Ein lauter Knall, ein stechender Schmerz oberhalb der Ferse – in der Regel bedeutet das, dass die Achillessehne gerissen ist. Ein solcher Riss kann aber auch schleichend entstehen und sich immer häufiger mit einem Zwicken zu Wort melden. Wie akute und chronische Achillessehnenrisse diagnostiziert und behandelt werden, erklärt uns Dr. med. Claude Müller, Belegarzt an der Klinik Birshof, im Interview.

Herr Dr. Müller, wie bemerkt man einen Achillessehnenriss?

Dr. med. Claude Müller: Man unterscheidet zwischen akuten und chronischen Rissen. Der akute ist meist eindeutig: Der Patient erzählt, er habe einen lauten Knall gehört und es fühle sich an, als ob ihm jemand stark in die Ferse getreten habe. Er kann kaum noch auftreten. Der Riss und so auch der Schmerz sind dabei nicht selten etwa 8 cm oberhalb des Sehnenansatzes. Dies ist meist schon die Diagnose, auch wenn ich den Riss oft nicht mehr ertasten kann, weil ein paar Stunden nach dem Unfall schon alles geschwollen ist.

Beim chronischen Riss zwickt es immer mal wieder, der Patient kann aber gut auftreten und die meisten Bewegungen ausführen. Die Schmerzen schleichen sich immer mehr ein, während die Sehne stetig ein Stückchen weiter einreisst. Um einen chronischen Riss eindeutig zu diagnostizieren braucht es eine MRI-Aufnahme. Diese zeigt, ob es sich um einen ein chronischen Riss oder eine andere Erkrankung der Sehne handelt.

Was soll der Patient bei einem Achillessehnenriss tun?

Dr. med. Claude Müller: Bei einem akuten Riss: Kühlen und einen Arzt aufsuchen. Wenn verfügbar, soll der Patient gleich auf Gehstöcke zurückgreifen.

Bei Verdacht auf einen chronischen Riss oder sonstigen Schmerzen an der Achillessehne oder an deren Ansatz empfehle ich den Gang zum Arzt, sobald Tätigkeiten schmerzen, die sonst nie Mühe bereitet haben. Eventuell kann man so mit Dehnungsübungen und Physiotherapie Schlimmeres verhindern oder behandeln, bevor es zu einem kompletten Riss kommt.

Wie entsteht ein Achillessehnenriss?

Dr. med. Claude Müller: Der Riss kann beim Sport, aber auch im Alltag passieren. Warum die Sehne wirklich gerissen hat, findet man meist nicht eindeutig heraus. Die Achillessehne selbst hat eigentlich eine hohe Rissfestigkeit. Pro Quadratzentimeter kann sie etwa 800 kg Kraft aushalten. Wenn aber der komplette Muskel aktiviert wird, kann die Sehne auch reissen, insbesondere bei Leuten mit einer gut trainierten Muskulatur. Bei «normalen» Bewegungen wird meist nicht der ganze Muskel aktiviert, sondern nur eine gewisse Anzahl der Fasern. Sind bei einer plötzlichen Bewegung aber 100% dieser Fasern im Einsatz, kann es durchaus zum Knall kommen.

Zudem gibt es bei der Achillessehne ein Areal, das etwas schlechter durchblutet ist als der Rest der Sehne und deshalb eine leichte Schwachstelle ist. Dieses Areal befindet sich etwa 8 cm oberhalb des Achillessehnenansatzes, wo typischerweise auch die meisten Risse stattfinden. Sportliche Anstrengungen können immer wieder zu kleinen Rissen in Muskeln (Muskelkater), aber auch in Sehnen führen, die der Körper automatisch repariert. Bei schlecht durchbluteten Arealen kommen diese sogenannten Mikrotraumen häufiger vor, als sie der Körper reparieren kann. Beim chronischen Riss entwickelt sich so eine andauernde Entzündung, bei der immer wieder ein Stückchen reisst, bis es schmerzt. Es gibt aber auch fliessende Übergänge, wenn ein chronischer Riss plötzlich ganz reisst. Dies vermute ich bei Patienten, die sagen, sie hätten vor dem Unfall schon immer wieder Schmerzen gehabt.

2 MRI-Aufnahmen von gerissenen Achillesssehnen

Zwei MRI-Aufnahmen von gerissenen Achillessehnen

Gibt es Risiken für einen Achillessehnenriss?

Dr. med. Claude Müller: Stop-and-Go-Sportarten wie Squash, Badminton sind sicher prädestinierter für eine solche Verletzung im Gegensatz zu Sportarten mit gleichmässigen Bewegungen. Zudem gibt es gewisse Erkrankungen, die Sehnenrisse oder andere Sehnenbeschwerden fördern können wie eine chronische Niereninsuffizienz oder die rheumatoide Arthritis. Eine eigentliche Risikogruppe gibt es aber nicht. Ein solcher Riss kann immer passieren.

Kann man solchen Verletzungen vorbeugen?

Dr. med. Claude Müller: Ich empfehle, regelmässig die Waden zu dehnen. So kann man eine dauernde Vorspannung der Sehne verhindern, was das Risiko für eine Reizung oder Riss erhöhen kann.

Muss ein Achillessehnenriss operiert werden?

Dr. med. Claude Müller: Nicht unbedingt. Es gibt auch eine konservative Methode. Diese ist ein eigenes Therapieverfahren, das zum Beispiel in der Region Bern häufiger angewendet wird (Man spricht deshalb auch von der «Berner Schule».)

