Jährlich erkranken in der Schweiz etwa 440 Männer an Hodenkrebs. Bei Männern unter 40 Jahren ist Hodenkrebs sogar die häufigste Krebsart. Wenn die Krankheit entdeckt wird, bestehen meist gute Heilungschancen. Wie eine Behandlung bei Hodenkrebs aussieht und welche Konsequenzen dies für die Männlichkeit hat, erklärt der Urologe PD Dr. med. Jörn Kamradt, Belegarzt am Salem-Spital in Bern.

Herr Dr. Kamradt, an wen muss ich mich wenden, wenn ich das Gefühl habe, bei mir einen Hodenkrebs ertastet zu haben?

PD Dr. med. Jörn Kamradt: Die erste Ansprechperson bei einem Verdacht auf einen Hodenkrebs ist ein Urologe. Als Facharzt für die männlichen Geschlechtsorgane ist er ein Spezialist, der sich mit der Thematik bestens auskennt.

Was passiert, wenn ich mit dem Verdacht auf Hodenkrebs beim Urologen vorbeigehe?

PD Dr. med. Jörn Kamradt: Der Urologe wird zunächst die Hoden selbst abtasten. Hier gilt das Motto: durch die Hose keine Diagnose. Die Hoden werden dann mit dem Ultraschall untersucht. Mit diesen beiden Untersuchungen kann in den meisten Fällen bereits die Diagnose eines Hodenkrebses gestellt oder ausgeschlossen werden.

Wenn der Urologe den Verdacht auf einen Hodenkrebs hat, wird er eine Blutentnahme zur Bestimmung sogenannter Hodentumormarker durchführen. Ausserdem wird eine Röntgenuntersuchung (CT) vom Brust- und Bauchbereich veranlasst, um sehen zu können, ob bereits Absiedlungen (Metastasen) des Hodenkrebses in Lymphknoten oder Organen vorhanden sind.

Wie sieht die Behandlung bei einem Hodenkrebs aus?

PD Dr. med. Jörn Kamradt: Als Erstes wird in den allermeisten Fällen der vom Tumor befallene Hoden operativ vollständig entfernt. Dieser Eingriff erfolgt über einen kleinen Schnitt in der Leiste und kann in Rückenmarksbetäubung oder Vollnarkose durchgeführt werden. Auch wenn in der Computertomographie bereits Absiedlungen im Körper gefunden wurden, ist die Entfernung des tumortragenden Hodens notwendig, da danach der Pathologe unter dem Mikroskop den Typ und die lokale Ausdehnung des Hodenkrebses bestimmen kann, was für die weitere Therapie wichtig ist. Beim Nachweis von Absiedlungen im Körper folgt eine Chemotherapie, selten kann auch eine Strahlentherapie oder operative Entfernung von Lymphknotenabsiedlungen im Bauchraum notwendig sein.

Muss bei einem Hodenkrebs immer der ganze Hoden entfernt werden?

PD Dr. med. Jörn Kamradt: Bei gesundem und unauffälligem Gegenhoden wird immer der gesamte tumortragende Hoden entfernt. Besteht noch eine Unsicherheit, ob ein Hodenkrebs vorliegt, wird während der Operation eine Probe vom Tumor genommen und zu einer Schnellschnittuntersuchung geschickt. Bestätigt sich unter dem Mikroskop der Hodenkrebs, wird der tumortragende Hoden vollständig entfernt. Lediglich bei einem Einzelhoden oder einem Hodentumor auch auf der Gegenseite kann eine hodenerhaltende Operation versucht werden.

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Habe ich nach einer Hodenkrebsoperation einen leeren Hodensack?

PD Dr. med. Jörn Kamradt: Das ist grundsätzlich richtig. Nach einer Hodenentfernung ist der Hodensack nur noch mit dem Hoden der Gegenseite gefüllt. Wenn dies das Körpergefühl stört, kann man bei der Operation selbst oder auch später noch eine Hodenprothese einsetzen. Diese Hodenprothese besteht aus Kunststoff, fühlt sich wie ein echter Hoden an und ist in verschiedenen Grössen (passend zur Gegenseite) erhältlich. Diese Prothesen sind rein kosmetisch und haben keine biologische Funktion.

Bin ich auch mit nur einem Hoden noch ein Mann?

