Ein Röntgenbild sagt viel – aber nicht alles. Zum Beispiel nicht, wie funktionsfähig der Patient nach einer Operation im Alltag wirklich ist. Oder wie er sich dabei fühlt. Genau solche Aspekte messen sogenannte Patient Reported Outcome Measures, kurz PROMs.

Qualitätsmesssysteme gibt es diverse in der Medizin. Alle tragen auf ihre Art dazu bei, Patienten, Spitälern und Ärzten wichtige Informationen aufzuzeigen. Eine spezifische Form der Patientenbefragung sind sogenannte PROMs (Patient Reported Outcome Measures). Deren Ergebnisse erfassen die subjektive Perspektive des Patienten über seine Erkrankung und Behandlung, die durch ein klinisches Mass nicht erfasst wird, für den Patienten aber genauso wichtig ist. Mehr über dieses Thema verraten uns Prof. Dr. med. Markus P. Arnold, Belegarzt an der Klinik Birshof und Kniespezialist in der Gruppenpraxis LEONARDO in Münchenstein, Basel, und Nicole Vogel, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin die PROMs-Auswertungen betreut. Sie wenden diese Messmethode seit über zwei Jahren bei Patienten an, die eine Knieprothese erhalten.

Weshalb braucht es neben bestehenden Qualitätsmesssystemen sogenannte Patient Reported Outcome Measures (PROMs)?

Prof. Dr. med. Markus P. Arnold: Ich glaube, PROMs sind der einzige Weg, um herauszufinden, wie es dem Patienten wirklich geht. Schliesslich geht es bei der Behandlung ja darum, sein Problem zu lösen. Ein Beispiel: Der Patient sagt nach der Operation, er könne immer noch nicht gut die Treppe heruntergehen, was er täglich mehrfach tun müsse. Da nützt es ihm nichts, wenn ich ihm als Orthopäde sage: «Die Prothese ist aber perfekt eingebaut». PROMs messen die Funktionsfähigkeit und Lebensqualität aus Patientensicht, was bei anderen Messungen kaum zum Tragen kommt.

Nicole Vogel: Die Kniefunktion und Lebensqualität, wie der Patient sie selber erlebt, kann ich nur so erfassen. PROMs beinhalten Fragebögen, die Schritt für Schritt und in definierten Zeitabständen abfragen, wie es dem Patienten geht. Sie sind standardisiert und deshalb vergleichbar mit anderen Studienergebnissen.

Was unterscheidet PROMs von anderen Qualitätsmesssystemen?

Prof. Dr. med. Markus P. Arnold: Andere Systeme messen zum Beispiel die Beweglichkeit, Stabilität oder ob das Bein gerade oder krumm ist, also geometrische objektive Parameter ohne den subjektiven Patientenfokus. Bei PROMs geht es nicht darum, wie gut die Prothese sitzt, sondern wie sich der Patient dabei fühlt. Also darum, ob ich dem Patienten wirklich geholfen habe und nicht, wie zufrieden ich mit dem Röntgenbild bin. Dieses ist dem Patienten nämlich ziemlich egal, insbesondere wenn er noch Schmerzen oder eine schlechte Funktion hat. PROMs- Befragungen decken genau solche Diskrepanzen auf.

Nicole Vogel: Und dieses subjektive Empfinden und dessen Entwicklung erfahre ich, indem ich in gewissen Zeitabständen immer wieder dieselben Fragen stelle. Fragen, die sehr konkret sind, zum Beispiel wie gut Treppensteigen oder Hinknien funktioniert. So kann ich die Entwicklung verfolgen und vergleichen.

Wie entsteht ein solcher Fragebogen oder wie kommt man dazu?

Nicole Vogel: Es gibt bereits eine Fülle von bestehenden Fragebögen. Diese sind standardisiert, damit man sich auch mit anderen vergleichen kann. So gibt es allgemeine Fragebögen oder ganz spezifische für ein Gelenk, dann wieder unterschiedliche je nach Erkrankung. Es macht ja einen Unterschied, ob jemand z. B. ein Meniskusproblem hat oder eine Prothese erhält. Aus diesen Fragebögen muss man wählen, welchen oder welche man einsetzt. So schaut man einerseits, welcher am besten passt. Andererseits auch, wie oft der Fragebogen schon verwendet wurde, damit man sich mit anderen vergleichen kann.

