Die Olympischen Winterspiele im südkoreanischen Pyeongchang sind vor kurzem zu Ende gegangen. Die Schweizer Sportler kamen mit stolzen 15 Medaillen nachhause. Ebenso von Pyeongchang heimgekehrt ist Dr. med. David Haeni. Er ist Facharzt für Orthopädie und Traumatologie des Bewegungsapparates und arbeitet im Schulter- und Ellenbogen-Team in der Gruppenpraxis LEONARDO an der Hirslanden Klinik Birshof. Er ist einer von zwölf Ärzten aus der ganzen Welt, die innerhalb eines speziellen Studiengangs vom IOC an der Olympiade mit dabei sein durften. Ich konnte ihn zwei Tage nach seiner Heimkehr zu seinem Einsatz interviewen.

Herr Dr. Haeni, Sie sind vor zwei Tagen von Pyeongchang heimgekehrt. Jetlag schon überwunden?

Dr. med. David Haeni: Noch nicht wirklich [lacht]. Nach knapp 35 Stunden Reise bin ich wieder hier. Jetzt wäre für mich nicht Vormittag, sondern Abend …

Wie kamen Sie dazu, einen medizinischen Einsatz bei Olympia zu leisten?

Dr. med. David Haeni: Im Rahmen meiner Ausbildung zum Orthopäden habe ich zwar oft Athleten und Amateursportler behandelt. Aber wirklich Zeit, um in den sportmedizinischen Bereich zu investieren, hatte ich damals nie. Das ist schade, zumal unsere Patienten regelmässig Sport betreiben. Ich wollte mich deshalb in diesem Bereich weiterbilden und meldete mich für das «IOC Diploma in Sports Medicine» an, welches das Internationale Olympische Komitee anbietet. Und im Rahmen dieser sportmedizinischen Ausbildung bewarb ich mich für einen Einsatz bei den olympischen Spielen und wurde ausgewählt. Unser Team bestand aus zwölf Ärzten aus verschiedenen Nationen.

Wo war Ihr Arbeitsort?

Dr. med. David Haeni: Zum einen in der Polyklinik. Diese war wie eine Notfallstation organisiert, mit verschiedenen Disziplinen, eben auch der Orthopädie. In der Polyklinik hatten wir praktisch alle Infrastruktur vor Ort (wie Röntgen und MRI) oder ganz in der Nahe (CT). Unser Team unterstützte die Orthopäden aus Südkorea. Dieser Austausch war natürlich sehr spannend.

Die zweite Tätigkeit war am sogenannten «Field of Play», also während der Trainings oder der Wettkämpfe. So war ich zum Beispiel vor Ort beim Bobfahren, beim Langlauf, bei der nordischen Kombination und bei der Halfpipe. Letztere ist natürlich sehr gefährlich. Die Athleten springen ja 5-6 m hoch. Zudem war ich beim Eishockey am Feld, zum Beispiel als die Schweizer Damenmannschaft gegen Japan gewann. Ich war als Arzt da für den Fall, dass es einen Unfall gab.


Die Ärzte der IOC-Delegation waren auch bei der Ski Halfpipe im Einsatz.

Und gab es bei diesem Spiel Unfälle?

Dr. med. David Haeni: Ja, aber zum Glück nur kleinere. Die Athleten sind sehr motiviert und möchten weiter spielen.

Wer waren Ihre Patienten?

Dr. med. David Haeni: Athleten aller Nationen. Die Athleten und ihre Teams waren je nach Land und Sportart sehr unterschiedlich organisiert. Einige Länder reisten mit sehr kleinen Teams an und hatten teilweise keinen Arzt oder Physiotherapeuten dabei. Andere kamen mit einem ganzen eigenen Stab von medizinischem Fachpersonal. So gab es Athleten, die immer direkt in die Polyklinik kamen, andere erst, wenn sie weitere Abklärungen brauchten.

Wo waren Sie untergebracht?

Dr. med. David Haeni: Wir waren etwa eine Stunde mit dem Bus entfernt von Pyeongchang und den verschiedenen Standorten der Sportstätten.

Wie sah ein typischer Arbeitsalltag für Sie aus, sofern es diesen überhaupt gab?