Dabei stellt man den Fuss alle zwei Wochen mit einem neuen Gips in einem angepassten Winkel ruhig: Gestartet wird mit einem 30°-Spitzfuss (Hochstellung der Ferse). Die Verheilung wird im Ultraschall kontrolliert und man gipst anschliessend den Fuss in einem anderen Winkel. Das Prozedere wird wiederholt, bis der Fuss wieder grade belastbar ist.

Das Resultat bezüglich Rissfestigkeit, Kraftaufbau etc. der Sehne nach etwa einem Jahr ist durchaus gleichwertig mit dem einer Operation. Die konservative Methode ist aufwendiger. Die Dauer der Behandlung inkl. Arbeitsunfähigkeit dauert zudem etwas länger als bei der Operation. Bei einer Operation gelten dafür die üblichen Operationsrisiken. Wenn aus anderen Gründen das Operationsrisiko erhöht ist oder der Patient grosse Angst vor einer Operation hat, macht die konservative Behandlung erst recht Sinn.

Diese konservative Methode funktioniert also gut, man kann sie aber nicht überall anwenden. Nicht, weil sie sonderlich schwierig wäre, sondern weil man ein eigenes Setting für diese Gipsanbringungen braucht. Wir haben dieses Setting hier nicht, sondern sind auf die verschiedenen Operationsmöglichkeiten spezialisiert.

Wie operiert man einen Achillessehnenriss?

Dr. med. Claude Müller: Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, eine gerissene Achillessehne zu reparieren. Meiner Meinung nach gibt es keine «beste», sondern sie muss individuell gewählt werden. Die Wahl der Methode hängt zum einen davon ab, was an Sehnenmaterial übrig ist, aber auch, auf was sich der behandelnde Arzt spezialisiert hat. Eine klare Überlegenheit kann ich keiner Methode postulieren. Die Nachbehandlung ist bei allen grundsätzlich gleich. Das Resultat bezüglich Kraft etc. nach ca. einen Jahr auch.

Wenn möglich, näht man die Sehne selbst mit einer speziellen Naht wieder zusammen. Wenn das noch vorhandene Sehnenmaterial zu kurz oder der Stumpf zu ausgefranst für eine volle Naht ist, kann eine sogenannte V-Y-Plastik helfen: Man schneidet einen Sehenteil wie ein V zu und kann so etwas an Länge gewinnen. Man zieht die entstandene Spitze zum anderen Sehenteil und näht das Ganze als Y zusammen. Die Idee ist, zwei Sehnenstümpfe so nahe aneinander zu bringen, dass man sie nähen kann, ohne mit der Naht allzu stark zu ziehen. Ist die Spannung im Faden zu gross, reisst er.

Eine weitere Möglichkeit ist, ein Stück der noch vorhandenen Achillessehne herauszuschneiden und wie einen Lappen herunterzuklappen (also im Prinzip wie eine Bananenschale). Damit gewinnt man eine Verstärkung für die Naht und ein «Regenerat“, woraus sich wieder eine neue Sehne bilden kann.

Bei chronischen Veränderungen, wenn ich ein grösseres Areal über längere Strecken überbrücken muss, nehme ich am liebsten ein Stück Muskel vom Grosszeh, setze dieses in die Sehne rein und verankere es am Knochen. So hat man ein Stück gesunden Muskel in der Sehne, was sehr gut heilt.

Weitere «Ersatzmöglichkeiten» sind zum Beispiel Stücke aus dem Oberschenkelmuskel inkl. Knochenblock der Kniescheiben. Oder notfalls auch Plastiken, die nicht körpereigen sind. Es gibt zig Varianten. In der Regel empfiehlt es sich aber, möglichst auf körpernahes Material zurückzugreifen.

Je nachdem braucht man noch einen Trick und Kniff, damit man genügend Material zum Nähen hat. Aber ich find eigentlich immer etwas, das ich «zämäwifle» kann [lacht]. Der Körper stellt meist genug eigenes Material zur Verfügung, beginnt, mit diesem zu arbeiten und etwas aufzubauen. Er ist nicht darauf angewiesen, dass wir ihm sagen, wie er zu funktionieren hat. Wir können ihn nur in gewisse Richtungen unterstützen, dass er das macht, was er ohnehin machen würde: Also zum Beispiel durch «Zusammenbüscheln» und Ruhigstellen den eigenen Heilungsprozess unterstützen.

Wie lange dauern Operation und die Regeneration danach?

Dr. med. Claude Müller: Unabhängig von der Methode dauert die Operation etwa eine Stunde. Darauf folgen zwei bis drei Nächte im Spital. Nach der Operation muss der Patient für sechs Wochen einen sogenannten VACOped-Schuh tragen. Dieser bringt den Fuss in eine Spitzfussstellung, sodass die Sehne entlastet wird. Der Winkel wird dabei fortlaufend verändert: erst 30°, dann 15°, dann Normalstellung, das Ganze bei Teilbelastung. Zudem gibt es von Anfang an Physiotherapie, damit etwas Bewegung reinkommt und die Weichteile nicht verkleben, nach sechs Wochen dann mit Belastungsaufbau.

Nach drei Monaten darf der Patient leichte sportliche Aktivitäten aufnehmen. Nach fünf bis sechs Monaten ist die Sehne so gut verheilt, dass sie beim Sport wieder gleich wie vor dem Unfall belastet werden darf. Die regenerierte Sehne hat zwar nicht mehr die gleich Faserdichte wie früher, aber sie wird etwas dicker, um dies zu kompensieren, was auch sichtbar ist.

Herzlichen Dank für das aufschlussreiche Interview!

 

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