Für viele Männer sind Vorsorgeuntersuchungen ein Tabuthema. Speziell urologische Untersuchungen werden häufig sehr spät durchgeführt. Warum Kontrollen und die Früherkennung sehr wichtig sind, erklären Dr. med. Martin Baumgartner und Dr. med. Daniel Seiler im Interview.

Ist die Männergesundheit immer noch ein Tabuthema?

Dr. med. Martin Baumgartner (MB): Wir stellen häufig fest, dass der Besuch beim Urologen ein Tabuthema ist. Vielfach ist es so, dass der Patient bei einem neu diagnostizierten Prostatakrebs denkt, er sei der Einzige, der davon betroffen sei. Beim zweiten Besuch erzählt er dann, dass viele seiner Kollegen auch schon beim Urologen waren und sein Schicksal teilen. Aber offenbar wird am Stammtisch nicht darüber geredet – oder eben erst, wenn es ernst wird. Vorsorgeuntersuchungen sind kein Thema.

Es heisst, Krebs verursache selten Schmerzen. Stimmt das?

Dr. med. Daniel Seiler (DS): Ja, das ist auch das Problem, denn viele Männer kommen sehr spät. Sie warten vielfach so lange, bis sich ihre Lebensqualität reduziert und die Hoden oder die volle Blase schmerzen. Das ist allerdings eine schlechte Strategie, denn gerade Prostatakrebs ist ein langsam wachsender Krebs, der im Anfangsstadium keine Schmerzen verursacht, jedoch gut behandelt und geheilt werden kann.

Wie ist es bei Hodenkrebs?

MB: Beim Hodenkrebs ist dies ein wenig anders. Dieser bildet einen steinharten Knoten im Hoden, und die Männer, die mehrheitlich im Alter zwischen 20 und 30 Jahren sind, merken, dass etwas nicht stimmt. Allerdings drücken sie im Durchschnitt mindestens drei Wochen daran herum, bis es so weh tut, dass sie sich melden. Das ist bedauerlich, da der aggressivere Hodenkrebs in dieser Zeit weiterwachsen konnte.

Woran könnte das liegen?

MB: Viele Männer leben getreu der Devise: Solange nichts weh tut, ist alles in Ordnung. Das bedeutet auch, dass sie nachts lieber bis zu viermal aufstehen, um Wasser zu lassen, oder dass sie so lange warten, bis das Wasserlassen nicht mehr geht, bevor sie einen Arzt aufsuchen.

DS: Zudem glauben viele Männer, dass eine urologische Untersuchung schmerzhaft sei.

Ist sie das?

MB: Nein, ganz und gar nicht. Früher war dies eher zutreffend. Heute verfügen wir über deutlich feinere und flexiblere Instrumente sowie neue Techniken. Die Prostatabiopsie war früher schmerzhaft. Heute machen wir eine Lokalanästhesie und entnehmen gezielt ein winziges Stück Gewebe. Der Mann verspürt auch nach dem Nachlassen des Anästhetikums kaum Schmerzen.

DS: Bei den meisten Männern kommt ein ungutes Gefühl beim Thema Genital- und Rektaluntersuchung auf. Aber gerade diese Untersuche können zusammen mit einem PSA-Test* wertvolle Lebensjahre retten, sollte sich ein positiver Befund ergeben. Frauen reden grundsätzlich mehr über Vorsorgeuntersuchungen, Gesundheit, Wohlbefinden und Krankheit. Vielfach sind es die Frauen, die ihre Männer zur Untersuchung schicken.

Wie sieht die Vorsorgeuntersuchung für den Mann aus?

DS: Bei einer Vorsorgeuntersuchung wird ein PSA-Bluttest gemacht, ein Prostata-Tastuntersuch, eine Harnstrahlmessung und ein Ultraschall, um den Restharn in der Blase zu definieren, sowie ein Ultraschall der Nieren. Zusammen mit dem Gespräch, das sehr wichtig ist, weil hier auch Themen wie familiäre Belastung, Medikamenteneinnahme, mögliche Vorerkrankungen oder Operationen etc. angesprochen werden, dauert die Vorsorgeuntersuchung circa 30 Minuten.

Wann ist eine Vorsorgeuntersuchung ratsam?

MB: Gemäss internationalen Richtlinien ist eine solche ab dem 50. Lebensjahr sinnvoll. Bei familiärem Auftreten eines Prostatakarzinoms wird eine Vorsorgeuntersuchung zwischen 40 und 45 Jahren empfohlen.

Sprechen wir von einer jährlichen Vorsorgeuntersuchung?

MB: Nein, das ist nicht der Sinn der Sache. Es geht ab 50 um eine Standortbestimmung. Ist der PSA-Wert in der Norm, der Tastuntersuch unauffällig und bestehen keine Probleme beim Wasserlösen, so reicht es, je nach Ausgangs-PSA-Wert, den PSA-Test in drei bis fünf Jahren zu wiederholen. Der Test und die Anamnese können auch vom Hausarzt durchgeführt werden.

Unter Urologie wird selten das gesamte Spektrum verstanden, sondern vor allem an den Mann gedacht.

DS: Vielfach herrscht die Meinung vor, was der Gynäkologe für die Frau, sei der Urologe für den Mann. Dem ist nicht so. Wir sind zwar für den Genitalbereich des Mannes zuständig, nehmen aber bedeutend mehr Behandlungen im Bereich von Nieren- und Blasenerkrankungen vor.

Und in diesen Fällen gehen die Damen zum Urologen?

MB: Ja, für Blasen- und Nierenkrebs sowie für Steinleiden ist der Urologe zuständig, ob bei Frau oder Mann. Das gemischte Gebiet, in dem sowohl Gynäkologen als auch Urologen tätig sind, umfasst Blasenentzündungen, Beckenbodenprobleme und Inkontinenz.

*Das prostataspezifische Antigen (PSA) wird nur von der Prostata produziert. Der mittels Bluttest gemessene Wert ist sehr variabel und liegt im Normalbereich zwischen 1 und 3. Bei einem Wert über 3 bedarf es einer weiteren Abklärung durch den Urologen. Der erhöhte Wert kann auf eine Entzündung, eine gutartige Vergrösserung oder Krebs hinweisen.

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