Bei Schmerzen aufgrund einer Kniearthrose denken viele Betroffene, dass sie ihr Knie durch ein künstliches Kniegelenk ersetzen lassen müssen. Dem ist nicht immer so: Auch konservative Methoden oder gelenkerhaltende Operationen können sinnvoll sein. Der Orthopäde Dr. med. Martin L. Bürgi der Hirslanden Klinik Birshof erklärt uns die verschiedenen Behandlungsmethoden bei Kniearthrose.
Viele Menschen über 60 Jahre leiden mehr oder minder an Arthrose. Arthrose ist eine Abnützung der Gelenke, die auf einem Knorpelschaden beruht. Man unterscheidet zwischen primärer Arthrose, die im Alter auftritt und deren Ursprung nicht klar ist, und sekundärer Arthrose. Die sekundäre Arthrose tritt beim Knie zum Beispiel nach Gelenkbrüchen, Meniskusverletzungen, Knorpelschäden oder bei Personen mit starken O- oder X-Beinen auf, weil dadurch die Belastung ungleich auf das Gelenk verteilt ist und auf einer kleineren Fläche stärker einwirkt.
Die Symptome einer Arthrose sind Schmerzen, Schwellungen und Bewegungseinschränkungen. Dadurch entsteht ein Teufelskreis: Bei Schmerzen bewegt man sich weniger und die Beweglichkeit verschlechtert sich noch mehr. Eine massive Kniearthrose kann zu O- oder X-Beinen führen, weil der Knochen ausgeschliffen werden kann, sodass sich die ganze Achse verändert und die Arthrose allenfalls noch weiter begünstigt.
Von der Schmerztablette bis zur Totalprothese
Die Behandlungsmöglichkeiten bei Kniearthrose reichen von der Schmerztablette bis zur Totalprothese. Meiner Meinung nach sollte ein Orthopäde dieses ganze Spektrum anbieten können, wenn er seine Patienten optimal beraten möchte. Mir ist es wichtig, dass ich jedem Patienten, individuell auf ihn zugeschnitten, eine oder mehrere mögliche Lösungen anbieten und zusammen mit ihm entscheiden und einen Behandlungsplan erstellen kann.
Konservative Massnahmen gegen Kniearthrose
Zu den konservativen Massnahmen gehören alle Behandlungen ohne Operation. Dazu zählen zum Beispiel Schmerzmittel und alle Arten der Physiotherapie, deren Ziel es ist, die Beweglichkeit aufrecht zu erhalten. Wenn die Bewegung schmerzt, soll man versuchen, die Schmerzen zu behandeln. Weiter gibt es Hilfsmittel wie Orthesen und Schienen, um zum Beispiel eine Instabilität auszuschalten. Eine rein symptomatische Behandlung ist das Spritzen von Cortison, was die Entzündung verhindert.
Es gibt zahlreiche «alternative» Medikamente wie zum Beispiel Grünlippmuschelextrakt. Deren Wirkung ist medizinisch allerdings schwer nachzuweisen. Wenn ein Patient aber das Gefühl hat, ihm sei mit einem solchen Präparat geholfen, kann er dieses sicher einnehmen. Ausserdem gibt es knorpelaufbauende Präparate, die allenfalls bei jungen Patienten mit lokalisierten Knorpelschäden helfen können. Hyaluronsäurepräparate sollen als eine Art Gleitmittel verhindern, dass die Knorpel aufeinander reiben. Ich persönlich habe grosse Vorbehalte wegen des Risikos von Infekten und/oder allergischen Reaktionen auf das Präparat.
