Eigene Knieprobleme waren für Prof. Dr. Markus Arnold die Motivation, Medizin zu studieren. Mittlerweile hat sich der Facharzt für Orthopädische Chirurgie seit mehr als 20 Jahren auf das Gelenk und Knieimplantate spezialisiert. In vielen Fällen hat man mit einer klassischen Prothese schon ein gutes Ergebnis, sagt der Chirurg, Prof. Dr. Markus Arnold. In manchen Fällen empfiehlt er jedoch eine massgeschneiderte Prothese, welche mit Hilfe eines 3D-Druckers hergestellt werden. Der Vorteil: Die Massanfertigung wird dem Knie angepasst und nicht das Knie der Prothese. Das spüren auch die Patientinnen und Patienten.

Sie bieten bereits seit Jahren massgeschneiderte Prothesen an. Wie viele setzen Sie jährlich ein?

2016 habe ich damit angefangen, massgefertigte Knieprothesen zu verwenden. Anfänglich war ich vorsichtig und habe bewusst nur 10 bis 20 Prozent der Gelenke massanfertigen lassen und zu 80 Prozent weiter klassische Knieprothesen eingesetzt. Mittlerweile hat sich das Verhältnis verschoben. Jetzt setze ich zu 80 Prozent massangefertigte Knieprothesen ein, bei einem Gesamtvolumen von mehr als 100 Prothesen pro Jahr. Für Schweizer Verhältnisse ist das relativ viel.

Wie gängig ist das Verfahren mittlerweile in der Schweiz?

Hier sind wir immer noch eine relativ kleine Community von Kollegen und Kolleginnen, die diese Technologie anbieten. Laut Prothesenregister wurden in der Schweiz 2021 etwa 10 Prozent der implantierten Kniegelenke massangefertigt. Der Rest wurde herkömmlich operiert.

Worin genau liegen die Unterschiede beim Material und nach der Operation?

Beim Material gibt es überhaupt keinen Unterschied, hier werden die bewährten Materialien verwendet. Das ist ja das Gute, ausser der Form ändert sich nichts bei einer personalisierten Lösung im Vergleich zur klassischen Prothese. Es handelt sich meist um eine Kobalt-Chrom-Molybdän Legierung namens Vitallium für die Oberschenkel-Komponente. Dieses Material und auch das teilweise für die Unterschenkelseite verwendete Titan hat bekannte Eigenschaften bezüglich Elastizität, Haltbarkeit und Oberflächenqualität. Hier ist alles genau gleich wie bei der klassischen Prothese. Da der Unterschied nur in der Form liegt, sind keine negativen Überraschungen bezüglich Haltbarkeit zu erwarten.

Eine Knieprothese mit Hilfe eines 3D-Druckers hergestellt ist also eine Massanfertigung.

Genau. Bei der klassischen Prothese passe ich im Grunde das Knie der Prothese an. Bei der Massanfertigung ist es umgekehrt: Das Implantat wird der Knieform angepasst. Das ist deshalb so gut, weil es ganz verschiedene Typen von Kniegelenksformen gibt. Knie ist nicht gleich Knie. Die Gelenke sind nicht alle gleich, jedes Knie hat seine eigene Persönlichkeit, diese Tatsache haben wir wissenschaftlich erst in den letzten wenigen Jahren richtig verstanden. Meiner Meinung nach spricht derzeit nichts gegen eine Massprothese, ausser vielleicht, dass sie teurer ist. Es ist aber auch nicht so, dass jeder unbedingt so eine Massanfertigung braucht, um ein gutes Ergebnis zu bekommen. Manchmal ist es schwierig, das vorher einzuschätzen. Es gibt aber auch Röntgenbilder, auf denen sehe ich gleich, dass wegen der speziellen Form des Kniegelenkes eine Massprothese sinnvoll wäre.

Welche Fälle sind das?

Eine Massanfertigung empfehle ich Menschen, die asymmetrische Knie mit schiefen Gelenklinien haben. Die Patienten selbst merken das natürlich gar nicht, aber ich sehe das auf einem Röntgenbild und weiss, dass wir mit einem klassischen Verfahren vom ersten Operationsschritt Kompromisse eingehen müssten. Viele kommen aber auch schon in die Praxis und wollen ganz bewusst eine massgefertigte Prothese. Da gibt es mittlerweile viel Mund zu Mund Propaganda.

Gibt es schon Langzeitstudien zur Haltbarkeit im Gegensatz zu herkömmlichen Prothesen und wie sind Ihre Rückmeldungen?

Wir verfolgen die Resultate unserer eigenen Patienten sehr genau, andererseits werden heutzutage Knieprothesen international in Prothesenregistern erfasst. Pionier der massgefertigten Knieprothetik ist eine amerikanische Firma. Deren massgefertigte Implantate sind bereits seit 2011 erhältlich. Das britische Prothesenregister reicht am weitesten zurück und attestiert dieser Massprothese, die auch wir verwenden, eine überdurchschnittlich gute Haltbarkeit.

Kann man überhaupt schon von Haltbarkeit sprechen? Die Massprothesen werden ja erst seit wenigen Jahren eingesetzt.

