Dr. Markus Bleichenbacher ist Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe und spezialisiert auf Reproduktionsmedizin. Geht es darum, Paaren ihren Kinderwunsch zu erfüllen, kann er auf langjährige Erfahrung mit der In-vitro-Fertilisation (IVF) zurückblicken. Im Interview gibt er Auskunft rund um das Thema IVF.

Dr. Bleichenbacher, was sind die häufigsten Ursachen bei einem unerfüllten Kinderwunsch?

Man kann sagen, dass es zu 30 % an der Frau liegt, zu 30 % am Mann, zu 30 % ist es eine Kombination von beiden und zu 10 % sind keine Ursachen erkennbar. Wobei man nicht von Ursachen spricht, sondern eher von Faktoren, die stimmen müssen, damit eine Frau schwanger werden kann. Faktoren, die eine Schwangerschaft erschweren, sind hormonelle Störungen, Infekte sowie Eileiter- und Samenleiterprobleme. Meistens findet man mehrere Faktoren. Auch das Alter spielt eine Rolle. Das durchschnittliche Alter, in dem eine Frau ihr erstes Kind bekommt, ist heute höher als früher. Das ist insofern ein Problem, als die Fruchtbarkeit der Frau mit zunehmendem Alter abnimmt. Beim Mann auch, aber dort wird dafür nicht das Alter, sondern vor allem die Umwelt dafür verantwortlich gemacht.

Wie weit sind wir mit der IVF in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern?

Mit dem neuen Gesetz, das seit 2017 in Kraft ist, haben wir weitgehend die gleichen Möglichkeiten wie im Ausland – mit Ausnahme der Leihmutterschaft und der Eizellenspende. Beides ist in der Schweiz nicht erlaubt.

Wie erfolgreich ist IVF?

Laut Bundesamt für Statistik lag der Anteil der behandelten Frauen, bei denen IVF zu einer Schwangerschaft geführt hat, im Jahr 2020 bei 46,9 %. 2011 waren es 37 % und 2002 lag der Anteil bei 33 %. Der Erfolg von IVF hat über die letzten Jahre kontinuierlich zugenommen. Zurückzuführen ist dies auf den Fortschritt im Laborbereich und generell in der medizinischen Behandlung. Auch die gesetzlichen Vorgaben spielen dabei eine Rolle, wobei die Verbesserungen schon vor 2017 zu sehen waren.

Welche Faktoren können den Erfolg von IVF beeinflussen?

In erster Linie ist es das Alter der Frau, das ist der wichtigste Faktor. Ist die Frau schon älter, hat aber eine gute Reserve ihres Eierstocks, kann sie die schlechte Qualität ihrer Eizellen ausgleichen. Weitere Erfolgsfaktoren sind die Voraussetzungen des Paares und die Behandlung. Dazu zähle ich auch die Vorbehandlung, also die Hormonbehandlung. Was es zudem für den Erfolg braucht, ist eine Eizelle, die möglichst gut funktioniert und gute genetische Informationen hat. Und es braucht gutes Spermium mit guten genetischen Informationen. Das muss in die Eizelle, das Erbmaterial muss sich vereinigen, und aus der befruchteten Eizelle muss sich ein Embryo entwickeln. Dazu braucht es gute kulturelle Bedingungen im Labor. Alle diese Faktoren müssen gut zusammenspielen. Angefangen bei der Hormonbehandlung, der Vorbereitung der Spermien, der Art der Befruchtung und der Entnahme der Eizelle über die Kultivierung im Labor bis zum Transfer in die Gebärmutter. Auch das Timing spielt eine Rolle. Zusammengefasst kann ich sagen: Viele Faktoren sind wichtig, und entscheidend ist am Schluss ein gutes Zusammenspiel aller Beteiligten.

IVF kann teuer sein. Wie tief müssen Paare dafür in die Tasche greifen?

