Wie ein «Loch in der Brust» sieht sie aus, die Thorax-Deformation namens Trichterbrust. Auffällig ist die Trichterbrust vor allem, wenn betroffene Menschen ihren Oberkörper entblössen. Neben gelegentlichen körperlichen Beschwerden, die nicht ausser Acht gelassen werden sollen, sind es vor allem psychische Probleme, die die Betroffenen beschäftigen. Der Besuch einer Badeanstalt, das Tragen enger Pullover oder Gruppenumkleidekabinen im Turnunterricht können so schnell zur Belastung werden, insbesondere in der Pubertät.

Früher konnte Betroffenen nur eine aufwendige Operation mit relativ hohem Blutverlust und Komplikationsrisiko helfen. Heute steht eine wesentlich bessere, vereinfachte Methode zur Verfügung, die Dr. Wolfgang Nagel in der Klinik Stephanshorn in St.Gallen anbietet. Der Spezialist für Gefässchirurgie und Thoraxchirurgie berichtet uns im Interview mehr über die Trichterbrust und wie solchen Patienten heute geholfen werden kann.

Herr Dr. Nagel, erklären Sie uns bitte, was eine Trichterbrust ist.

Dr. med. Wolfgang Nagel: Die Trichterbrust ist eine trichterförmige Einsenkung des unteren Brustbeins. Das heisst, der Abstand zwischen Brustbein und der Wirbelsäule ist kleiner als üblich, was dann eben wie ein Trichter aussieht. Der Gegensatz dazu ist die sogenannte Kielbrust oder Hühnerbrust, bei der das Brustbein vorgewölbt ist.

Woher kommt diese Deformation?

Dr. med. Wolfgang Nagel: Eine Trichterbrust ist eine angeborene Fehlbildung, die oft familiär gehäuft vorkommt. Das Baby kommt also bereits damit zur Welt. In der Pubertät bildet sich die Trichterbrust dann richtig aus. Früher, vor allem als die operative Korrektur noch viel schwieriger war, riet man oft: «Das wächst sich dann schon aus, warten Sie mal ab.» Nur leider wird die Trichterbrust aber eher ausgeprägter, bis sie dann fast nicht mehr zu korrigieren ist. Je älter man ist, desto schwieriger ist die Behandlung.

Wie häufig kommt eine Trichterbrust vor?

Dr. med. Wolfgang Nagel: In etwa jedes 1000. Kind ist von einer Trichterbrust betroffen, die somit die häufigste angeborene Fehlbildung ist. Männer sind drei- bis viermal häufiger als Frauen betroffen. Dazu kommt, dass es bei Männern einfach auch mehr auffällt, weil sie im Gegensatz zu den Frauen ja rund um das Trichterloch flach sind.

Welche Beschwerden kann eine Trichterbrust verursachen?

Dr. med. Wolfgang Nagel: In der Regel sind es «nur» psychosoziale Probleme, die wirklich belasten. Je nachdem, wie tief dieser Trichter ist, kann eine Trichterbrust auch körperliche Beschwerden verursachen, wie zum Beispiel Schmerzen oder Stechen beim Liegen oder Umdrehen. Gelegentlich kann es auch zu Herz- oder Atemproblemen kommen, weil das nach innen gerichtete Brustbein Druck auf diese Organe ausübt. Diese möglichen körperlichen Beschwerden soll man nicht ausser Acht lassen. Der psychische Krankheitswert steht aber absolut im Vordergrund, spätestens in der Pubertät.

Die Behandlungsmethoden einer solchen Trichterbrust haben sich in den letzten Jahren verändert. Erklären Sie uns doch bitte kurz, wie früher operiert wurde.

Dr. med. Wolfgang Nagel: Das waren richtig grosse Operationen mit einem grossen Schnitt über dem Brustbein. Man durchtrennte Knochen und Knorpel und fügte sie wieder aneinander. Das war eine etwa vierstündige offene Operation mit Blutverlust und entsprechend höherem Risiko. Sie zog eine lange Nachbehandlung und eine grosse, unschöne Narbe nach sich.

Wie kam es zum Wechsel in der Operationsmethode?

Dr. med. Wolfgang Nagel: Ende der 90er Jahre entwickelte der amerikanische Kinderchirurge Donald Nuss eine neue Methode, weshalb man auch von der «Trichterbrustkorrektur nach Nuss» spricht. Die Ergebnisse bei Kindern waren im Vergleich zu früher sehr gut und die Operationen komplikationsarm. Die Methode wurde nach und nach auf Erwachsene übertragen. Der Kinderchirurge Guido Baumgartner (Ostschweizer Kinderspital) und ich führten diese dann Anfang der 2000er Jahre im St.Galler Kantonsspital ein, mit gemeinsamen Know-how, er aus der Kinderchirurgie, ich aus der Thoraxchirurgie.

Damals war eine solche Operation in der Schweiz nur im Unispital in Bern und bei uns möglich. Heute ist die Methode um einiges verbreiteter und fast jede Klinik mit thoraxchirurgischen Spezialisten bietet sie an.

Wie behebt die neue Methode die Trichterbrust?

Dr. med. Wolfgang Nagel: Die Operation dauert in der Regel nur noch 30 Minuten bis maximal eine Stunde. Auf beiden Seiten des Brustkorbs werden quere Schnitte angelegt. Man führt einen Bügel aus chirurgischem Stahl oder Titan zwischen die Rippen hinter dem Brustbein hindurch bis zur anderen Seite und fixiert den Bügel auf der Aussenseite des Brustkorbes mit Platten. Man kann sich das wie ein Schwert vorstellen, dass man an Herz und Lunge vorbeiführt. Damit man diese Organe nicht verletzt, wird das Ganze mit einer Kamera im Brustkorb überwacht. Zudem setzt man ein spezielles Anästhesieverfahren ein, bei dem die beiden Lungenflügel getrennt beatmet werden können.