Ja, denn sehen Sie: wir überblicken mit den ersten massgefertigten Knieprothesen doch schon 11 Jahre. Die aktuellen Modelle der klassischen Prothesen sind weniger lang im Einsatz, man hat damit also eigentlich weniger Langzeiterfahrung. Während vor 15 Jahren das notwendige Kunststoffteil die Schwachstelle war, ist heute eher die Verankerungen im Unterschenkel das schwächste Glied in der Kette. Es gibt aber auch schöne Studien, die ganz unabhängig von der Art des Implantats belegen, dass Menschen, die in einem vernünftigen Rahmen körperlich aktiv sind und sich nach der Operation viel bewegen, auch diese Schwachstelle korrigieren, wahrscheinlich dank einer besser bleibenden Knochenqualität als bei inaktiven Menschen.

Die massgefertigte Prothese ist ja nach wie vor deutlich teurer als das klassische Modell. Wie gross ist der Mehrwert für den Patienten oder die Patientin?

Den grössten Unterschied sehen wir darin, dass ich als Chirurg keinen Kompromiss zwischen Stabilität und Beweglichkeit machen muss. Mit der Massanfertigung ist beides möglich. Das spürt man als Patient hinterher bei alltäglichen Aktivitäten wie beim Gehen auf unebenen Untergrund im Wald, beim Treppensteigen, oder bei extremeren Belastungen wie beim Klettern und Tennisspielen. Ich vergleiche die Heilung nach der Operation mit den Phasen der Weinreifung.

Wieso Weinreifung?

Die ersten 6 Wochen nach der Operation sind für den Patienten relativ harte Arbeit, das Knie hat Priorität. Nach 4 Monaten hat man üblicherweise ein Stadium erreicht, in dem sich das Knie schon recht gut anfühlt, aber meistens noch Restbeschwerden macht. Diese Phase vergleiche ich mit der Situation im Weinkeller, wenn ein guter Bordeaux oder ein Barolo aus dem Fass in die Flasche abgefüllt wird, die Hauptarbeit ist gemacht, den Wein trinkt in dieser Phase eigentlich noch niemand, denn jetzt braucht es noch Pflege und Geduld. Nach einem Jahr ist die Knieheilung so weit gereift, dass es sich ziemlich gut anfühlt, die erwähnten Weine wären jetzt etwa trinkreif. Der Reifungsprozess geht allerdings weiter. Beim Knie wie beim Wein. Lustigerweise haben mir mehrere Winzer, denen ich eine massgefertigte Prothese eingebaut habe, gesagt, ihr Knie sei jetzt besser als vorher. Von Patienten mit einer Massanfertigung höre ich auch häufiger, dass sie gar kein Fremdkörpergefühl haben. Das Höchste der Gefühle ist ja, wenn man nichts mehr bemerkt von seinem früheren Sorgen-Knie. Dies erreichen wir häufig mit der personalisierten Lösung.

In diversen Hirslanden Kliniken wird ein Programm durchgeführt, das einen Ansatz zur möglichst schnellen Genesung nach einer Gelenk-OP verfolgt, wie etwa Rapid Recovery und Hirslanden MOTION. Inwiefern lässt sich dieser Ansatz auch mit dem personalisierten 3D-Kniegelenk verfolgen?

MOTION ist ein super Konzept, ein guter Prozess, das ich selbst in der Hirslanden Klinik Birshof in Münchenstein (Basel) mit initiiert habe. Alle Beteiligten wissen genau, was zu tun ist. Das Implantat spielt hier eher eine untergeordnete Rolle. Es geht mehr um die Vorbereitung und die Einstellung aller Beteiligten, damit der Patient und sein Knie schnell aber sicher wieder mobilisiert wird. Ein grosser Unterschied findet sich im OP für das Team. Bei der Massanfertigung werden viel weniger Instrumente benötigt und ausgepackt, diesbezüglich sind wir Ressourcen schonend unterwegs. Es gibt weniger auszuprobieren, es wurde ja bereits VOR der Operation geplant und passend produziert.

In einem früheren Interview haben Sie einmal die Prognose gewagt, dass die 3D Drucker-Technik auch für Sprunggelenksprothesen Potenzial hat. Wie weit ist man hier inzwischen?

Ich bin kein Fusschirurg, aber mir ist bekannt, dass inzwischen ein massgefertigtes Mini-Implantat aus Schweden im oberen Sprunggelenk eingesetzt werden kann. Man bewegt sich also auch bei anderen Spezialitäten. Bei der Hüftchirurgie sind ja schon lange massgefertigte Implantate im Einsatz von der Schweizer Firma Symbios.

Wenn ich mich für ein Kniegelenk, welches mit Hilfe eines 3D-Druckers hergestellt wurde, entschieden habe – wie lange muss ich dann auf mein Gelenk warten?

Sechs Wochen nach dem CT, das als Basis für die Herstellung Ihres Kniegelenkes dient, wird Ihr Gelenk geliefert. Es gibt hier zwei Möglichkeiten: Nach den Pionieren aus den USA sind seit 2018 ebenfalls Implantate aus der Französischen Schweiz bei Neuchâtel erhältlich. Massprothesen sind etwas teurer als klassische Implantate, der logistische Aufwand bei der Herstellung ist ja auch ungleich höher.

Aber ich bin überzeugt von der neuen Technologie und sehe grosse Vorteile für unsere Patienten.

Kostenübernahme

Bei zusatzversicherten Patienten ist die Kostenübernahme durch die Versicherung gewährleistet. Wir unterstützen Sie gern bei Abklärungen in dieser Fragestellung.