Der kritische Pressespiegel der letzten Monate führt zu Verunsicherungen bei Patienten, denn bekannt wird, dass neue Implantate in der Orthopädie nicht immer den Prüfungen unterliegen, die wir z .B. von der Einführung neuer Arzneimittel kennen. So zeigten in der Vergangenheit immer wieder vereinzelt neue, vermeintlich bessere Implantate nach wenigen Jahren schlechtere Ergebnisse, als ältere, bewährte Prothesentypen.

Auf der anderen Seite gibt es sinnvolle Verbesserungen in der Endoprothetik, z. B. die Einführung standardisierter Behandlungspfade, also Abläufe rund um die Operation, die nach evidenz-basierten Kriterien eine optimierte Versorgung der Patienten ermöglichen. Frau Prof. Dr. Anke Eckardt ist seit bald 11 Jahren Belegärztin der Hirslanden Klinik Birshof und spezialisiert auf Knie- und Hüftendoprothetik. Wie sie die neuesten Entwicklungen in der Orthopädie einschätzt, erfahren wir im Interview.

Frau Prof. Eckardt: Sie verfügen über jahrzehntelange umfangreiche Erfahrung auf dem Gebiet der Knie- und Hüftendoprothetik und verfolgen den „Markt“. Braucht es noch neue Prothesen?

Prof. Dr. med. Anke Eckardt: Tatsächlich habe ich mich als Orthopädin bereits seit über 25 Jahren auf die Implantation von Knie- und Hüftprothesen spezialisiert. In all diesen Jahren habe ich viele neue Prothesenmodelle kommen und auch wieder vom Markt verschwinden sehen. Die Zahl der verschiedenen Implantate ist kaum zu überblicken, viele Firmen bieten ein umfangreiches Portfolio an.

Dabei sind wir glücklicherweise schon länger so weit, dass wir die Haltbarkeit, also die Langlebigkeit von Implantaten mit den sogenannten „Prothesenregistern“ aus verschiedenen Ländern seit über 20 Jahren belegen können. So wissen wir, dass sowohl Knie- wie auch Hüftgelenke, die vor 15 Jahren eingesetzt wurden, bei 90 – 95% der Patienten noch nicht gewechselt werden mussten. Ein Gegenbeispiel war auf der anderen Seite aber z. B. die Entwicklung von Oberflächenersatzprothesen mit Metall-Metall-Gleitpaarungen an der Hüfte, die gerade junge Patienten haben wollten, da diese im Internet angepriesen wurden. Es wurde all das im Netz versprochen, was der junge Patient von einer neuen Hüfte erwartet: dass sie zum einen so beweglich und „natürlich“ funktionieren sollte, wie das eigene Gelenk, als es noch gesund war, und das Implantat auch noch bessere Voraussetzung für eine spätere Wechseloperation mitbringen sollte. Das Gegenteil war aber zu häufig der Fall. Es zeigte sich eine zu hohe Zahl früher Lockerungen und aggressiver Entzündungsreaktionen um das Gelenk, ausgelöst durch Abriebpartikel aus Metall. Die Prothesen mussten in viel höherer Zahl gewechselt werden, als herkömmliche, bewährte, „ältere“ Implantate. Die meisten Firmen haben daher ihre Oberflächenersatzprothesen wieder vom Markt genommen.

Wir haben gerade in der Knieendoprothetik gelernt, dass die Erfahrung des Operateurs und des gesamten, am Behandlungsprozess beteiligten Teams viel mehr Einfluss auf das Ergebnis hat, als die Wahl des Implantats.

Insofern sollten wir uns viel mehr darauf fokussieren die Behandlungsprozesse zu optimieren, als mit neuen Implantaten –welche immer auch ein gewisses Risiko mit sich bringen – zu experimentieren. Denn wie eingangs erwähnt – wir konnten bereits in der Vergangenheit anhand von Registerdaten bewährte Implantate mit sehr langen Haltbarkeiten identifizieren.

Gewährleisten denn neue Implantate nicht automatisch eine Verbesserung für den Patienten?

Prof. Dr. med. Anke Eckardt: Nicht unbedingt. Wir sollten mit der Einführung neuer Implantate immer erst einige Jahre der Anwendung unter Studienbedingungen bei einer kleinen, überschaubaren Zahl von Patienten in Zentren mit wissenschaftlicher Reputation und lückenlosen, engen Nachkontrollen abwarten, bevor damit ein grössere Patientenkollektive versorgt werden. Leider ist das heute nicht die Regel, neue Implantate können, wenn sie auf dem Markt sind, weit gestreut eingesetzt werden.

