Die Rektusdiastase ist ein oft vergessenes Thema, vielfach abgehandelt mit den Worten „Ist halt jetzt so“ oder „Kann man nichts machen“. Selbst Fachpersonen wissen oft wenig über die Behandlungsmöglichkeiten. Kirsten Zimmermann, Hebamme an der Klinik Im Park, hat sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt und versucht, wann immer möglich, Laien und Fachpersonen auf die Wichtigkeit des Themas aufmerksam zu machen. Im Blogbeitrag erklärt sie, was eine Rektusdiastase ist, wie diese entsteht und wie Frau sie wieder los wird.  

Was ist eine Rektusdiastase und wer ist davon betroffen?

Während einer Schwangerschaft macht der Körper viele Veränderungen durch. Er passt sich dem Wachstum der Gebärmutter an, was dazu führt, dass sich das Bindegewebe, das Bauchfell und die Bauchmuskulatur dehnen. Indem die gerade Bauchmuskulatur zuerst der Länge nach ausgezogen und danach zur Seite geschoben wird, wird das dazwischenliegende Bindegewebe, Linea Alba genannt, dünn ausgedehnt. Es entsteht eine Rektusdiastase, die in der Schwangerschaft völlig normal ist. Wichtig zu wissen: Jede Frau hat am Ende der Schwangerschaft eine Rektusdiastase.

Definition einer Rektusdiastase

Als Rektusdiastase bezeichnet man das Auseinanderweichen der geraden Bauchmuskeln zur Seite hin um mehr als 2 Zentimeter und das Ausdünnen des Bindegewebes der Mittellinie, der sogenannten Linea alba.

Die Hilfsmuskulatur kommt zum Einsatz

Liegen die geraden Bauchmuskeln zu weit seitlich, ist die tiefe Muskulatur (Linea alba) überdehnt und der komplette Rumpf wird instabil. Unser Körper nutzt dann automatisch andere Muskeln, um die nötige Rumpfstabilität zu gewährleisten; er arbeitet sozusagen im „Hilfsmuskelmodus“. Hauptsächlich werden Rücken-, Becken- und Pomuskulatur genutzt. Für die Dauer der Schwangerschaft ist das Übernehmen der Hilfsmuskulatur eine geniale Reaktion auf die Schwangerschaftsveränderungen. Sie funktioniert meist recht gut, kommt aber manchmal schon während der Schwangerschaft an ihre Grenzen. Überlastungen der Hilfsmuskulatur kennen viele Schwangere in Form von Kreuz-, Rücken- oder Beckenschmerzen, ausstrahlenden Schmerzen in die Beine und Beckenbodenbeschwerden wie einem Druckgefühl oder Urinverlust. Bereits hier wäre es sinnvoll, Verhaltensstrategien zu erlernen, die die Belastung so gering wie möglich halten.

In der Schwangerschaftsgymnastik kann man bereits zu diesem Zeitpunkt Unterstützung bieten, indem man das tiefe System stärkt und die Frauen optimal auf die Geburt vorbereitet. Allgemein haben Frauen, die während der Schwangerschaft aktiv sind und ihre tiefe Muskulatur regemässig Moderat nutzen, weniger Schwangerschaftsbeschwerden und können sich später im Wochenbett viel schneller regenerieren.

Wochenbett: Weg vom Hilfssystem und zurück in den «Nicht-Schwangeren-Modus»

Während der Wochenbettzeit sollte der Körper möglichst bald wieder vom Hilfssystem in die physiologische Ansteuerung der Rumpfmuskulatur umstellen, einfach formuliert: zurück in den «Nicht-Schwangeren-Modus» wechseln. Bei vielen Frauen geschieht dies, ohne dass sie aktiv etwas dafür tun müssen, denn die Muskelkoordination im Körper wird unbewusst im Gehirn gesteuert. Bei diesen Frauen verläuft die Rückbildung unproblematisch, sie haben bald wieder ihre frühere Figur zurück, fühlen sich fit und kraftvoll und die Rektusdiastase schliesst sich von alleine.

Bleibt der Ansteuerungsmodus der Frau aber im Hilfssystem, werden die Muskeln auf Dauer überlastet. Dann kommt es zu einer sogenannten funktionellen Rumpfschwäche, das heisst, die Rumpfmuskulatur ist unfähig, effektiv zu funktionieren und den Körper bei Alltagsaktivitäten adäquat zu unterstützen. Der Körper wird durch die Rumpfschwäche zu ineffektiven Kompensationsstrategien gezwungen, wie z.B. das Luft anhalten oder den Bauch rausdrücken. Beides erzeugt erhöhten Bauchinnendruck und kann eine Rektusdiastase noch vergrössern oder dazu führen das der Bauch noch weiter hervorsteht. Häufig treten Verspannungen und Schmerzen in der Hilfsmuskulatur auf. So entsteht ein sehr ungünstiger Kreislauf. Je länger kompensiert wird, desto häufiger treten Fehlbelastungen auf, die zu Kreuz-, Rücken- und Beckenschmerzen führen können. Weitere Beschwerden sind eine bleibende Rektusdiastase, ein gewölbter Bauch, ein Schwächegefühl, Verdauungsbeschwerden und Verstopfung. Auf Dauer können Beckenbodenprobleme wie ein Druckgefühl, Urinverlust oder eine Gebärmuttersenkung dazukommen. Bestehen diese Beschwerden über Jahre, werden sie oft gar nicht mehr mit der vergangenen Schwangerschaft in Verbindung gebracht.