Diese Frage kann man so fast nicht beantworten. Jede Behandlung ist anders, und man muss aufpassen, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleicht. Wenn ein Paar gute Voraussetzungen hat und alles auf Anhieb klappt, ist mit rund 10’000 Franken zu rechnen. Wenn die Bedingungen nicht ideal sind, kostet jeder weitere Versuch wieder gleich viel. Wenn man gefrorene Embryonen hat, kann man sie auftauen und einsetzen. Das kostet in der Regel einige Tausend Franken. Eine genetische Untersuchung kostet extra. Die genetische Präimplantationsdiagnostik kann dem Entscheid darüber dienen, ob ein durch IVF erzeugter Embryo in die Gebärmutter eingepflanzt werden soll oder nicht. Deshalb würde ich sagen, dass man dadurch letzten Endes Kosten spart, da man vor allem bei älteren Frauen unnötige und frustrierende Transfers vermeiden und unter Umständen auch Fehlgeburten verhindern kann. Eine genetische Untersuchung kann auch beruhigend sein für ein Paar, das Angst hat, ihrem Kind eine schwere Erbkrankheit zu übergeben.

Deckt die Krankenkasse die Kosten für IVF?

Nein, im Moment nicht.

IVF kann unerwünschte Nebenwirkungen wie z.B. Eierstocküberstimulation haben. Was sind weitere Nebenwirkungen?

Eierstocküberstimulation ist die wichtigste Nebenwirkung, obwohl man auch da massive Fortschritte gemacht hat. Schwere Fälle habe ich seit langem nicht mehr gesehen. Das liegt daran, dass man zurückhaltender geworden ist mit der Stimulation, also der Hormonbehandlung. Man hat heute auch bessere Medikamente, bessere Hormone und bessere Strategien, wie man die Hormone kombiniert. Weitere Nebenwirkungen sind ein erhöhtes Thromboserisiko und allgemein die Nebenwirkungen von Hormonen: Übelkeit, Brustspannen oder Stimmungsschwankungen. Das kann ausgeprägter sein, wenn eine Frau einen höheren Hormonspiegel hat.

Was umfasst der IVF-Behandlungsplan und wie lange dauert er in der Regel?

Zum Behandlungsplan gehören die Stimulation mit Ultraschallkontrolle. Oder, wenn es jemand ohne Hormonbehandlung versucht, ein Monitoring des Eierstocks, um den optimalen Zeitpunkt zu finden. Danach folgt die Entnahme der Eizelle, die Abgabe von Spermien, die Vorbereitung der Eizellen und der Spermien sowie die In-vitro, entweder als Insemination oder durch Einspritzen eines einzelnen Spermiums in die Eizelle. In einem nächsten Schritt werden die Embryonen im Labor kultiviert. Das dauert in der Regel fünf Tage. Nach Ablauf dieser Frist erfolgt der Transfer, das Einsetzen des Embryos, und die Unterstützung der Gelbkörperphase. Gelbkörper braucht es, damit sich ein Embryo optimal einnisten und in der Gebärmutter weiterentwickeln kann. Bis zum Transfer dauern diese Schritte rund drei Wochen, bis ganz zum Schluss sind wir bei acht Wochen.

IVF birgt einige Risiken wie z.B. Mehrlingsschwangerschaften und Geburtskomplikationen. Wie hoch sind die Risiken?

Die Mehrlingsschwangerschaft ist eines der Hauptrisiken, wobei wir seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes 2017 nur noch einen Embryo einsetzen dürfen. Damit hat das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft wesentlich abgenommen. Weitere Komplikationen wie eineiige Zwillinge oder Eileiterschwangerschaften sind bei der IVF im Vergleich mit Spontanschwangerschaften leicht erhöht. Die Ursache ist jedoch nicht klar.

Gibt es eine Möglichkeit, Risiken zu minimieren?

Ja, das probiert man natürlich. Durch Anpassen der hormonellen Behandlung und durch die optimale Kultivierung der Embryonen im Labor. Auch hier kommt uns der Fortschritt in der Medizin und im Laborbereich zugute.

Bei einigen Paaren ist es notwendig, Eizellen oder Sperma von Spendern zu verwenden. Wie läuft der Spende-Prozess ab?

