Unser Immunsystem bekämpft Krankheitserreger wie Viren, Bakterien und andere «Angreifer». Eine sogenannte Immuntherapie macht sich dies auch in der Krebsbehandlung zu Nutze: Die Immuntherapie mobilisiert das körpereigene Immunsystem gegen Tumorzellen. PD Dr. med. Ulf Petrausch vom OnkoZentrum Zürich ist einer der wenigen Ärzte in der Schweiz, die zugleich über eine Facharztausbildung in der Onkologie als auch in der Immunologie verfügen. Im Interview erklärt er uns, was es mit dieser relativ neuen Art der Krebsbehandlung auf sich hat.

Herr Dr. Petrausch, erklären Sie unseren Lesern bitte kurz, mit was sich das Fachgebiet der «Onko-Immunologie» befasst?

PD Dr. med. Ulf Petrausch: Die Onko-Immunologie ist ein neuer Bereich der Medizin, der versucht, gezielt das Immunsystem zu aktivieren, damit es Krebszellen erkennen und im Idealfall auch abtöten kann.

Bekannt ist uns ja schon lang, dass das Immunsystem Erkrankungen wie virale Infekte bekämpft. In den letzten Jahren haben wir aber gelernt, dass das Immunsystem auch in der Lage ist, Tumorzellen zu bekämpfen. Die Onko-Immunologie versucht, dies optimal für den Patienten zu nutzen.

Eine Kombination der Facharztausbildungen Immunologie und Onkologie kommt eher selten vor. Weshalb haben Sie diese Kombination gewählt?

PD Dr. med. Ulf Petrausch: Ich beschäftige mich seit 2000 mit der Tumorimmunologie. Im Verlauf meiner Ausbildung bot sich mir die Gelegenheit, beide Facharztausbildungen zu machen. Ich hatte das Glück, dass genau zu diesem Zeitpunkt die neuen Therapiemöglichkeiten kamen und gezeigt werden konnte, dass das Immunsystem tatsächlich gegen den Krebs aktiviert werden kann.

Ein Kombination dieser beiden Ausbildungen hat ganz klare Vorteile: Die Medikamente einer Immuntherapie müssen im Zusammenhang mit anderen Krebstherapien verabreicht werden, und dies zum richtigen Zeitpunkt, also zum Beispiel vor oder nach einer Chemo- oder Strahlentherapie. Es braucht also den Onkologen, um zu verstehen, an welchem Punkt der Behandlung die Immuntherapie optimal platziert ist.

Es müssen nun sicher nicht gleich alle Onkologen auch Immunologen werden und umgekehrt. Aber ich denke, dass in Zukunft die beiden Fachgebiete enger zusammenrücken und die Onkologen eine gezieltere Ausbildung brauchen werden, damit sie das Immunsystem optimal zur Krebsbekämpfung nutzen können. Wir im OnkoZentrum haben einen Verein gegründet, der unter anderem eben dazu beitragen soll, dass Onkologen diesbezüglich ausgebildet werden.

Wie bekämpft denn nun die Immuntherapie einen Tumor?

PD Dr. med. Ulf Petrausch: Das Immunsystem erkennt den Tumor aufgrund bestimmter Eiweisse auf der Oberfläche. In den letzten Jahren hat die Forschung erkannt, warum das bisher nichts genützt hat. Das Problem ist, dass der Tumor nicht nur Eiweisse zeigt, die das Immunsystem aktivieren, sondern auch Eiweisse, die dem Immunsystem sagen «Stopp, friss mich nicht auf!» Dieses Eiweiss bezeichnen wir als sogenannte «Bremse», die bisher stärker war, als das Aktivierungseiweiss. So hat das Immunsystem zwar den Tumor erkannt, aber nichts gegen ihn unternommen. Die Immunzellen standen sozusagen haufenweise neben dem Tumor in «Schockstarre» und konnten nichts machen.

In den letzten zehn Jahren hat man aber verstanden, welches Eiweiss diese Bremse ist und was es mit den Immunzellen macht. So konnte man beginnen, gezielt Medikamente herzustellen, die genau diesen Bremsmechanismus aushebeln, sodass nur noch die Aktivierung, also das «Gaspedal» der Immunzellen da ist. Dann können die Immunzellen auch aktiv werden, den Tumor angreifen und die Tumorzellen «auffressen».

Immuntherapie gegen Krebszellen

Abb. 1: Krebszellen senden Signalmoleküle aus, welche die Bremsen bzw. Checkpoints auf den T-Zellen aktivieren. Die T-Zellen greifen die Krebszellen nicht mehr an. Abb. 2: Checkpoint-Hemmer blockieren die Bremsen bzw. Checkpoints auf den T-Zellen, sodass die Signalmoleküle sie nicht aktivieren können. Die T-Zellen greifen die Krebszellen wieder an.

Hindert eine solche Immuntherapie den Tumor «nur» am Wachsen oder kann sie diesen auch zum Schrumpfen bringen?

PD Dr. med. Ulf Petrausch: Je nachdem beides. Vor allem beim Schwarzen Hautkrebs und Lungenkrebs konnte bei einem gewissen Prozentsatz der Patienten gezeigt werden, dass der Tumor nicht mehr weiter wächst und die Patienten so über viele Monate mit dem Tumor weiterleben können. Insbesondere beim Schwarzen Hautkrebs zeigt die Erfahrung, dass die Immuntherapie die Tumoren auch zum Schrumpfen bringen kann.