Was tun, wenn die Beschwerden bleiben?

In unseren Rückbildungskursen erarbeiten wir das Bewusstsein für die tiefe Rumpfmuskulatur und den Beckenboden und stärken diese durch Übungen. Die Frauen lernen auch, wie sie ihre Muskulatur effektiv im Alltag nutzen und trainieren können, ohne dass dafür extra Zeit notwendig ist. Denn ein Alltag mit Kind stellt genügend Herausforderungen für unseren Körper dar. Aus vielen Alltagsbewegungen können wir gezielt schonende Übungen daraus zu machen. Werden zu früh belastende Übungen gemacht, wirkt sich das kontraproduktiv aus. Ein Beispiel: Wölbt sich der Bauch während dem anstrengenden Teil der Übung nach aussen, dann ist der Hebel zu gross oder es wird mit Pressatmung versucht, die viel zu schwierige Übung hinzukriegen. Eine Diastase kann sich dann vergrössern. Wichtig ist, dass Rückbildung nicht als Bauch-Beine-Po-Workout verstanden wird, sondern als aufbauende Rehabilitation nach einer Schwangerschaft zurück zu einem Alltag mit Kind. Hebammen sind hierfür die idealen Begleiterinnen.

Rückbildung lohnt sich immer, egal wie lange die Geburt zurück liegt. Es ist nie zu spät. Zwischen mehreren Schwangerschaften ist es umso wichtiger, den Körper zu stärken, denn jede Schwangerschaft bedeutet zusätzliche Herausforderungen für den Körper.

Professionelle Unterstützung bei der Behandlung einer Rektusdiastase

Für Frauen mit Verdacht auf eine Rektusdiastase bieten wir die Rektusdiastase-Sprechstunde an.. Nach einem ausführlichen Gespräch werden Haltung, Atmung und die Funktion der Rumpfmuskulatur überprüft. Da jede Frau andere Schwerpunkte hat, sieht jede Behandlung anders aus. Während der Behandlung lernen die Frauen, die tiefen Bauchmuskeln und den Beckenboden anzusteuern. Ausserdem zeigen wir ihnen, wie sie physiologisch richtig atmen, ihre Rumpfmuskulatur stärken und die Rektusdiastase schliessen können. Die erlernten Strategien können dann in Alltagsaktivitäten wie Gehen, Stehen, Kinder tragen und hochheben, Aufstehen, Abliegen, Bücken, Kinderwagen schieben, usw. integriert werden.

Gemeinsam mit den Frauen legen wir fest, welche Methode die geeignete ist, häufig ist es eine Mischung aus der Heller-Methode, Tummy Team Core Rehab®, der Dr. Sarah Duvall-Methode (PCES) oder der klassischen Physiotherapie.

Die Dauer der Behandlung ist sehr unterschiedlich und dauert zwischen 6 Wochen und 1 Jahr. Sie hängt von folgenden Faktoren ab:

  • Grösse der Rektusdiastase
  • Weichheit der Mittellinie (Linea Alba)
  • Dauer, seit wann die Rektusdiastase besteht
  • Schwanger oder stillend (Hormone haben Einfluss)
  • Zusätzliches Trauma/OPs
  • Genereller Gesundheitszustand (Ernährung, Schlaf, Immunsystem)
  • Ausdauer im Behandlungsplan, Konsequenz in der Umsetzung des Erlernten

Ohne Fleiss kein Preis – auch bei der Rektusdiastase

Das Wichtigste bei der Behandlung einer Rektusdiastase ist es, dass die Frauen bereit sind, regelmässig Übungen selbständig und konsequent durchzuführen. Nur wenn das Gehirn regelmässig bewusst die tiefe Muskulatur anspricht, wird der Körper autonom arbeiten lernen. Hier ist Ausdauer gefragt. Meistens stellen sich bereits nach kurzer Zeit erste positive Veränderungen ein. Ein stabileres Gefühl, bessere Funktion und Optik wirken immer motivierend. Das Erlernte ist immer nachhaltig, die Frauen bewegen sich bewusster, nachhaltiger und schonender. Es ist deshalb nie zu spät, mit der Behandlung zu beginnen. Häufig kommen Frauen dann in die Sprechstunde, wenn die Kinder in den Kindergarten gehen, weil sie dann wieder mehr Zeit für sich selbst haben. Lieber spät als nie!

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