Viele Frauen haben Bedenken, hormonell zu verhüten. Im Interview klärt Dr. med. Sara Keller, Gynäkologin und Belegärztin an der Hirslanden Klinik Stephanshorn in St. Gallen über die Risiken auf und sagt, warum sie Pille, Spirale und Co. als Verhütungsmittel empfiehlt.

Frau Dr. Keller, immer mehr junge Frauen wollen nicht mehr mit der Pille verhüten. Warum?

Dr. med. Sara Keller: Viele Frauen haben Angst vor Nebenwirkungen und Risiken. Zum Beispiel befürchten sie zuzunehmen. Durch die Pille allein nimmt man jedoch nicht einfach zu. Allerdings können die Hormone das Hungergefühl erhöhen und Wassereinlagerung im Gewebe fördern. Es gibt auch Frauen, die befürchten, durch die Pille Pickel zu bekommen. Dabei wirken gewisse Pillenkombinationen Akne sogar entgegen. Manchen Patientinnen ist es wichtig, die Natürlichkeit zu bewahren, und sie möchten keine von extern zugeführten Hormone nehmen.

Was müssen Frauen in Bezug auf Pille, Spirale etc. unbedingt wissen?

Dr. med. Sara Keller: Man muss die Frauen über die Sicherheit der einzelnen Verhütungsmethoden aufklären. Der Pearl-Index besagt, wie hoch der Anteil an Frauen ist, die trotz Anwendung dieser Verhütungsmethode innerhalb eines Jahres schwanger werden. Liegt er bei 1, wird 1 von 100 Frauen, die ein Jahr lang mit dieser Methode verhüten, trotzdem schwanger. Die Gynäkologin muss bei jeder Frau eine Anamnese machen. Sind Erkrankungen vorhanden? Was sind ihre Wünsche? Wie sieht ihr Lifestyle aus? Bei bestimmten Krankheiten, wie zum Beispiel Gerinnungsstörungen, Bluthochdruck oder gewisse Lebererkrankungen, darf man kein Östrogen geben. Dann kommt statt der Pille ein Gestagen-Präparat wie die Spirale oder die Mini-Pille in Frage. Frauen, die sagen, sie seien nicht genug zuverlässig, um jeden Tag an die Pille zu denken, empfehle ich das Hormonpflaster, den Vaginalring oder die Spirale.

Was spricht für die hormonelle Verhütung mit der Pille?

Dr. med. Sara Keller: Eine hohe Sicherheit und regelmässige Perioden. Auch, dass man die Periode nur alle drei Monate hat, wenn man die Pille im Langzeitzyklus nimmt. Das kann willkommen sein, falls die Frau zum Beispiel das prämenstruelle Syndrom hat. Wenn sie die Pille ohne Unterbrechung drei Monate nimmt, hat sie nur alle drei Monate Symptome wie Kopfweh oder Schmerzen bei den Blutungen. Wie bereits erwähnt, kann sich auch bei Frauen, die unter schwerer Akne leiden, ein Zusatznutzen ergeben. Eine spezielle Art von Gestagen in der Pille wirkt sich positiv auf die Haut aus.

Was spricht gegen die Pille?

Dr. med. Sara Keller: Die Thrombosegefahr. Für eine Patientin, die in der Familie oder schon selbst eine Thrombose erlebt hat oder unter einer Blutgerinnungsstörung leidet, ist die Pille nicht geeignet. Auch starke Raucherinnen und ältere Frauen haben ein erhöhtes Thromboserisiko. Ab 35 steigt die Thrombosegefahr unter der Pille rasant an.

«In der Summe werden mehr Frauen darunter leiden, dass sie die Pille abgesetzt haben, als unter den angeblich gestiegenen Gefahren durch die Pille», so die Aussage eines Arztes. Was denken Sie darüber?

Dr. med. Sara Keller: Es kommt darauf an, von welcher Gefahr man redet. In Bezug auf die Thrombose gebe ich dem Arzt recht. Das Risiko, in einer Schwangerschaft und im Wochenbett eine Thrombose zu erleiden, ist nämlich um ein Vielfaches höher als bei der Pilleneinnahme.

Wie lange darf man die Pille einnehmen?

Dr. med. Sara Keller: Noch vor zwanzig Jahren sagte man, dass man nach einigen Jahren Pilleneinnahme eine Pillen-Pause machen sollte. Heute rät man von der Pillenpause ab. Man weiss, dass, wenn man die Pilleneinnahme immer wieder pausiert und neu beginnt, das Risiko für eine Thrombose gerade in den ersten Monaten der erneuten Pilleneinnahme wieder erhöht ist.

Stimmt es, dass Pille und Brustkrebs einen Zusammenhang haben?

Dr. med. Sara Keller: Ein Zusammenhang besteht. Aber im Zusammenhang mit einer Brustkrebserkrankung gibt es noch viele andere Faktoren. Das Brustkrebsrisiko steigt auch mit dem Alter. Weiter ist es erhöht bei Frauen, die nie geboren haben oder bei der ersten Geburt älter waren, das heisst ab ca. 35 bis 40 Jahren. Zudem bilden Adipositas (Fettleibigkeit) und Alkohol ein Risikofaktor für Brustkrebs. Es gibt aber auch Arten von Krebs, deren Risiko die Pille senkt. Sie sorgt für ein kleineres Risiko für Gebärmutterkrebs und für Eierstockkrebs.