Gibt es auch Nachteile oder Nebenwirkungen einer solchen Immuntherapie, sprich wenn man diese «Bremse» bewusst ausschaltet?

PD Dr. med. Ulf Petrausch: Ja, eigentlich ist diese Bremse des Immunsystems ja dazu da, damit wir uns nicht selbst attackieren, also dass uns das Immunsystem nicht angreift, was man medizinisch Autoimmunerkrankung nennt. Die Folgen sind entzündliche Erkrankungen, die vor allem die Gelenke, den Darm und die Haut treffen können. Neben der gewollten Bekämpfung des Tumors kann also leider auch gesundes Gewebe angegriffen werden.

Je nach Medikament führt dies bei etwa 5 % der Patienten zu schweren Komplikationen, in Kombinationen mit anderen Immuntherapien bis zu 30 bis 40%. Wenn man bei diesen Nebenwirkungen aber frühzeitig gegensteuert, sind diese Immuntherapien mindestens oder eher sogar besser verträglich als die bisher bekannten Chemotherapien. Solche Patienten können von einer Verbesserung der Lebensqualität im Vergleich zur Chemotherapie profitieren.

Wie erfolgt eine solche Immuntherapie beim Patienten?

PD Dr. med. Ulf Petrausch: Über eine Infusionslösung, die je nach Medikament alle zwei bis drei Wochen über eine Vene verabreicht wird. Mit maximal eineinhalb Stunden dauert diese Infusion relativ kurz. Der Patient benötigt dabei keine spezielle Überwachung oder zusätzliche Medikamente gegen Übelkeit wie bei einer Chemotherapie.

Viele Patienten berichten, dass sie sich nach einer solchen Infusion ein bisschen grippal fühlen, was darauf hinweist, dass das Immunsystem wirklich aktiviert wird. Das ist dann genau dasselbe, wie wenn wir zum Beispiel eine Grippe haben und sich das Immunsystem mit Fieber einschaltet.

Ist eine Immuntherapie eine Alternative zu bisherigen Krebsbehandlungsmethoden wie Chirurgie, Strahlentherapie und Chemotherapie oder wirkt diese ergänzend?

PD Dr. med. Ulf Petrausch: Im Augenblick wird die Immuntherapie vor allem als Alternative bei Nichtfunktionieren bei Standardtherapien eingesetzt. Aber die Entwicklung in der Onkologie beginnt immer am Ende eines komplexen Behandlungsweges, weil man neue Optionen für die Patienten braucht. Funktioniert das gut, testet man auch in früheren Stadien. So gibt es bereits Studien, die die Immuntherapie beim frühen operablen Lungenkrebs testen.

Ich persönlich bin überzeugt, dass die Immuntherapie keine alleinstehende Therapie bleiben wird. Sie muss in die komplexe Behandlung einer Krebserkrankung eingebaut werden, welche aus Chirurgie, Strahlentherapie, Chemotherapie und eben Immuntherapie besteht.

Pro Krebsart kann dann die Therapiekombination /-Reihenfolge anders aussehen. Man ist nun dabei herauszufinden, bei welcher Krebserkrankung die Immuntherapie wann einen Stellenwert hat. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Onkologen gut immunologisch ausgebildet sind.

Bei welchen Krebserkrankungen hilft eine Immuntherapie am ehesten?

PD Dr. med. Ulf Petrausch: Wir wissen, dass die Immuntherapie beim Schwarzen Hautkrebs und beim Lungenkrebs in metastasierter Form wirkt. Hierzu besteht auch bereits eine Krankenkassenpflicht. Getestet wird nun bei vielen weiteren Tumorarten. Neue Zulassungen erwarten wir bald beim Nierenzellkarzinom und beim Blasenkrebs.

Besteht also Anlass zur Hoffnung, dass eine Immuntherapie bald gegen weitere Krebsarten hilft?

PD Dr. med. Ulf Petrausch: Das Feld der Immuntherapie ist sicher noch nicht ausgereizt. Ich denke, in den nächsten 20 Jahren ist die Immuntherapie sicher der Teil der onkologischen Behandlung, der sich am meisten entwickeln wird.

Mir persönlich liegt sehr am Herzen, dass man der Immuntherapie eine Chance gibt, denn wir wissen, dass ein gewisser Prozentsatz der Patienten davon profitiert. Was wir im Augenblick noch nicht genau wissen, ist, wer davon profitiert und wer nicht. Deshalb muss in den nächsten Jahren unsere grosse Bestrebung sein, genau das herausfinden. Damit wir denjenigen Patienten diese Therapie anbieten können, die etwas davon haben. Und wir müssen die Immuntherapie so weiterentwickeln, dass noch mehr Patienten davon profitieren. Es ist also alles noch sehr im Fluss.

Besten Dank für das spannende Interview.

 

Weitere Informationen zur Immuntherapie in der Krebsbehandlung:

Artikel von PD Dr. med. Ulf Petrausch in der Patientenzeitschrift Mittelpunkt 1/2016:
Immuntherapien bei Krebs

Video-Interview mit PD Dr. med. Ulf Petrausch zum Thema Immuntherapie: