Ein Kind wird Ihre Welt verändern und stellt Sie vor neue Herausforderungen. Was sind diese Herausforderungen in der ersten Zeit, im sogenannten Wochenbett? Und was fordert mich als Fachfrau dabei täglich bei der Betreuung der Eltern heraus?

Herausforderung 1: Vertrauen in sich selbst

Eltern werden, sein Kind im Arm halten, Stillen: Die natürlichsten Sachen der Welt. Und doch höre ich dazu zig Fragen in der Wochenbettzeit. Eltern wollen alles richtig machen bzw. sie wollen nichts falsch machen. Vor allem Frauen neigen dazu, ihrer Kompetenz als Mutter nicht zu vertrauen. Plötzlich von einem Moment auf den anderen für ein Lebewesen verantwortlich zu sein, bedeutet neben der Freude auch eine riesige neue Verantwortung. Es sind die Sorgen, Ängste und das Gefühl der Hilflosigkeit, die die Eltern in der ersten Zeit belasten. «Habe ich genügend Milch für mein Kind?» «Weshalb weint es so oft?» «Wieso schläft es nicht gerne im eigenen Bett?» Manche Fragen bringen mich dann auch zum Schmunzeln, sind aber nicht weniger ernst gemeint; «Mein Kind hat so oft Schluckauf, ist das normal?»

Der Wunsch, dass es seinem Kind gut geht, ist verständlicherweise sehr hoch und die Eltern sind hochsensibel für jedes neue Geräusch. Dabei scheint den Eltern jedoch manchmal Grundlagenwissen zu fehlen, sie vertrauen nicht in ihr Wissen oder sind überfordert mit der Flut an Informationen. Bei der Internetrecherche kann man sich in subjektiven Erfahrungstipps oder fragwürdigen Diagnosestellungen verlieren. Die unendliche Menge an möglichen Antworten schürt oft eher Ängste als die Eltern zu beruhigen. Kritisches Hinterfragen, klärende Gespräche mit Fachpersonen und vor allem Vertrauen in sich selbst helfen, den richtigen Weg zu finden.

Ich erlebe die Eltern als Menschen einer Gesellschaft, die nach schnellen Antworten und sofortigen Lösungen zu jeder Tages- und Nachtzeit suchen. Ich versuche wiederum, das selbstständige Denken zu fördern und die Eltern zu ihren Antworten zu führen. Es ist das Wichtigste, ihr Vertrauen in sich selbst und ihre Instinkte zu stärken. Denn das Ziel ist, das Kind selbstständig versorgen zu können, zuhause zurechtzukommen und dabei Vertrauen in sich selbst zu haben.

Herausforderung 2: Vertrauen in das Kind

Das Baby, das im Schluckauf rhythmisch durchgerüttelt wird, löst oft unnötiges Mitleid aus. Denn vor allem die veränderte Umgebung, das selbstständige Atmen oder das Schlafen stellen Herausforderungen für das Neugeborene dar. Die Eltern haben dazu unendlich viele Fragen und sorgen sich beim Anfassen, dass etwas «kaputt gehen» könnte. Das Baby wird oft als zerbrechlich und hilflos betrachtet. Dass es wenige Stunden zuvor durch einen engen Geburtskanal gepresst wurde und es seinen Blutkreislauf selbstständig umgestaltet hat, an diese Fähigkeiten denkt beim Wickeln niemand mehr. Doch das Kind trägt selbst einen starken Überlebenswillen in sich und hat teilweise sogar schon eine gewisse Kontrolle über sein Köpfchen.

Ein Baby ist zwar auf seine Betreuungspersonen angewiesen, kann aber schon seinen eigenen Beitrag dazu leisten. Nur schon seine Kommunikation ist weitaus vielseitiger als blosses Weinen. Seinem Kind vertrauen, wertschätzen, was es bereits alles geleistet hat und wie schnell es in der ersten Zeit Neues dazulernt – dies hat für mich mit Vertrauen in die Natur und in das Kind zu tun. Den Eltern aufzuzeigen, was ihr Baby alles schon kann, ist dabei ein wichtiger Bestandteil meiner täglichen Arbeit.

Herausforderung 3: Zeit für Erholung, Vertrauen in andere und Unterstützung durch sie auch gezielt abrufen

Bei meinem ersten Besuch zuhause geht es oft darum, die eigenen Anforderungen der Eltern zu relativieren. Gerade Frauen neigen dazu, gleichzeitig und sofort perfekt in der Rolle der Mutter, der Hausfrau, der Partnerin und der Geschäftsfrau sein zu wollen. Dies mit einem schreienden Neugeborenen und dem Schlafmangel zu meistern, ist vor allem zu Beginn nicht realistisch. Wunderschön dazu finde ich die Tipps und Illustrationen aus dem Büchlein «Muttersein» von Alice Bolster. «Erwarte in den ersten Tagen und Wochen nicht, dass du viel erledigen kannst. Wenn du es schaffst, dir die Zähne zu putzen und zu duschen, ist es ein guter Tag.»