Gelenkerhaltende Operationen bei der Kniearthrose
Bei einer Arthroskopie «putzt» man das Gelenk, entfernt die zerstörten Anteile des Knorpels und überprüft, ob die vorhandenen Knorpelränder stabil sind. Weist ein geschädigter Knorpel Defekte bis auf den Knochen auf, kann man diese anbohren, was man Mikrofrakturierung nennt. Man durchbricht den Boden des Defekts mit einer speziellen Ahle und regt so den körpereigenen Reparaturmechanismus an: Aus dem Knochenmark kommen sogenannte pluripotente Zellen, also Zellen, die sich zu verschiedenen Arten von Zellen, also auch Knorpelzellen, entwickeln und so Ersatzknorpel bilden können. Der Ersatzknorpel ist zwar qualitativ nicht zu vergleichen mit dem Original, kann aber Patienten mit nicht zu ausgedehnten Knorpelschäden deutlich Linderung verschaffen.
Gelenkerhaltende Operationen sind zwar auch arthrose-erhaltend, können aber vor allem bei jüngeren Patienten oder solchen mit extremer Achsenfehlstellung (O- oder X-Beine, was den Druck einseitig verteilt) Linderung und Zeit verschaffen.
Angenommen, jemand hat einen Knorpelschaden auf der Innenseite des Knies und extreme O-Beine: Den Knorpelschaden kann man mit einer Mikrofrakturierung behandeln. Um aber zu verhindern, dass der gebildete Ersatzknorpel innert kürzester Zeit wieder «abgelaufen» ist, kann man eine sogenannte Umstellungsosteotomie durchführen. Dabei wird mittels einer Knochendurchtrennung die Beinachse korrigiert und so der Druck auf das gegenüberliegende, in diesem Fall äussere Kompartiment des Kniegelenks verteilt. Die Arthrose wird so zwar nicht rückgängig gemacht, aber man kann verhindern, dass sie fortschreitet und dass der Patient bei jedem Schritt Schmerzen hat. Es ist eine «Verzögerungsoperation»: Wenn sie rechtzeitig gemacht wird, kann der Patient 10 bis 20 Jahre gewinnen, bevor er eine Prothese braucht.
Bei den gelenkerhaltenden Operationen ist die Rehabilitation meistens langwieriger als bei Prothesen und der Patient muss sechs Wochen unter Teilbelastung an Krücken gehen.
Gelenkersatz mit Teil- oder Totalprothese
Bei den nicht gelenkerhaltenden Operationen gibt es Lösungen mit Teilprothesen und Totalprothesen. Wenn wirklich nur ein Anteil des Kniegelenks von der Arthrose betroffen ist, reicht eine Teilprothese, bei zwei oder mehr betroffenen Anteilen kommt meist eine Totalprothese zum Einsatz. Der Vorteil einer Teilprothese im Vergleich zur Totalprothese ist, dass nur der betroffene/kranke Teil des Gelenks ersetzt wird und das Fremdkörpergefühl für den Patienten meist geringer ausfällt. Die Kreuzbänder, die wichtig sind für die Propriozeption (Gelenkgefühl), werden belassen. Die Patienten erholen sich schneller und haben weniger Probleme mit der Beweglichkeit. Wichtig ist aber, keine Kompromisse einzugehen, nur damit der Patient mit einer Teilprothese versorgt werden kann (vgl. weiter unten).
Wann macht welche Behandlung Sinn?
Leidensdruck, Alter und Erwartungen des Patienten entscheiden mit.
Eine konservative Behandlung ist immer sinnvoll, wenn der Leidensdruck beim Patienten nicht übermässig gross ist oder wenn er sich (noch) nicht für eine Operation, egal welcher Grösse, entscheiden kann. Die Möglichkeiten einer Schmerztherapie sollte man ausschöpfen. Viele Patienten sind der Meinung, es sei keine Lösung, auf Dauer Schmerzmittel zu nehmen. Wer mit einer bis zwei Schmerztabletten pro Woche gut auskommt, sollte diesen Weg aber versuchen.