Prof. Dr. med. Markus P. Arnold: Je nach Spektrum, das man abdecken will, wählt man aus. Man muss die Befragung also nicht neu erfinden, sondern bedient sich am bestehenden Fundus. Die Fragebögen, die wir nutzen, sind schon Jahre bzw. Jahrzehnte alt. Solche Fragebögen entstehen beispielsweise, wenn Ärzte Prothesen mitentwickeln, und werden von wissenschaftlichen Gremien nach standardisierten Prozessen validiert und dann publiziert. Man sieht auch in der Fachliteratur, bei welchen Fragestellungen auf welche Fragebögen immer wieder oder auch neu zurückgegriffen wird, und welche sich etablieren.

Und sind Sie zufrieden mit Ihrer Fragebogenauswahl?

Prof. Dr. med. Markus P. Arnold: Ja, aber wir können noch weiter verfeinern und tun dies auch. Wir implantieren ja klassische und massgefertigte Prothesen. Die bisherigen Fragebögen sind teilweise zu wenig spezifisch, um einen Unterschied festzustellen. Da werden wir mit einem zusätzlichen Fragebogen verfeinern, der vor allem hinsichtlich sportlicher Aktivitäten mehr ins Detail geht. Dieser berücksichtigt auch, dass die heutigen 70-jährigen aktiver sind als noch vor 20 Jahren. Die Ansprüche der älteren Patienten haben sich ebenfalls verändert: Sie wollen mit einer Prothese nicht mehr nur gut aus dem Stuhl aufzustehen, sondern vielleicht auch noch etwas Tennis spielen können. So kommen zusätzliche Fragen dazu, mit denen wir dann vielleicht messbare Unterschiede zwischen den einzelnen Prothesenarten finden.

Natürlich lässt es sich immer noch mehr verfeinern und auswerten. Aber irgendwo fängt man einmal an. Und nun haben wir schon aus 2 ½ Jahren Resultate von 200 Patienten in unserer Datenbank.

Und was sagen diese Resultate?

Prof. Dr. med. Markus P. Arnold: Etwas sehr Schönes. Sie widersprechen nämlich der allgemeinen Meinung, die an Kongressen, Vorträgen etc. verbreitet wird, wonach 20 bis 30 % der Patienten mit einer Knieprothese unzufrieden seien. Dies erzählt man den Patienten, muss aber nicht so sein. Wir sind gemäss unserer Resultate auf jeden Fall anders unterwegs. Aktuell sind 85 % der Patienten ein Jahr nach der Operation mit dem Ergebnis zufrieden oder sehr zufrieden, 10 % neutral, 5 % unzufrieden oder sehr unzufrieden (Stand Juli 2019 ).

Wie gut kommt der PROMs-Fragebogen bei den Patienten an?

Nicole Vogel: Sehr gut. Wir fragen alle Patienten, welche bei uns eine klassische oder massgefertigte Knieprothese erhalten, ob sie teilnehmen möchten. Etwa 80 % machen mit und davon sind etwa 95 % auch nach einem Jahr noch dabei. Die Patienten erhalten einen Fragebogen vor der Operation, nach 4 Monaten, nach einem Jahr und dann jährlich bis fünf Jahren nach der Operation. Es ist zwar ein Aufwand für die Patienten, aber die meisten finden es gut, weil sie sich so auch ernst genommen fühlen.

Mit was für Fragen muss ein Patient rechnen, der an einer solchen Befragung teilnimmt?

Nicole Vogel: Sehr konkrete Fragen zu Alltagssituationen: Zum Beispiel, ob der Patient Schmerzen beim Treppensteigen hat, problemlos ins Auto einsteigen oder sich die Strümpfe anziehen kann. Weiter auch Fragen zur Lebensqualität: Muss er sein Leben aufgrund der Schmerzen ändern? Kann er sich selber versorgen?

