„Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ – was vor zwanzig Jahren noch die Regel war, wird heute immer seltener. Denn heute wird stattdessen bei gesundheitlichen Fragen öfters das Internet konsultiert.

Vor allem in den letzten zehn Jahren, haben immer mehr Informationen über Gesundheit und Krankheiten den Weg ins Netz gefunden: Wikipedia, Fachwebsites, Patientenforen und sonstige Austauschplattformen, „Selbstdiagnose-Tools“ sind nur einige der möglichen Informationsquellen, die der moderne Patient von heute hat, um sich selber aufzuklären. Eine nicht abschliessende Übersicht finden Sie zum Beispiel im Blogbeitrag von Farner Consulting „Gesundheitsforen: wo man den Schweizer ePatienten antrifft“.

Die Recherche startet in der Regel, indem der Patient ein Krankheitsbild oder Symptome in eine Suchmaschine wie Google tippt. Bei meinen eigenen Selbstversuchen habe ich die Übung meist jeweils irgendwann abgebrochen. Dies, weil irgendwann mehr Verwirrtheit aufgrund von Widersprüchen oder gar Panik vor schlimmen Erkrankungen entstand, als dass ich beruhigende Antworten fand. Da ziehe ich persönlich schlussendlich den Besuch beim Arzt meines Vertrauens vor. Wobei, einen Vorteil hatten die Recherchen schon: Bei der Sprechstunde hatte ich bereits konkrete Fragen, die mir ansonsten allenfalls erst nach dem Arztbesuch in den Sinn gekommen werden.

Welche konkreten Folgen hat es aber nun, dass die Patienten dank „Dr. Google“ immer aufgeklärter zum Arzt kommen? Googeln sich die Leute dabei kränker als sie sind? Und welche (neue) Rolle spielt der Arzt dabei? Ich habe Dr. Matthias Wissler, Leitender Arzt im Praxiszentrum am Bahnhof in Schaffhausen befragt, wie er diese Veränderung in den letzten Jahren erlebt hat und welche Vor- und Nachteile er darin sieht.

Wie hat sich das Informationsverhalten der Patienten in den letzten zehn Jahren verändert?

Dr. Matthias Wissler: Früher wurden gesundheitliche Fragen direkt an den Arzt oder Apotheker delegiert. Heute informieren sich die Patienten tatsächlich häufig vorab im Internet über ihre Symptome. Ein Teil davon landet dann später bei uns Ärzten in der Sprechstunde, allerdings eben vorinformiert.

Haben sich deswegen auch die Rolle / Aufgaben des Arztes verändert?

Dr. Matthias Wissler: Ja. Als Arzt muss man darauf vorbereitet sein und fachlich sicher. Die Zeiten, in denen man den Ärzten alles glaubte, sind vorbei. Das macht die Arbeit teils fordernder, aber auch interessanter. Die Patienten möchten nach vorgängiger Recherche genaue und begründete Antworten und geben sich nicht mit Pauschalitäten zufrieden.

Kommt der Patient deswegen eher häufiger oder weniger häufig zum Arzt?

Dr. Matthias Wissler: Das ist eine interessante Frage und mir liegt diesbezüglich leider keine Statistik vor. Ich hätte eigentlich erwartet, dass sie seltener zum Arzt kommen, mir scheint aber das Gegenteil der Fall. Mit teils für uns Ärzte harmlosen Symptomen sind viele vorinformierte Patienten der Überzeugung, sie seien schwer krank. Schon im Medizinstudium, später aber auch mit zunehmender medizinischer Erfahrung und Intuition lernt man als Arzt das Motto „Was häufig ist, ist häufig“. Suchmaschinen setzen offenbar eher darauf, aus harmlosen Symptomen schwerwiegende Krankheiten zu generieren.

„Googlen“ sich die Patienten bei solchen Recherchen denn eher krank? Warum?

Dr. Matthias Wissler: Bezüglich des „Warums“ muss ich auch eher mutmassen. Es gibt immer wieder mal schwere Krankheiten, die sich aus vermeintlich harmlosen Symptomen entwickelt haben. Solche Erfahrungen werden sicher eher im Internet publiziert als ein Bagatell-Schnupfen, der nach drei Tagen ohne Therapie abheilt.