PD Dr. med. Jörn Kamradt: Ja! Neben der Produktion von Spermien für die Fortpflanzung ist der Hoden wichtigster Produktionsort für das männliche Geschlechtshormon Testosteron. Muss ein Hoden entfernt werden, so ist in aller Regel der gesunde Gegenhoden in der Lage, genug Testosteron zu produzieren, damit die «Männlichkeit» keine Veränderung erfährt. Auch die Spermien eines einzelnen Hodens reichen für die Fruchtbarkeit aus.

In der sehr seltenen Situation, dass beide Hoden gleichzeitig entfernt werden müssten oder nur ein Hoden vorliegt, da zum Beispiel der andere Hoden bereits in der Kindheit aufgrund einer Hodenverdrehung entfernt wurde, kann vor der Entfernung des letzten Hodens Sperma weggefroren werden (sog. Kryokonservierung). So kann ein späterer Kinderwunsch durch künstliche Befruchtung mit den eigenen Spermien weiterhin ermöglicht werden. Die fehlende Testosteronproduktion der Hoden muss in diesen Fällen durch drei monatliche Spritzen mit synthetisch hergestelltem Testosteron ersetzt werden. Die Wirkung des synthetischen Testosterons ist identisch mit dem körpereigenen, so dass man keine Änderung verspürt.

Wie verändert sich mein Sexualleben nach einer Hodenkrebsbehandlung?

PD Dr. med. Jörn Kamradt: Solange noch ein gesunder Gegenhoden vorhanden ist, der ausreichend Testosteron produziert, sind keine Veränderungen der sexuellen Lust, der erektilen Funktion (Gliedsteife) oder der Orgasmusfähigkeit zu erwarten oder zu befürchten. Es muss beim Sexualverkehr weiterhin verhütet werden, da die Spermien des Gegenhodens zur Schwangerschaft führen können. Bei Patienten, bei denen eine operative Entfernung von Lymphknotenabsiedlungen notwendig gewesen ist, kann als Nebenwirkung des Eingriffs dauerhaft ein trockener Samenerguss auftreten. Dabei entleert sich der Samenerguss beim Orgasmus in die Harnblase statt in die Harnröhre. Die Lust und Erektionsfähigkeit werden hierdurch nicht verändert.

Bei mir wurde ein Hodenkrebs entdeckt, welcher behandelt werden soll. Ich habe noch einen Kinderwunsch, ist das nach der Behandlung noch möglich?

PD Dr. med. Jörn Kamradt: Patienten mit einem Hodenkrebs weisen häufiger eine schlechte Spermienqualität auf, die Hodenentfernung und eine mögliche Chemotherapie schränken die Fruchtbarkeit noch weiter ein. Aus diesem Grund wird Patienten mit einem Hodenkrebs vor Behandlungsbeginn das Wegfrieren von Spermien angeboten, um damit eine spätere Fruchtbarkeit zu erhalten. Ist eine Chemotherapie zur Behandlung des Hodenkrebses notwendig, sollte während und ein paar Monate nach der Chemotherapie verhütet werden, um eine Missbildung bei der Zeugung von Kindern zu verhindern.

Ich habe einen Hodenkrebs, der bereits behandelt wurde. Wie gross ist das Risiko, dass auch der andere Hoden erkrankt?

PD Dr. med. Jörn Kamradt: Bei etwa 5 Prozent aller Männer mit einem Hodenkrebs entsteht ein zweiter Tumor im anderen Hoden, und dies meist innerhalb der ersten 5 Jahre nach Erstdiagnose. Sehr selten ist auch eine Erkrankung bis zu 10 Jahre später noch möglich. Bei 1 bis 2 Prozent aller Hodenkrebserkrankungen tritt diese gleichzeitig in beiden Hoden auf.

Ist Hodenkrebs ein bösartiger Krebs?

PD Dr. med. Jörn Kamradt: Die meisten Hodentumore sind bösartig, das heisst, sie haben die Fähigkeit, im Körper Absiedlungen (Metastasen) abzusetzen. Selbst bei Absiedlungen ist die Chance auf eine Heilung vom Krebs sehr hoch. Rund 95 Prozent aller Männer mit Hodenkrebs können davon geheilt werden. Wie bei fast allen bösartigen Tumoren gilt auch beim Hodenkrebs: Je früher er erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen.

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