Prof. Dr. med. Markus P. Arnold: Aus den Antworten entsteht dann ein Resultatediagramm, in dem ich eine übersichtliche Zusammenfassung sehe. Mehrere Fragen resultieren in einen bestimmten Wert. So erhalte ich die Entwicklung der Werte zu Symptomen, Schmerz, tägliche Aktivitäten, Sport und Lebensqualität zum einzelnen Patienten, aber auch der gesamten Patientengruppe.

Was für Schlüsse ziehen Sie aus den gesammelten Daten?

Nicole Vogel: Die Daten geben enorm viel her und es gibt viele spannende Aspekte, welche ich weiter auswerte. Mit den fortlaufenden Resultaten kann wieder etwas auffallen, das wir weiterverfolgen wollen. Die Auswertungsmöglichkeiten sind riesig und wir analysieren und entscheiden fortlaufend, auf was wir uns konzentrieren.

Prof. Dr. med. Markus P. Arnold: Eine Idee ist, die Resultate der Patienten mit den ersten massgefertigten Prothesen zu vergleichen mit denjenigen, welche später operiert wurden. Nur so können wir wirklich herausfinden, ob das System eine Lernkurve hat.

An der Methodik unserer Knieprothesen, speziell den massgefertigten ändert sich aufgrund der Messung nicht viel, da die Resultate erfreulicherweise sehr gut ausgefallen sind. Wir haben also das Luxusproblem, dass alle unsere Patienten (mit Standard- und massgefertigten Prothesen) sehr zufrieden sind. Da brauchen wir noch mehr Zeit für grössere Fallzahlen und spezifischere Fragebögen, um spezifische Details rausschälen zu können. Mir ging es im ersten Schritt aber vor allem darum, zu wissen, ob diese innovative Methodik wirklich gut ist bzw. mindestens gleich gut wie die Standardvariante. Wenn die Resultate schlecht wären, müsste ich die Konsequenzen ziehen und etwas ändern oder es sein lassen.

Ein weiterer grosser Vorteil ist, dass wir die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit der Patienten genauer konkretisieren können.

Erklären Sie dies bitte genauer.

Nicole Vogel: Bei unzufriedenen Patienten schauen wir im Detail, an was es liegt. Was kann der Patient und was nicht? Kann man in der Behandlung gezielter darauf eingehen? Es ist nicht einfach ein «nicht gut» oder «gut», sondern wir sehen im Detail, woran es liegt.

Später können wir herausfiltern, ob es anhand der Antworten einen Unterschied zwischen unzufriedenen und zufriedenen Patienten gibt. Vielleicht ist eher die eingeschränkte Beugung ein Problem? Oder es unterscheiden sich die Männer von Frauen oder die schlanken Patienten von den korpulenteren? Solche Punkte kann man später herausziehen und auswerten.

Prof. Dr. med. Markus P. Arnold: Das ergibt dann auch wieder eine Rückkopplung für uns, weil sich vielleicht gewisse Muster ergeben: Wenn ich Patient X vor mir habe und bereits weiss, den mache ich wohl nie zufrieden betreffend Erwartung Y, dann muss ich ihm das sagen.

Wir sind im Alltag ja immer mit Einzelfällen konfrontiert. Und plötzlich ergeben sich auf Basis solcher Messungen Muster und Antworten. Ist es wirklich schwierig, einer korpulenten Frau mit X-Beinen mit einer Prothese zu helfen? Kann man in bestimmten Fällen auf besondere Aspekte achten? Vielleicht finden wir Faktoren, die ein hohes Risiko für Unzufriedenheit ausmachen. So wissen wir dann, dass wir solche Patienten mit unserer Behandlung nicht glücklich machen können oder vielleicht etwas ändern müssen. Durch die Datenerhebung kommen wir vom Einzelfall zum Überblick über unser Tun.

Herzlichen Dank für das spannende Interview.

Mehr zu Knieprothesen auf Mass:

www.mein-knie.ch