Was wurde denn aus dem sogenannten „Frauenknie“, war das nicht eine Verbesserung?

Prof. Dr. med. Anke Eckardt: Mit dem „Frauenknie“ bewarb eine Firma vor über 10 Jahren die Einführung von zusätzlichen Implantatgrössen, allerdings bei bereits lang eingeführten und bewährten Knieimplantaten. Eine Entwicklung, die durchaus sinnvoll war und kurze Zeit später auch von anderen Herstellern aufgegriffen wurde. Dies gibt uns somit seit Langem die Möglichkeit, für jeden Patienten das optimal passende Implantat für sein individuelles Kniegelenk wählen zu können, besonders eben auch hinsichtlich der „Breite“ des Oberschenkelknochens. Für die „Tiefe“ hatten wir bereits lange schon die erforderlichen Grössen verfügbar. Dass diese neuen Prothesengrössen häufiger bei Frauen mit etwas anderer, schmalerer Knochenanatomie sinnvoll eingesetzt wurden, liess die Entwickler vom „Frauenknie“ sprechen. Aber damals wie heute gibt es Frauen, bei denen ein normales Implantat, und Männer, bei denen ein schmales besser passt, sodass wir die Bezeichnung „Frauenknie“ getrost vergessen können. Somit verfügen wir also bereits seit Langem über eine Vielzahl von verschiedenen Implantatgrössen, sodass für jeden Patienten das passende Implantat ausgewählt werden kann.

Braucht es dann gar keine „Individual“ – Prothesen am Knie?

Prof. Dr. med. Anke Eckardt: Eine individuell gefertigte Knieprothese für einen Patienten mit normaler Anatomie birgt für mich das Risiko, dass wir uns Optimierungen des Ergebnisses der Operation hinsichtlich der Bandspannung und Bewegungsfähigkeit dadurch verbauen, dass es nur ein einziges Implantat auf dem OP-Tisch gibt.

Die körpereigene, stabile Bandspannung des Kniegelenkes wieder herzustellen ist aber ein extrem wichtiges Behandlungsziel in der Knieendoprothetik, welches bei der Fertigung von Individualimplantaten vollständig unberücksichtigt bleibt, denn die Implantate werden ja einzig nach der Knochenform gefertigt.

Das Wichtigste in der Knieendoprothetik ist unbestritten die Erfahrung des Operateurs und ganzen Teams, eben nicht das Implantat. Wir haben glücklicherweise bewährte Implantate, die wir einsetzten können. Für das Ergebnis der Operation spielen aber auch die Erwartungen des Patienten eine grosse Rolle und es gibt andere, weitere Faktoren, die letztendlich die Zufriedenheit des Patienten mit der Prothese beeinflussen.

Es ist kaum möglich, herauszufinden, ob Individual-Prothesen im Vergleich zu herkömmlichen Implantaten überhaupt einen Mehrwert haben, denn es ist nicht möglich, sogenannte Doppel-Blind-Studien, wie sie in der Entwicklung neuer Medikamente Standard sind, durchzuführen. Es müssten dabei weder Operateur noch Patient wissen, welche Prothese implantiert wurde. Das ist natürlich nicht durchführbar und bis heute fehlen entsprechende Ergebnisse, die einen wirklichen klinischen Vorteil der Individual-Implantate belegen. Darüber hinaus liegen ja auch noch keine Langzeitergebnisse vor.

Bei stark von der Norm abweichender Anatomie, bei kleinwüchsigen Patienten zum Beispiel, bei Deformierungen des Knochens durch vorangegangene Verletzungen oder Zerstörung des Knochens durch Tumoren sind wir auf der anderen Seite glücklich, dass es – übrigens schon lange – Individualimplantate gibt, die es ermöglichen, die Defekte passgenau zu rekonstruieren.

Wenn nicht durch Implantate – welche Verbesserungen in der Behandlung von Patienten mit Arthrose gibt es denn aktuell?