In der Schweiz erlaubt ist die Samenspende für verheiratete Paare. Nicht verheiratete Paare müssen dafür ins Ausland reisen. Die Eizellenspende ist generell nicht erlaubt. Bei der Samenspende ist der Prozess so, dass man Samen aus einer bestehenden Samenbank nimmt, die bereits eingefroren sind. Diese gelangen entweder durch eine Insemination in die Gebärmutter der Frau oder mit In-vitro. Bei der In-vitro wird die Eizelle im Labor mit aufgetautem Samen aus der Samenbank befruchtet. Bei der Eizellenspende, die in der Schweiz wie gesagt nicht erlaubt ist, werden Eizellen, die bereits gefroren sind oder der Spenderin entnommen werden, mit dem Samen des Mannes mit IVF oder Intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) befruchtet, kultiviert und der Frau einsetzt.

Werden die Samenspenden anonym gemacht?

Die Samenspende ist in der Schweiz halboffen. Das bedeutet, dass die Personalien des Spenders beim Amt für Zivilstandswesen gespeichert werden und den Kindern gegenüber offengelegt werden können, sobald sie 18 Jahre alt sind. Der Spender muss durch die behandelnde Arztperson ausgewählt werden. Kriterien für die Wahl sind die äusserliche Ähnlichkeit mit dem gesetzlichen Vater und die Blutgruppe.

IVF kann sehr belastend sein. Wie können Paare mit dem emotionalen Stress umgehen?

Diesen emotionalen Stress kann ich bestätigen. Manchmal frage ich mich aber, ob es die IVF ist, die belastet, oder die Tatsache, dass man IVF braucht. Ich denke, es ist eine Mischung aus beidem. Was ebenfalls belastend ist, sind die hohen Hormondosen. Und da man einen so grossen Aufwand betreibt, steigt auch die Erwartungshaltung. Oft wissen Paare auch, dass sie eher am Ende der Möglichkeiten sind, und das verursacht Stress.

Wie helfen Sie Paaren, mit den emotionalen Auswirkungen umzugehen?

Was wir anbieten können und von Gesetzes wegen auch müssen, ist psychologische Unterstützung. Dazu überweise ich Paare bei Bedarf an eine Psychologin oder einen Psychologen. Und natürlich spreche ich auch selbst mit den Paaren über ihre Situation.

Was ist der schönste Teil Ihrer Arbeit?

Das ist das Emotionale. Wenn ich dem Paar am Schluss die gute Nachricht überbringen kann, dass es mit der Schwangerschaft geklappt hat, und das Paar glücklich und zufrieden ist. Misserfolge gibt es natürlich auch. Wenn man dann aber sagen kann, es war trotzdem ein guter Weg, den wir zusammen gegangen sind, finde ich das ebenfalls befriedigend. Was mir auch sehr gefällt: Die Reproduktionsmedizin ist rein intellektuell betrachtet eine spannende Aufgabe und ein sehr interessanter Bereich der Gynäkologie und der Medizin.

Gibt es ein Erlebnis, das Sie besonders berührt hat?

Es gibt kein einzelnes Erlebnis oder keinen einzelnen Fall. Besonders berührt mich jeweils die Freude eines Paares, wenn die IVF erfolgreich war. Ich freue mich immer mit. Und je länger ich ein Paar begleitet habe, desto emotionaler wird es. Es gibt auch Paare, die partout nicht aufgeben und es immer wieder versuchen – und plötzlich klappt es. Das sind die eindrücklichsten Momente. Ich habe schon oft gesehen, dass Geduld und Hoffnung von Erfolg gekrönt sind.

Kinderwunsch Praxis in Cham

Empfang der Kinderwunsch Praxis in Cham

Kinderwunsch Praxis in Cham

Eingang in der Kinderwunsch Praxis in Cham

 

Weitere Informationen zum Thema:

Blogbeitrag: Genetische Untersuchungen vor und während der Schwangerschaft: Entromantisiert die Wissenschaft den Kinderwunsch?

Weitere Informationen auf hirslanden.ch zum Thema unerfüllter Kinderwunsch.

Informationsseite zum Thema Kinderwunsch & Fruchtbarkeitserhaltung des Fachzentrums Lorze.

Hirslanden Precise:
Genetische Untersuchungen vor und während der Schwangerschaft.