Das Alter spielt bei der Wahl der Behandlung ebenfalls eine Rolle – immer unter Berücksichtigung des Umfangs der Schädigung und der persönlichen Umstände und Erwartungen des Patienten. Man tut sich zwar schwer, einem 50-Jährigen eine Totalprothese zu implantieren. Wenn aber alles dafür spricht, sollte er nicht noch zehn Jahre mit eingeschränkter Lebensqualität darauf warten müssen.
Teil- oder Totalprothesen haben eine beschränkte Lebensdauer, nämlich 15 bis 20 Jahre. Man kann Prothesen nicht beliebig oft wechseln, da man bei jedem Wechsel Knochensubstanz verliert. Und die Beweglichkeit wird mit jeder Revisionsprothese eher schlechter. Ziel ist es, einem Patienten nur einmal eine Prothese einzubauen, plus eventuell eine zweite. Deshalb sollte man bei jüngeren Patienten so lange wie möglich gelenkerhaltend verfahren und zum Beispiel mit einer Umstellungsosteotomie Zeit gewinnen, sodass eine Prothese erst später nötig wird. Bei älteren Patienten, rate ich aufgrund der längeren Regenerationszeit oft von einer Umstellungsosteotomie ab, sodass hier eher eine Teilprothese zum Einsatz kommt.
Teil- oder Totalprothese?
Bei der Frage Teil- oder Totalprothese ist das Alter weniger ausschlaggebend. Entscheidend ist vielmehr, welche Teile des Gelenks wirklich geschädigt sind. Wenn jemand eine völlig isolierte Arthrose hinter der Kniescheibe hat, macht es meiner Ansicht nach keinen Sinn, vorsorglich eine Totalprothese einzubauen. Stattdessen behandle ich das, was aktuell das Problem ist. Wenn aber im Fall einer Teilprothese ein Wechsel auf eine Totalprothese in den kommenden fünf Jahren schon absehbar ist, rate ich davon ab und empfehle gleich eine Totalprothese. Zweimal eine ähnliche Operation in dieser Grössenordnung innerhalb dieser kurzen Zeit durchzuführen, macht keinen Sinn. Zudem erzielen Totalprothesen ohne vorherige Operation bessere Resultate als gewechselte. Sinn macht die Teilprothese, wenn wirklich nur ein Teil des Gelenks von der Arthrose betroffen ist und dies voraussichtlich für die kommenden 10 bis 15 Jahre so bleibt. Ich kläre deshalb immer mittels MRI ab, ob die anderen Gelenkanteile wirklich in einem so guten Zustand sind, wie es auf dem Röntgenbild erscheint. Wenn zusätzliche Schäden vorhanden sind, wie abgenutzter Knorpel oder ein kaputter Meniskus, macht es keinen Sinn, erst eine Teilprothese einzusetzen und diese ein paar Jahre später in eine Totalprothese zu konvertieren.
Eine bestehende Instabilität spricht ebenfalls für eine Totalprothese. So ist zum Beispiel ein intaktes vorderes Kreuzband eine Voraussetzung für eine Teilprothese, da es sonst zum schnelleren Verschleiss der Prothese kommt. Ebenso sind bei extremen Achsfehlstellungen keine Teilprothesen möglich, da dann das ganze Gewicht des Patienten auf eine viel kleinere Fläche wirkt, als dies bei einer ganzen Prothese der Fall wäre.
Kein Patentrezept
Wichtig ist: Es gibt keine Kochbuchlösung, also kein Patentrezept. Man muss jeden Patienten einzeln betrachten mit seinen gesundheitlichen Voraussetzungen, seinem Leidensdruck und seinen Erwartungen. Für uns Ärzte gilt es, alles genau abzuklären und dem Patienten alle für ihn offen stehenden Möglichkeiten mit ihren Vor- und Nachteilen zu erklären. Nicht nur das Röntgenbild oder der Befund aus dem MRI sind massgebend, sondern auch die Besprechung mit dem Patienten, sodass wir Ärzte nicht für ihn, sondern mit ihm entscheiden, was die beste Lösung für ihn ist.