noch weitere Risikogruppen?

Dr. med. Walter A. Gantert: Tatsächlich gibt es eine genetische Disposition für gewisse anatomische Schwachstellen. Insbesondere Leistenbrüche bei Kindern sind meist angeboren. Hernien können aber auch erst später entstehen, etwa in Folge einer Vernarbung nach einer Bauch-Operation. Auch Übergewicht ist ein Risikofaktor, insbesondere für die Bildung von Narben- oder Bauchwandbrüchen. Patienten, bei denen während einer Wundheilung eine Infektion auftritt, sind ebenfalls besonders gefährdet. Auch Menschen, die bauchwandschwächende Medikamente wie Kortison zu sich nehmen, sollten besonders aufmerksam sein.

Was ist mit schwerem Heben?

Dr. med. Walter A. Gantert: Vermehrter erhöhter Druck im Bauch, etwa durch Husten oder Pressen, kann das Risiko auf einen Leistenbruch ansteigen lassen. Schweres Heben gehört allerdings nicht, wie von vielen vermutet, zu den Risikofaktoren. So hat man in einer Studie festgestellt, dass Menschen, die sich häufig schwer körperlich betätigen, nicht häufiger unter einem Leistenbruch leiden als andere.

Das ist überraschend. Woher kommt der Irrglaube also?

Dr. med. Walter A. Gantert: Es könnte daran liegen, dass bei schwerem Heben ein bereits bestehender Bruch eher manifest wird. Aber in der Regel löst das Heben an sich den Bruch nicht aus. Was natürlich nicht bedeutet, dass man beim Aufheben schwerer Gegenstände nicht dennoch sehr vorsichtig sein und zuerst in die Knie gehen sollte.

Wie lässt sich ein Leistenbruch behandeln?

Dr. med. Walter A. Gantert: Ein Bruch kann nur chirurgisch – sprich durch eine Operation – behandelt werden. Medikamente können das leider nicht lösen und auch eine Spontanheilung ist bei einem Bruch ausgeschlossen. Der Grund dafür ist, dass die Organe, die durch eine Bruchstelle quellen, nicht von selbst zurückgehen. Die Bruchlücke kann also gar nicht zusammenwachsen, sondern wird sogar häufig noch grösser.

Was also empfehlen Sie?

Dr. med. Walter A. Gantert: Bei erwachsenen Patienten wird in der Regel ein Kunststoffnetz eingesetzt, mit dem sich künftige Brüche in vielen Fällen verhindern lassen. Bei Kindern, die sich noch im Wachstum befinden, ist das nicht möglich. Da muss der Bruch ohne ein Kunststoffnetz behandelt werden. Dadurch besteht allerdings ein höheres Risiko, dass es erneut zu einem Bruch kommt.

Gibt es Unterschiede bei den Operationsmethoden?

Dr. med. Walter A. Gantert: Absolut. Es gibt prinzipiell drei verschiedene Zugangsarten, um einen Bruch zu operieren: die konventionelle offene Methode, sowie die minimalinvasiven Verfahren mittels laparoskopischer oder endoskopischer Technik respektive die roboter-assistierte laparoskopische Methode. Die minimalinvasiven Techniken werden immer häufiger eingesetzt, da sie für den Patienten viel schonender sind und eine raschere Erholung bieten. Andererseits kann bei sehr komplizierten Narbenbrüchen eine offene Operation via grösseren Hautschnitt notwendig sein.

Und wie geht man bei einem Leistenbruch vor?

Dr. med. Walter A. Gantert: Bei der Behandlung eines Leistenbruchs empfehlen wir, wenn möglich, eine endoskopische Operationsmethode. Dabei handelt es sich um einen minimalinvasiven Eingriff, bei dem eine Videokamera und zwei lange, dünne, stabförmige Instrumente durch drei kleine Schnitte in die Bauchdecke eingeführt werden und so operiert wird. Patienten sind meist schon nach ein bis zwei Wochen wieder voll leistungsfähig.

Und wann kommt die dritte Methode zum Einsatz?

Dr. med. Walter A. Gantert: Bei der roboter-assistierten laparoskopischen Operationsmethode steuert der Arzt einen Roboter, welcher über abwinkelbare Instrumente verfügt, die einen noch präziseren Eingriff ermöglichen. Wir verwenden die roboter-assistierte Technik bei grösseren Bauchwand- und Narbenbrüchen und bei komplexen Leistenbrüchen.

Das klingt nach der besten Operationsmethode?

Dr. med. Walter A. Gantert: Ja, für gewisse Patienten und je nach Bruchart trifft dies zu. Allerdings muss die Operationsmethode individuell mit dem Patienten und an seine spezielle Situation angepasst besprochen werden. Manchmal ist die eine oder andere Variante aufgrund der Vorgeschichte gar keine Option. Das gilt es abzuklären.

Ist es nach einem ersten Leistenbruch wahrscheinlicher eine zweite Hernie zu erleiden? 

Dr. med. Walter A. Gantert: Das ist tatsächlich so. Jemand mit einer genetischen Disposition hat ein grösseres Risiko nicht nur eine, sondern gleich mehrere Schwachstellen aufzuweisen, bei denen es irgendwann zum Bruch kommen kann.

Kann einer Leistenhernie vorgebeugt werden?

Dr. med. Walter A. Gantert: Minimal. Heftiges Husten und starkes Pressen können allenfalls durch Medikamente reduziert werden. Ansonsten sind die Möglichkeiten sehr beschränkt.

Herzlichen Dank für das spannende Interview.