Dr. med. David Haeni: In der Polyklinik gab es jeweils ein Meeting um 9 Uhr mit dem IOC Forschungsteam. Und dann kam es drauf an, welche Patienten kamen. Die Patienten behandelten wir immer zusammen mit den Kollegen aus Südkorea. Diese waren sehr kompetent, praktisch alles leitende Ärzte oder Chefärzte verschiedener Spitäler, vor allem aus Seoul. Ich hatte sogar die Möglichkeit, einen der besten Schulterchirurgen aus Asien kennenzulernen, den Professor Joohan Oh. Es war natürlich extrem spannend, mit solchen Topleuten arbeiten zu können.

Die Tage am Feld waren sehr unterschiedlich je nach Sportart und Einsatz. Manchmal waren wir bis 17 Stunden unterwegs, zum Beispiel alleine schon 4 Stunden im Bus oder bis in den späten Abend beim Eishockey. Bei Verletzungen übernahmen wir dann am Feld die erste Versorgung und wenn nötig den Transport in die Klinik für weitere Abklärungen.

Es war sehr anstrengend, organisatorisch nicht immer einfach, aber sehr interessant. Vor allem die Kombination von Arbeit in der Polyklinik und am Feld war sehr abwechslungsreich.

Es war sehr kalt, wie ich gehört habe …

Dr. med. David Haeni: Oh ja, das Schlimmste waren minus 16 Grad, dazu der kalte Wind. Wir waren dann mit sehr dicken Jacken unterwegs …

Was waren die häufigsten Verletzungen?

Dr. med. David Haeni: Jede Sportart hat ihre typischen Verletzungen. Im Eishockey gibt es häufig Gesichtsverletzungen (wenn der Puck ins Gesicht fliegt) und Knie- und Sprunggelenksverletzungen. Verletzungen beim Bobfahren sind sehr selten, aber wenn sie passieren, können sie leider sehr schlimm sein, zum Beispiel mit Schädelhirntrauma und Wirbelsäulenverletzungen. Bei Skifahrern sieht man vor allem Knieverletzungen und Schlüsselbeinbrüche, bei den Snowboardern Ellenbogenverletzungen. Die Athleten sind aber grundsätzlich sehr gesund und sehr motiviert. Sie möchten natürlich eher nicht in die Klinik kommen müssen, sondern wollen weiter antreten.

Was war die schwerwiegendste Verletzung, deren Versorgung Sie persönlich miterlebten?

Dr. med. David Haeni: Wir hatten einen sehr schwierigen Schienbeinbruch, der noch am Unfalltag von einem südkoreanischen Kollegen operiert wurde.

Gibt es auch Sportler, die trotz Verletzungen weiter starten?

Dr. med. David Haeni: Ja, wir hatten eine Skifahrerin mit einem Handgelenksbruch, die dann mit einer Handgelenksmanschette startete. Sie stürzte dann aber nochmals und zog sich einen Bruch am Knie zu, worauf sie aufgab.

Bei solchen Entscheidungen war auch immer der Teamarzt dabei. Ebenso bei der ganzen Behandlung. So gab es für jeden Fall ein kleines Gremium aus der südkoreanischen Crew, der IOC-Delegation und dem Team des Sportlers. Das war natürlich sehr spannend und ich lernte viele Leute kennen. Und die Südkoreaner waren sehr freundlich, hiessen uns herzlich willkommen und zeigten uns sehr viel. Der fachliche Austausch war äusserst interessant.

Was war Ihre grösste Herausforderung?

Dr. med. David Haeni: Die zeitliche Organisation, alle diese Topathleten aus den verschiedenen Disziplinieren behandeln zu können. Die Erwartungshaltung war sehr hoch und jeder wollte natürlich schnellstmöglich versorgt sein.

Waren Sie nervös, weil Sie Topathleten behandelten?

Dr. med. David Haeni: Nein, diese waren auch ganz locker. Sie sind Patienten. Aber natürlich kommen solche Patienten mit grossen Erwartungen.

Was waren Ihre spannendsten Eindrücke bei diesem Einsatz?

Dr. med. David Haeni: Ich habe beruflich sehr viel gelernt. Nicht nur medizinisch, auch organisatorisch. Wie kann man sich bei einem so grossen Event organisieren? Zudem hatte ich Glück, weil ich nahe an der Forschungskommission war und so spannende Einblicke hatte.

Und persönlich war es eindrücklich, so viele Kollegen aus aller Welt in einer solchen besonderen Situation kennenzulernen. Also beruflich und persönlich eine ganz besondere Erfahrung!

Herzlichen Dank für das spannende Interview!