Welche Folgeschäden kann die Pille sonst verursachen?

Dr. med. Sara Keller: Thrombosen können zu Lungenembolien und Hirninfarkten resp. Schlaganfällen führen.

Wie gross sind die Unterschiede bezüglich Krankheiten bzw. Folgeschäden bei der Pille im Vergleich zu Spirale, Hormonpflaster etc.?

Dr. med. Sara Keller: Ein Hormonpflaster hat das gleiche Thromboserisiko wie die Pille. Eine Hormonspirale hat ein tieferes Thromboserisiko, weil darin kein Östrogen enthalten ist. Allerdings gibt es auch die Mini-Pille, die, wie die Hormonspirale, nur Gestagen enthält. Sie ist auch sicher, die Periode erfolgt aber oft in unregelmässigen Abständen.

Welche sicheren Möglichkeiten zur Verhütung empfehlen Sie und von welchen würden Sie unbedingt abraten?

Dr. med. Sara Keller: Von chemischen Sprays, der alleinigen Temperaturmethode und vom Coitus interruptus rate ich ab. Bei der Temperaturmethode muss die Frau ein Minimum an Stunden geschlafen haben, damit diese zuverlässig ist. Diese Methode würde ich eher Paaren empfehlen, die Kinderwunsch haben – um die fruchtbaren Tage zu evaluieren.

Die sicheren Möglichkeiten sind die Pille sowie die Hormon- oder die Kupferspirale und der Vaginalring, den man in die Scheide einführt. Und die Methode, die zudem Geschlechtskrankheiten verhindern kann: das Kondom.

Sollten gewisse Frauen unbedingt auf Pille und Spirale verzichten?

Dr. med. Sara Keller: Vor allem auf die Pille. Spirale und Pille darf man ja nicht gleichsetzen. Pille, Vaginalring und Pflaster enthalten Östrogene. Diese sind für die meisten Nebenwirkungen und die Thrombosen verantwortlich. Wenn die Frau unter gewissen anderen Erkrankungen leidet, sollte man die Pille nicht anwenden. Die Spirale eignet sich dann besser, weil darin nur ein Gestagen enthalten ist.

Hat Gestagen keine Nebenwirkungen?

Dr. med. Sara Keller: Bei der Mini-Pille hat das fehlende Östrogen unregelmässigere Zyklen zur Folge.

Gibt es Präventionsmöglichkeiten, damit die Nebenwirkungen der hormonellen Verhütung geringer ausfallen?

Dr. med. Sara Keller: An sich Präventionsmöglichkeiten gibt es nicht. Aber die Palette an Verhütungsmitteln ist gross, so dass auf verschiedene Risikokonstellationen oder Nebenwirkungserscheinungen mit verschiedenen Verhütungsmethoden reagiert werden kann. Der Gynäkologe muss im Voraus durch Anamnese und Untersuch einschätzen, welche die passende Methode ist. Wenn eine Frau jeweils während der hormonfreien Zeit über Kopfschmerzen klagt, ist eine Pille mit einem kleineren hormonfreien Intervall sinnvoll. Für eine Frau mit Hautproblemen eignet sich eine Pille, die der Akne entgegenwirkt. Einer Frau, die oft mit dem Magen Probleme hat und Medikamente nicht so gut verträgt, würde ich eher ein Hormonpflaster oder den Vaginalring empfehlen.

Welche Nebenwirkungen und Krankheiten haben Sie bei Patientinnen erlebt, die hormonell verhüten?

Dr. med. Sara Keller: Viele Frauen klagen über Weinerlichkeit, Libido-Abnahme, depressive Verstimmungen oder Launenhaftigkeit. Eine Studie von 2016 besagt, dass die Pilleneinnahme das Risiko von Depressionen erhöht. Eine andere Untersuchung hingegen zeigt auf, dass die Pille die Lebensqualität steigert. Wenn eine junge Frau unbedingt die Pille will und keine Risiken vorhanden sind, bringt es nichts, ihr diese auszureden. Wenn ich finde, für eine Frau eignet sich die Spirale, und sie dagegen ist, sage ich nicht, «Probieren Sie es mal». Es ist wichtig, auf die Wünsche der Frauen einzugehen, sie nicht zu überreden und sie über die Vor- und Nachteile aufzuklären. Weil es so viele Möglichkeiten gibt, findet in der Regel jede Frau die für sie passende Verhütung.

So sicher sind folgende Verhütungsmethoden:

Verhütungsmethode   Pearl-Index
Hormonimplantat 0–0,8
Sterilisation des Mannes 0,1
Hormonspirale 0,16
Pille 0,1–0,9
Sterilisation der Frau 0,2–0,3
Kupferspirale 0,3–0,8
Depotspritze 0,3–0,8
Vaginalring 0,4–0,65
Mini-Pille 05.-3
Verhütungspflaster 0,72–0,9
Basaltemperaturmethode 0,8–3
Diaphragma 1–20
Kondom 2–12
Chemische Verhütungsmittel 3–21
Coitus interruptus 4–18
Kondom für die Frau 5–25
Portiokappe 6
Kalendermethode 9
Keine Verhütung 85