Prof. Dr. med. Anke Eckardt: Im Moment können wir an den Implantaten keine wesentlichen Verbesserungen mehr erwarten. Wir haben abriebresistentere Polyethylene, die versprechen, dass wir längere Haltbarkeiten der Implantate erwarten dürfen, also hoffentlich auch länger als 20 Jahre. Ob in der Hüftprothetik die neuerdings in Deutschland häufig eingesetzten Kurzschäfte nicht auch eher wieder ein Risiko für den Patienten darstellen, bleibt abzuwarten. Auch hier wird z. B. wieder dem jungen Patienten suggeriert, es wäre ein Vorteil, mehr Knochen am Schenkelhals zu erhalten, dafür nimmt man nicht selten eine grössere Zahl von während oder nach der Operation auftretenden Knochenbrüchen und frühen Prothesenlockerungen in Kauf.

Ich bin also auch diesen Kurzschäften gegenüber skeptisch, in der Schweiz spielen sie aber auch noch keine wesentliche Rolle.

Wirklich wichtig für das Ergebnis der Operation ist neben der korrekten Indikationsstellung auch Aufklärung des Patienten. Dessen Erwartungen spielen eine Rolle und eine ehrliche Aufklärung darüber sollte erfolgen, dass eine Prothese besonders am Knie nicht immer so funktioniert und belastbar ist, wie das natürliche Knie, als es noch gesund war. Auf der anderen Seite haben wir natürlich sehr viele Patienten, die das operierte Knie oder Hüftgelenk nach einiger Zeit „vergessen“, und es wie das natürliche erleben. Das wäre natürlich das erwünschte Ziel der Operation, was aber nicht bei 100% der Patienten erreicht wird.

Darüber hinaus müssen wir als Operateure daran arbeiten, den Eingriff mit für den Patienten maximal hoher Sicherheit durchzuführen. Das Vermeiden von Komplikationen, z. B. Infektionen, Fehlpositionierungen der Implantate, Knochenbrüchen, Auskugeln von Hüftprothesen und anderer während oder kurz nach der Operation auftretender Komplikationen hat höchste Priorität. Hier haben wir in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielen können, die es zu bewahren und auszubauen gilt. Die Einführung von standardisierten Behandlungspfaden im Operationssaal und danach hilft, dass der Patient effizient und sicher behandelt werden kann.

Sie haben gemeinsam mit Prof. Ilchmann und Mitarbeitern der Klinik das Enhanced Recovery Programm „Motion“ entwickelt und in die tägliche Praxis eingeführt. Was versteht man darunter?

Prof. Dr. med. Anke Eckardt: Schon viele Jahre sind besonders in den skandinavischen Ländern Behandlungspfade implementiert, die jedem einzelnen Patienten eine individuelle aber zugleich auch sichere Behandlung garantieren. Prof. Ilchmann und ich arbeiten eng im „ENDO-Team“ zusammen, versorgen gemeinsam über 300 Patienten jährlich mit Hüft- und Knieimplantaten. Gemeinsam haben wir an der Hirslanden Klinik Birshof das Programm „Motion“ angestossen und etabliert. Alle an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen, die Anästhesie, Innere Medizin, das Op-Team, die Pflege und Physiotherapie haben gemeinsam mit uns den jetzt standardisierten, aber dennoch auf die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Patienten abgestimmten Ablauf der Behandlung festgelegt. Ziel ist es, den Patienten besser auf die Operation vorzubereiten, Ängste zu nehmen, alle Probleme und Risiken im Vorfeld zu erfassen und aus dem Weg zu räumen, um eine möglichst sichere Behandlung zu gewährleisten. Dies führt dazu, dass Mobilität und Selbstständigkeit rasch wiedererlangt werden, die mit der Operation verbundenen Sorgen und Einschränkungen sind verringert, Patienten werden rascher wieder mobil. Sie sollen sich durch den Eingriff nicht krank fühlen.

Immer mehr Kliniken etablieren solche Behandlungsabläufe, zusammengefasst unter dem Namen „Enhanced Recovery“, was bedeutet, dass alles für eine verbesserte, optimierte Erholung von der Operation getan wird.

Internationale Studien konnten zeigen, dass die Sicherheit für den Patienten und auch dessen Zufriedenheit zunimmt. Wir sind alle gemeinsam sehr froh, dass wir diesen Schritt im Sinne unserer Patienten tun konnten und haben nur positives Feedback.

Dies ist für uns und unsere Patienten die wichtigste, moderne Entwicklung in der Hüft- und Knieendoprothetik.

Warten wir ab, was uns die Zukunft bringt. Wirkliche, sich bewährt habende Weiterentwicklungen von Implantaten werden wir natürlich unseren Patienten nicht vorenthalten.