Die Bügel gibt es in verschiedenen Längen. Während der Operation wird der Bügel mit speziellen Geräten individuell für den Patienten angepasst und dann umgedreht, sodass dieser den Brustkorb ausbeult. Dieser Bügel hält nach der Operation das Ganze in Form, bis sich der Knochen so angepasst hat, dass er auch später nach Entfernen des Bügels stabil bleibt.

minimalinvasive Behandlung einer Trichterbrust

Der Bügel wird zwischen Rippen hindurch hinter dem Brustbein eingeschoben und so gedreht, dass der Brustkorb ausgebeult wird.

Wie schmerzhaft ist die Zeit nach der Operation und für wie lange?

Dr. med. Wolfgang Nagel: Das ist das Hauptproblem: ziemlich schmerzhaft, und je älter, desto schmerzhafter, weil der Knochen nicht mehr so dehnbar ist. Die Patienten erhalten deshalb für die ersten Tage einen sogenannten Periduralkatheter, also einen Schmerzkatheter ans Rückenmark mit hochdosierten Schmerzmitteln. Etwa eine Woche bleiben die Patienten im Krankenhaus. Die meisten Patienten sind dann nach vier bis sechs Wochen, für die sie Schmerzmittel erhalten, schmerzfrei.

Hat der Patient nach der Operation Einschränkungen im Alltag?

Dr. med. Wolfgang Nagel: Die ersten vier Wochen ist körperliche Schonung angesagt, zum Beispiel keine Drehbewegungen oder Armeheben (wie zum Beispiel beim Wäscheaufhängen). So etwas würde an den Abstützplatten des Bügels ziehen, sodass dieser abkippen könnte. Das schmerzt dann und ist sichtbar, weil der Bügel nach vorne raussteht. Etwa drei Monate lang sollte der Patient auch Kontaktsportarten vermeiden. Danach geht alles wieder.

Keine Nachteile mit dem Bügel im Körper?

Dr. med. Wolfgang Nagel: Grundsätzlich merkt der Patient nichts mehr, wenn die anfänglichen Schmerzen mal vorbei sind. Ein Nachteil ist aber, dass der Bügel eine Reanimation mittels einer manuellen Druckmassage verhindern würde, weil er sehr stabil ist.

Wie lange bleibt der Bügel im Körper?

Dr. med. Wolfgang Nagel: Das hängt etwas vom Alter ab. Bei Zehnjährigen etwa ein Jahr. Ist der Knochen bereits ausgewachsen, dauert es länger, bis er sich angepasst hat, und es schmerzt auch mehr. Beim Erwachsenen bleibt er je nach Alter zwei bis drei Jahre lang drin.

Zum Entfernen des Bügels braucht es eine Reoperation, die manchmal länger dauert als das Einsetzen, weil der Bügel mit der Zeit ziemlich einwachsen kann und «rausgemeisselt» werden muss. Ist der Bügel dann aber draussen, ist die Sache «gegessen» und die Patienten gehen in der Regel am nächsten Tag wieder nachhause.

Welches Alter empfehlen Sie für die Operation einer Trichterbrust?

Dr. med. Wolfgang Nagel: Das günstigste ist zwischen 10 und 14 Jahren, weil der Knochen noch dehnbarer und anpassungsfähiger als im Erwachsenenalter ist und weil man so noch vor der Pubertät die psychischen Probleme vermeidet.

Alles in allem klingt diese Operationsmethode nach einer guten Lösung, um betroffenen Patienten zu helfen.

Dr. med. Wolfgang Nagel: Ja, die Operation ist wirklich viel einfacher und kürzer geworden als früher und hat weniger Blutverlust zur Folge, das heisst, sie ist auch um einiges risikoärmer. Das Risiko von Herz- und Lungenverletzungen ist zwar nach wie vor vorhanden, aber seltener als früher.

Aber es bleibt eine Operation mit all ihren Risiken und Beschwerden: Operation, Vollnarkose, Spitalaufenthalt und nicht zu vergessen auch eine Reoperation, um den Bügel wieder zu entfernen. Und schlussendlich ist es eine Operation, die nicht zwingend nötig ist. Eine solche Missbildung ist nicht lebensbedrohlich, auch wenn der Patient darunter leidet. Ich rate auch öfters Patienten von der Operation ab, wenn die Trichterbrust nur wenig ausgeprägt ist und Nutzen und Risiko in einem Missverhältnis stehen.

Wie sieht es mit der Kostenübernahm durch die Krankenkassen aus?

Dr. med. Wolfgang Nagel: Von den Krankenkassen wird die Korrektur einer Trichterbrust in der Regel nicht übernommen (keine Pflichtleistung). Nur in wenigen Fällen, wenn über psychiatrische Gutachten nachgewiesen werden kann, dass der Leidensdruck sehr gross ist, werden die Kosten übernommen. Aber diesen Weg zu gehen, ist für viele Patienten nicht angenehm.

Allerdings wird die Operation bis zum abgeschlossenen 20. Lebensjahr von der IV bezahlt, weil die Trichterbrust als Geburtsgebrechen anerkannt ist. Deshalb ist der Rat «Abwarten, es wächst sich schon aus» doppelt falsch, denn wenn man später doch operieren möchte, zahlt keine Versicherung mehr. Muss man diese selber berappen, sind das um die 12‘000 bis 15‘000 Franken.

Besten Dank für das spannende Interview.