Prof. Dr. Baer ist Facharzt für Chirurgie und Viszeralchirurgie. Er hat sich unter anderem auf die Behandlung von Lebertumoren spezialisiert. Im Interview erklärt er die Hintergründe der Erkrankung und warum Leberkrebs schwierig festzustellen ist.
Herr Prof. Dr. Baer, die Leber ist seit der Antike von Sagen und Mythen umgeben. Was ist da dran?
Prof. Dr. Baer: Die Leber spielt eine wichtige Rolle in der Prometheussage. Prometheus erschuf die Menschheit aus Lehm. Als die Götter von den Menschen Opfer und Anbetung verlangten, versuchte Prometheus, Zeus zu überlisten – jedoch ohne Erfolg. Als Strafe entzog Zeus den Menschen das Feuer. Doch Prometheus gelang es, das Feuer auf die Erde zurückzubringen. Schliesslich liess Zeus ihn fangen und an einen Felsen ketten, worauf täglich ein Adler kam und von seiner Leber frass. Diese erneuerte sich jedoch nachts, da Prometheus zu den Unsterblichen gehörte. Prometheus flehte so lange um Gnade, bis Herakles ihn irgendwann von seinem Leiden befreite.
Stimmt es denn, dass sich die Leber regenerieren kann?
Prof. Dr. Baer: Bis zu einem gewissen Grad stimmt das. Im Rahmen einer Leberteilentfernung können maximal 75 Prozent des Lebergewebes entfernt werden. Nach einiger Zeit lässt sich eine Vergrösserung der Restleber feststellen. Hierbei kommt es unter dem Einfluss von Botenstoffen zu einer Vermehrung der Leberzellen.
Welche Aufgaben im Körper erfüllt überhaupt die Leber?
Prof. Dr. Baer: Die Leber dient als Blutfilter zwischen Darm und dem restlichen Organismus. Sie übernimmt wichtige und vielfältige Aufgaben im menschlichen Stoffwechsel. Die Leber stellt selber wichtige Substanzen wie Blutgerinnungsstoffe und Cholesterin her, hält das Gleichgewicht vieler Stoffe wie Zucker, Fette, Hormone und Vitamine und hilft Medikamente, Abbauprodukte und Giftstoffe des Körpers auszuscheiden. Ausserdem ist sie als grösste Drüse für die Produktion und Abgabe von Gallenflüssigkeit zuständig und damit entscheidend an der Fettverdauung im Darm beteiligt.
Was passiert, wenn die Leberfunktion beeinträchtigt wird?
Prof. Dr. Baer: Eine Funktionseinschränkung des Lebergewebes, bedingt durch Tumoren oder Entzündungen, hat mehr oder weniger gravierende Folgen: Der Zuckerstoffwechsel kann entgleisen, Eiweisse werden nur ungenügend produziert, was Blutgerinnungsstörungen nach sich ziehen kann, und die Gallensalze und Gallenfarbstoffe werden nur ungenügend entfernt. Diese Einschränkungen können unbehandelt zum Tod führen.
Was ist ein Lebertumor und wie entsteht er?
Prof. Dr. Baer: Wie in jedem Organ können in der Leber Neubildungen oder eben Tumoren auftreten, die aus sich heraus organeigene Zellen bilden. Diese können gutartig oder bösartig sein. In der Medizin wird ausserdem zwischen primären und sekundären Tumoren unterschieden. Die primären Lebertumoren entstehen aus der Leberzelle selbst. Über die Entstehung des häufigsten primären und bösartigen Tumors der Leber, dem Leberzellkarzinom, weiss man nur so viel, als dass mehrere Faktoren daran ursächlich beteiligt sind: Viren wie etwa bei Hepatitis, Hormone, Chemikalien, Alkohol und andere Schadstoffe.
Im Vergleich zu diesen eher seltenen primären Karzinomen der Leber werden die sekundären bösartigen Tumore der Leber, die Lebermetastasen, viel häufiger gefunden. Diese sind verstreute Zellen eines ebenfalls bösartigen Tumors, der in einem anderen Organ, zum Beispiel im Dickdarm, im Enddarm oder in der Niere, entstanden ist.
Wie erkenne ich einen bösartigen Lebertumor?
Prof. Dr. Baer: Patienten mit einem Leberzellkarzinom haben oft keinerlei charakteristische Symptome. Häufig sind Veränderungen der Leber, insbesondere im frühen Stadium, ein diagnostischer Zufallsbefund. Patienten mit Hepatitis müssen deshalb periodisch mit Ultraschall oder CT untersucht werden. Regelmässige Kontrollen der Leberwerte sind ebenfalls wichtig. Grundsätzlich kann man sagen, dass Lebertumoren oft nur durch Zufall gefunden werden, weil sie keine Symptome verursachen. Die Heilungschancen hängen deshalb auch von der Vorerkrankung ab. Frauen und Männer sind übrigens gleich oft betroffen und unsere Patienten sind grösstenteils zwischen 50 und 70 Jahre alt.
Wie wird ein bösartiger Lebertumor behandelt?
Prof. Dr. Baer: Leberteilentfernungen werden bei diversen Erkrankungen notwendig, so zum Beispiel bei gutartigen und bösartigen Lebertumoren, bei Metastasen, bei Parasitenbefall des Gewebes, etwa mit dem Fuchsbandwurm, oder bei Gallenblasen- und Gallenwegstumoren. Je nach Erkrankung, Grösse, Ausdehnung und vor allem Lage des Tumors werden unterschiedliche Teilentfernungen durchgeführt. Sind primäre bösartige Tumore oder Lebermetastasen für eine operative Entfernung zu gross, dann werden heute verschiedene Verfahren zur Tumorverkleinerung eingesetzt, etwa eine Chemotherapie. So wird versucht, möglichst viel gesundes Lebergewebe zu erhalten und den Tumor zu verkleinern.