Die Leber hat eine grossartige Eigenschaft: Sie ist als einziges menschliches Organ fähig «nachzuwachsen». Dies ist von grossem Nutzen, zum Beispiel bei Krebsablegern in der Leber. Bei einer Teilleberentfernung «wächst» diese wieder nach. Wie viel von der Leber aber entfernt werden kann, ohne ein Leberversagen zu riskieren, hängt von der Funktionsfähigkeit der Leber ab. Mit dem Leberfunktionstest LiMAx® kann die Leberfunktion getestet und so die Operation genau geplant werden. Als eine der wenigen Kliniken in Europa und als zweite Klinik in der Schweiz setzt die Hirslanden Klinik Beau-Site diesen Test ein. Prof. Dr. med. Sascha A. Müller erklärt uns im Interview, wie der Leberfunktionstest funktioniert und eingesetzt wird, um die Patientensicherheit zu erhöhen.

Bei welchen Erkrankungen ist eine teilweise Entfernung der Leber nötig?

Prof. Dr. med. Sascha A. Müller: Die häufigste Ursache sind Lebermetastasen, also Ableger eines Tumors in der Leber. Diese stammen am häufigsten von einem Darmkrebs und befinden sich in ansonsten relativ gesunden Lebern.

Seltener sind primäre Krebsformen, die von der Leber ausgehen, nämlich der Gallengangskrebs und der Leberzellkrebs. Sie treten meist in Lebern auf, die schon geschädigt sind, oftmals durch eine chronische Leberzellentzündung (Hepatitis) oder langjährigen Alkoholkonsum.

Zudem gibt es gutartige Erkrankungen wie Leberzysten oder Blutschwämmchen (Hämangiome). Diese können so gross werden, dass sie auf umgebende Organe wie den Magen drücken und operiert werden müssen.

Warum ist es wichtig, vor einer Teilentfernung der Leber deren Funktionsfähigkeit zu testen?

Prof. Dr. med. Sascha A. Müller: Im Gegensatz zum Dickdarm, wo es weniger eine Rolle spielt, ob man 5 Zentimeter mehr oder weniger entfernt, kann man bei einer Leber zu viel entfernen. Wenn dies der Fall ist, zeigt der Patient eine Leberunterfunktion und muss oft längere Zeit auf der Intensivstation betreut werden. Im schlimmsten Fall führt dies zu einem Leberversagen, welches innerhalb von wenigen Stunden oder Tagen zum Tod führt.

Wie viel Leber braucht denn der Mensch?

Prof. Dr. med. Sascha A. Müller: Das kommt auf deren Funktionsfähigkeit an, was den Einsatz des Testes so spannend und sinnvoll macht. Von einer völlig gesunden Leber können circa 75 Prozent entfernt werden. Nun zeigt aber etwa jede zweite Leber gewisse pathologische Veränderungen, sei dies eine leichte Verfettung, eine Leberentzündung, eine Leberfibrose (Umbau von Lebergewebe in Bindegewebe) oder gar eine Leberzirrhose (Leberschrumpfung). Je kränker die Leber ist, desto weniger leistet sie und desto weniger darf der Chirurg entfernen. So kann ich zum Beispiel bei der schwersten Form einer Leberzirrhose gar nicht mehr operieren.

Hier greift der Leberfunktionstest LiMAx® und eine einfache Berechnung anhand der Volumetrie. So weiss ich schon vor der Operation, wie gut die Leberfunktion nach der Operation sein wird. Dies beeinflusst den Entscheid, ob ein Patient operiert werden kann oder nicht.

Wie funktioniert der Test?

Prof. Dr. med. Sascha A. Müller: Der Patient gibt Körpergrösse und Gewicht an, sodass wir sein Körpervolumen kennen. Er erhält eine Atemmaske, die mit dem LiMAx®-Gerät verbunden ist. Dem Patienten wird eine auf sein Volumen abgestimmte Menge des Medikaments 13C-Methacetin über eine Vene gespritzt. Dieses Mittel trifft dann «flutartig» auf die Leber, die es verstoffwechselt. Funktionierende Leberzellen bauen dieses Medikament relativ schnell in Paracetamol und 13CO2 um. Das 13CO2 wird wieder über die Atemluft abgegeben und gemessen. Das Gerät stellt dies auf einer Kurve dar. Sobald der Höchstwert erreicht ist, kann der Test beendet werden. Der Test dauert in der Regel 30 bis 40 Minuten. Bei einer Leberzirrhose kann er bis zu einer Stunde dauern und die Kurve ganz flach ausfallen, da die Leber weit mehr Mühe hat, das Medikament zu verstoffwechseln.

Der Höchstwert des Tests ergibt einen Wert, mit dem sich einfache Berechnungen durchführen lassen. 600 µg/kg/h ist zum Beispiel ein hervorragender Wert. Muss ich aufgrund von Tumoren 50 Prozent der Leber entfernen, habe ich nach der Operation noch einen Wert von 300 µg/kg/h, was bei Weitem reicht. Der berechnete Wert nach der Operation sollte im Idealfall über 140 µg/kg/h betragen. Habe ich einen Patienten mit einem Ausgangswert von 210 µg/kg/h, weiss ich, dass eine Leberentfernung um 50 Prozent keine gute Prognose bringen würde.

In welchen Fällen zeigen sich hohe Leberfunktionswerte?

Prof. Dr. med. Sascha A. Müller: In der Metastasenchirurgie trifft dies öfters zu, also wenn es sich um Ableger eines anderen Tumors in der Leber handelt. Oft ist hier die Leberfunktion noch so intakt, dass man etwa drei Viertel der Leber entfernen kann. Bei einem primären Leberkrebs hingegen ist die Funktion der Leber meist schon so eingeschränkt, dass eine Operation nicht mehr möglich ist und nur noch medikamentöse Therapien oder alternative Therapiemöglichkeiten eingesetzt werden können.

Wie gehen Sie vor, wenn die Leberfunktion für eine Operation nicht reicht?

Prof. Dr. med. Sascha A. Müller: Die Funktion an sich kann ich nicht verbessern, aber das Volumen, indem ich vor der Operation das Leberwachstum anrege. Dazu wird zum Beispiel ein Gefäss verschlossen, sodass der kranke Teil der Leber, der sowieso entfernt werden muss, schrumpft. Die Zellen des gesunden Leberbereichs merken, dass sie mehr leisten müssen, und bringen diesen Teil zum Wachsen. In einigen Fällen hilft dies sehr gut und ermöglicht teilweise eine Operation.

Eine weitere Variante ist, die Therapiemethoden zu wechseln. Beispielsweise kann man einzelne Ableger mit einem speziellen Verfahren «verbrennen» oder eine medikamentöse Therapie vorziehen.

Wird der Test auch anderweitig eingesetzt als bei Leberteilentfernungen?

Prof. Dr. med. Sascha A. Müller: Der Test kann überall helfen, wo die Leberfunktion eine Rolle spielt, auch wenn dies noch nicht so etabliert ist. So kann man zum Beispiel regelmässig die Leberfunktion eines Patienten mit chronischer Hepatitis mit dem Risiko einer Leberzirrhose überwachen. Bleiben die Werte stabil, ist das gut für den Patienten. Werden sie jedoch schlechter, muss in ausgewählten Fällen über eine Transplantation nachgedacht  werden. In der Intensivmedizin können Medikamente, die die Leber beeinträchtigen können, dank des Tests besser dosiert werden.

Wie neu ist diese Testmöglichkeit?

Prof. Dr. med. Sascha A. Müller: Ein Chirurg der Berliner Charité startete 2004 zusammen mit einem Physiker die Entwicklung und gründeten eine Firma. Ab 2007 stand das zweite Gerät weltweit in Heidelberg, als ich selbst dort tätig war. In dieser Prototypphase waren die Geräte noch nicht so handlich und hübsch wie unser jetziges [lacht]. Es gibt momentan circa zehn Geräte der Folgegeneration, ein Grossteil davon ist in Deutschland im Einsatz. Das erste Gerät in der Schweiz besitzt das Kantonsspital St. Gallen, wir in der Klinik Beau-Site nun das zweite. Es sind aber weitere Geräte in Produktion.

Wie wird eine Leberentfernung ohne diesen Leberfunktionstest geplant?

Prof. Dr. med. Sascha A. Müller: Kliniken, die über kein solches Gerät verfügen, orientieren sich vor allem an Blutwerten, wie wir in der Vergangenheit auch. Das Problem ist, dass die Leberwerte im Blut noch relativ lange gut sein können, obwohl die Leber schon geschädigt ist. In einem solchen Fall würde man erst nach der Operation merken, dass zu viel der Leber entfernt wurde. Der Leberfunktionswert aufgrund dieses Tests ist jedoch eindeutig. Ein erfahrener Leberchirurge kann zwar klar anhand der Blutwerte und des CT-Bildes schon sehr viel abschätzen. Wir haben aber doch etwa vier Patienten pro Jahr, bei denen wir aufgrund des Testes das Behandlungskonzept geändert haben. Und wenn vier Patienten nicht auf die Intensivstation müssen, lohnt sich ein solcher Test auf alle Fälle. Vor allem bei nicht ganz eindeutigem Sachverhalt ist dieser Test extrem hilfreich, weil man das Resultat fast aufs Gramm genau voraussagen kann und nicht erst nach der Operation weiss.

Eigentlich erstaunlich, dass dieser Test noch nicht verbreiteter ist …

Prof. Dr. med. Sascha A. Müller: Das ist so. Und das obwohl die Daten zeigen, dass vor Einführung des Leberfunktionstests mehr Patienten nach Leberteilentfernungen lange auf der Intensivstation lagen. Dank des Tests sind die Patienten in der Regel nur ein bis zwei Tage auf der Intensivstation. Ebenso ist das Sterblichkeitsrisiko dank des Tests massiv reduziert worden (um mehr als die Hälfte).

Dazu kommt: Der Test ist relativ einfach durchführbar, funktioniert ambulant, stationär oder auf der Intensivstation und es braucht kein grosses Setting, sondern nur eine Steckdose.

Es gibt natürlich auch eindeutige Fälle, für die ich keinen LiMAx®-Test brauche: Muss ich einem gesunden 40-Jährigen ohne Risikofaktoren 15 Prozent der Leber wegen eines Ablegers entfernen, weiss ich aus Erfahrung, dass der Patient nach der Operation noch eine ausreichende Leberfunktion hat. Aber wenn ich einem kritischen Patienten die Hälfte oder mehr entfernen muss, bin ich sehr dankbar für diesen Test.

Besten Dank für das spannende Interview.