Mir scheint, kranke Patienten selektieren dann Suchmaschineneinträge, die zu ihrem Symptom passen, nach besonders schlimmen Ursachen. Vielleicht analog, wie ich mich bei Amazon zuweilen schon ertappt habe, wie ich eher die schlechten Beurteilungen durchlese und nicht die überwiegend positiven. Vielleicht wirken „bad News“ magnetisch, man ist alarmiert und klickt drauf. Je mehr diese „schlimmen“ Einträge angeklickt werden, desto wichtiger werden sie von Google eingestuft und sie erscheinen an oberster Stelle. So wird mit einer Negativspirale unser medizinisches Prinzip „Was häufig ist, ist häufig.“ über den Haufen geworfen.

Welche Altersgruppen machen Ihrer Erfahrung nach von gesundheitlichen Internetrecherchen am meisten Gebrauch?

Dr. Matthias Wissler: Es ist sicher eher die junge Generation bis und mit etwa 40 Jahren. Wobei ich auch hierbei schon mit über 80-jährigen Patienten schon sehr interessante und belebende Gespräche geführt habe!

Wie sind Angaben, die der Patient im Netz findet und womit er sie als Arzt konfrontiert, qualitativ zu werten?

Dr. Matthias Wissler: Ich kann hier keine pauschale Antwort geben und auch keine Tipps, wo man sich am besten informieren sollte. Teils kommen die Patienten sehr gut informiert und alles was ich ihnen rate, wussten sie schon vorher. Dann gibt es Fälle, die medizinisch eigentlich ganz banal sind und ich höre Diagnosen, von denen ich selber keine Kenntnis habe. Und teilweise widerspricht sich offenbar das Internet diametral. Für Patienten, welche bereits eine Diagnose erhalten haben, ist die Suche viel einfacher und sie finden interessante Details zu möglichen Therapien und Ursachen im Internet.

Sehen Sie Vorteile in dieser besseren Aufgeklärtheit?

Dr. Matthias Wissler: Ich schätze diese Aufgeklärtheit grundsätzlich sehr. Es zeigt ein Interesse am eigenen Körper und ich mag es, wenn Patienten selbstverantwortlich handeln. Die Zeiten, wo alles abgenickt wird, was der Arzt sagt, sind zunehmend vorbei.

Es liegt – so meine ich – an uns Ärzten, den Patienten bezüglich Therapie einen Handlungsspielraum aufzuzeigen, aber auch ganz klar und hartnäckig zu kommunizieren, wenn die Selbstrecherche gefährlich wird. Vielfach liegt unsere Aufgabe aber auch darin, die Patienten zu beruhigen und ihnen wieder ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, wenn „Dr. Google“ aus einem Schnupfen wieder einmal einen Hirntumor kreiert hat.

Selbsthilfe- und Patientenforen können auch eine wichtige Rolle spielen, auch wenn wir weniger aktiv darauf verweisen. In diesen Foren spüren Patienten erfahrungsgemäss eine Verbundenheit mit gleichartig Betroffenen. Und sie können durchaus auch Tipps erfahren, von denen der Hausarzt mal keine Ahnung hat.

Sollten Ihrer Meinung nach Ärzte auch in solchen Patientenforen mitwirken. Tun Sie dies selber?

Dr. Matthias Wissler: Ich tue dies nicht, da ich es heikel finde, Diagnosen zu stellen ohne die Patienten vorher gesehen und untersucht zu haben. Und ich meine auch, diese Foren werden zuweilen als Werbeplattformen missbraucht.

Welches „gesunde“ Vorgehen empfehlen Sie?

Dr. Matthias Wissler: Ich habe grundsätzlich Freude an Google und Co. und kann deshalb nicht davon abraten. Übrigens ist es auch so, dass Ärzte ab und zu von Google Gebrauch machen [lacht]. Wenn nach der Recherche allerdings ein Gefühl der Angst bleibt, dann würde ich diese durch eine Konsultation beim Arzt schnellstmöglich klären. Ich habe schon häufig erlebt, dass Patienten wochenlang mit Angst vor einer schweren Diagnose gelebt haben und diese Angst innerhalb von zehn Minuten in der Sprechstunde oder sogar am Telefon entkräftet werden konnte. Auch empfehle ich, bei anhaltenden Symptomen einen Arzt aufzusuchen.

Wenn man schon mit einer Diagnose konfrontiert wurde, finde ich eine Eigenrecherche durchaus sinnvoll und bereichernd. Allfällige Unklarheiten, die sich daraus ergeben können, würde ich dann mit dem Hausarzt oder Spezialisten besprechen.

 

Herzlichen Dank für das spannende Interview.