Ich erlebe viele Frauen, denen ihr eigenes Idealbild von Muttersein im Weg steht. Denn lieber treffe ich erholte Eltern an, als eine perfekt aufgeräumte Wohnung. Die Anforderungen der Familie, der Freunde und der gesamten Gesellschaft kann die Eltern zusätzlich belasten. Ein Baby ist ein grosses Ereignis, jeder möchte das Baby anschauen kommen und halten dürfen. Manche Eltern werden schon vor dem Gebärsaal von Besuchern umzingelt oder auf dem Wochenbett stundenlang belagert. Natürlich ist der Stolz gross und die Meldung über WhatsApp, Facebook und Twitter wird nach der Geburt noch vor dem Abendessen gestreut. Doch der Besuch zeigt sich meistens als kräftezehrend und die Erholungszeit wird auf später verschoben. Nicht selten treffen wir nach der Besuchszeit tränenüberströmte Mütter und schreiende Babys an. Die Überreizung in dieser sensiblen Zeit ist schnell passiert.

Dabei bergen Angehörige oft grosses Potenzial mit viel Eifer und Zeit. Zuhause fehlt die Hilfe meistens, denn die Eltern müssen lernen, diese aktiv und gezielt anzufordern und anzunehmen. In meiner Beratungsfunktion versuche ich, Eltern darin zu bestärken: Eine Lasagne von der Freundin, Stillkugeln von der Schwiegermutter, Staubsaugen durch die Nachbarin oder alkoholfreies Bier vom Arbeitskollegen sind sinnvoller als noch ein Stofftier mehr. Besuch von «allwissenden» Tanten, welche mit besserwisserischen Tipps und verletzenden Bemerkungen auftauchen werden, sollte der Mann in der ersten dünnhäutigen Zeit für die Wöchnerin abblocken. In meiner Beratung zuhause ist die Aufklärungsarbeit als Prophylaxe sehr wichtig. Denn selbst immer alles perfekt machen zu wollen, birgt die grosse Gefahr einer postnatalen Depression.

Herausforderungen im und nach dem Wochenbett gemeinsam angehen

Das Wochenbett zeigt sich also als eine grosse Aufgabe für die Eltern, das Neugeborene und die ambulante Wochenbettbetreuung. Die Pflegefachfrauen und Hebammen zeigen dabei eine tiefe Leidenschaft zur Arbeit, die Fähigkeit, Menschen in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken und immer wieder sehr viel Geduld und Verständnis in dieser Ausnahmesituation aufzubringen. Auch Humor kann helfen, denn gemeinsames Lachen löst Verspannungen nachweislich.

Für einen gemeinsamen geglückten Start als Familie ist es hilfreich, sich über die kommende Herausforderung bewusst zu sein. So können Mann und Frau sich dementsprechend viel Freiraum für Ruhe schaffen und Wichtiges vorbesprechen. Eine Familie zu werden bedeutet, Herausforderungen gemeinsam anzugehen und Zeit zu finden, sich über das Glück zu freuen.

Zum Schluss ein paar konkrete Tipps

  • In den meisten Wochenbetten fehlt die Zeit und Energie an allen Ecken und Enden. Deshalb kann es sehr hilfreich sein, bereits in den letzten Wochen der Schwangerschaft Nützliches vorzubereiten. Das Einfachste und zugleich Beste ist das Vorkochen und Einfrieren von Mahlzeiten. Vor allem die traditionelle Hühnersuppe ist sehr zu empfehlen als stärkende Nahrung nach einer Geburt. Auch Nüsse in den Stillkugeln oder blutbildende Rande in Cakes gehören zur Liste der aufbauenden Lebensmittel. Natürlich kann Frau sich dies alles machen lassen, von lieben kreativen Menschen im Bekanntenkreis.
  • Wenn das Kind dann auf der Welt ist, gilt eine goldene Regel: Wenn das Baby schläft, soll sich auch die Mutter hinlegen. Die Ruhephasen sind das Grundlegendste im Wochenbett. Zur Regeneration, Verarbeitung, Milchbildung, Mutter-Kind-Bindung und Energiereserven für die strengen Abendstunden. Eingehende Glückwunsch-Nachrichten sollten dabei nicht vom Schlaf abhalten. Deshalb: Während der Ruhepausen das Smartphone am besten gleich auf Flugmodus stellen und die Türklingel ausschalten.
  • Es gibt Babys, welche sich sehr schlecht ablegen lassen. Dann eignet sich eine Tragemöglichkeit bestens (siehe Blogbeitrag über das Tragen im Tuch/Traghilfe). Wenn der Partner dann damit täglich einen längeren Spaziergang mit seinem Kind macht, kann die Mutter dabei in Ruhe schlafen. Gleichzeitig stärkt dies die Vater-Kind-Beziehung und sein Vertrauen in die väterlichen Fähigkeiten, das Kind zu betreuen.
  • Einige Kinder schlafen nachts nur mit vielen Unterbrüchen. Es kann helfen, wenn sich die Eltern die Betreuungszeit in der Nacht in Schichten aufteilen. Man kann sich auch eine zweite gemütliche Ruheecke in der Wohnung einrichten für die Betreuung der wachen Phasen des Neugeborenen.
  • Viele Änderungen im neuen Leben als Eltern sind eine Frage der Einstellung und der Organisation. Es ist eine intensive, aber vergleichbar kurze Phase des Lebens mit einem kleinen Kind. Die grosse Nähe zu einem Menschen, lange Nächte, facettenreiches Schreien und erfundene Schlaflieder. Es erleichtert, wenn Mann und Frau diese Veränderungen im Alltag als Bereicherung und als kreatives Abenteuer betrachten. Im Nachhinein weiss man gar nicht mehr, wie streng es war. Und bald darauf plant man schon ein Geschwisterkind…