In der Schweiz sind vier von fünf Brustkrebspatientinnen bei der Diagnose über 50 Jahre alt. Doch die Krankheit kann auch junge Frauen treffen. Zu ihnen gehörte vor drei Jahren die damals 27-jährige Anna Ribaut. Im Interview spricht die angehende Tanz- und Bewegungstherapeutin über ihre langwierige, aber schliesslich erfolgreiche Behandlung und wie ihr das Tanzen in jener schwierigen Zeit geholfen hatte.
Sie erhielten im Alter von 27 Jahren die Diagnose Brustkrebs. Das war im Juni 2017. Ende 2018 konnten Sie die Krebsbehandlung abschliessen. Wie geht es Ihnen heute?
Anna Ribaut: Mit geht es sehr gut. Ich bin fit und kann wieder arbeiten. Um das Rückfallrisiko zu reduzieren, mache ich noch bis 2023 eine Antihormontherapie. Abgesehen von gelegentlichen Hitzewallungen und Einschlafschwierigkeiten merke ich davon nicht viel. Nebenwirkungen wie Gelenkschmerzen oder depressive Verstimmungen bleiben mir zum Glück erspart.
Mit welchen körperlichen Veränderungen oder Beschwerden machte sich Ihre Erkrankung als Erstes bemerkbar? Und wie haben Sie darauf reagiert?
Anna Ribaut: Ich war in jener Zeit allgemein sehr gestresst und verlor an Gewicht. Speziell Beachtung geschenkt habe ich dem allerdings nicht. Als ich mir einmal aufgrund von Verspannungen im Rücken selber etwas die Muskeln kneten wollte, entdeckte ich zufällig eine Verhärtung an der Seite meiner rechten Brust. Mit einer Mischung aus ungutem Gefühl und Zuversicht beschloss ich, die Entdeckung meiner Frauenärztin zu zeigen. Sie überwies mich zur weiteren Abklärung ans Brust-Zentrum Zürich im Zürcher Quartier Seefeld.
Welche Untersuchungen erwarteten Sie dort?
Anna Ribaut: Der Gynäkologe des Brust-Zentrums stellte mir eine Reihe von Fragen, tastete die Brust ab und führte anschliessend eine Ultraschalluntersuchung durch. Der Arzt liess durchblicken, dass es Krebs sein könnte, und wollte deshalb umgehend eine Gewebeprobe entnehmen. Ein paar Tage später kam ein MRI an einem radiologischen Institut dazu. Kurz darauf eröffnete mir der Gynäkologe bei einem zweiten Termin die Diagnose. Das war natürlich ein Hammer und Schock. Ich erlebte zum ersten Mal, was sich während der Behandlungszeit noch mehrmals wiederholen sollte: Ich wurde mit einer schlechten Nachricht konfrontiert, aber die Ärzte zeigten mir sofort auch Therapieoptionen auf, die Anlass zu Hoffnung gaben.
Bei einer Krebserkrankung wird die Therapieempfehlung von Fachärzten verschiedener Disziplinen gemeinsam erarbeitet. Welchen Behandlungsplan hat Ihnen das interdisziplinäre Tumorboard vorgeschlagen?
Anna Ribaut: Von Anfang an war klar, dass der Tumor operativ entfernt werden musste. Aufgrund der Ergebnisse der Gewebeuntersuchung legten mir die Ärzte ausserdem eine anschliessende Chemotherapie und danach eine Antihormontherapie ans Herz. Der Grund dafür: Der Tumor gehörte zu den aggressiver wachsenden Typen (HER2-positiv) und wurde ausserdem durch weibliche Geschlechtshormone stimuliert (Hormonrezeptor-positiv). Die genetische Abklärung ergab zum Glück, dass es sich nicht um einen erblichen Brustkrebs handelte. In solchen Fällen wird vorsorglich oft auch die noch gesunde Brust entfernt.
Wie haben Sie die Zeit vor Therapiebeginn erlebt?
Anna Ribaut: Auf der einen Seite durchläuft man starke Emotionen, schwankt zwischen Angst und Zuversicht. Auf der anderen Seite ist man gezwungen, ganz rational Entscheidungen zu treffen. Dazu gehörte etwa die Frage nach einer Eizellenentnahme, da die Krebsbehandlung auch die Fruchtbarkeit beeinträchtigen kann. Ich entschied mich dafür, hatte dann aber das Pech, dass die letzte Hormonspritze zu einer Hyperstimulation der Eierstöcke führte. Zur Behandlung musste ich für eine Woche ins Spital. Emotional war das der Tiefpunkt. Der einzige Trost war, dass viele brauchbare Eizellen entnommen werden konnten.
Ihre am Ende erfolgreiche Brustkrebsbehandlung war ein langwieriger Prozess. Welches waren die wichtigsten Etappen?
Anna Ribaut: Rund vier Wochen nach der Diagnose wurden der Tumor und die nächstliegenden Lymphknoten in der Achselhöhle operativ entfernt. Glücklicherweise fanden sich in diesen Lymphknoten keine Tumorzellen, und auch ein PET-Scan zeigte, dass keine weiteren Organe von Tumorzellen befallen waren. In den Schnitträndern des entfernten Brustgewebes konnten allerdings noch Tumorzellen nachgewiesen werden, und das bedeutete, dass sich solche auch noch in der Brust befanden. Aus diesem Grund wurde eine zweite Operation notwendig. Leider war es dabei abermals nicht möglich, restlos alle Tumorzellen zu entfernen.
Wie geht man mit solchen Rückschlägen um?
Anna Ribaut: Es ist eine emotionale Achterbahnfahrt: Nach einer unerfreulichen Nachricht klammert man sich an die Hoffnung, dass der nächste Therapieschritt erfolgreich sein wird. Bei mir war das nach der zweiten Operation eine sechsmonatige Chemotherapie, um die verbliebenen Tumorzellen abzutöten und das Rückfallrisiko zu senken. Die emotionale Achterbahnfahrt setzte sich allerdings gleich fort, denn mit der Hoffnung auf die Wirksamkeit der Chemotherapie einher ging meine grosse Angst vor ihren Nebenwirkungen. Zum Glück war es dann weniger schlimm, als ich befürchtet hatte. Mein Alltag ging weiter, und ich konnte auch über all die Monate weiter tanzen.
Welche Rolle spielte in dieser schwierigen Zeit Ihr persönliches Umfeld?
Anna Ribaut: Mein Partner, meine Familie und meine Freunde haben mich stark unterstützt. Das war zentral und enorm wichtig für mich. Sehr förderlich und wegweisend war zudem die Unterstützung meiner ehemaligen Tanzlehrerin Romea Bausch, meiner heutigen Tanzlehrerin Maya Farner und meiner Tanz- und Bewegungstherapeutin Alexandra Gysel. Eine grosse Hilfe waren für mich auch die Breast Care Nurse und die spezialisierten Pflegefachfrauen des Brust-Zentrums, die mich einfühlsam begleiteten und fachlich kompetent betreuten. Als Glücksfall erwies sich schliesslich auch mein Hausarzt, der mit seinem breiten Wissen eine zentrale Rolle spielte bei der Behandlung der Nebenwirkungen der Chemotherapie.
Wie ging es nach der Chemotherapie weiter?
Anna Ribaut: Die Ärzte zeigten mir als nächsten Behandlungsschritt zwei Therapieoptionen samt ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen auf: entweder nochmals nachschneiden und dann bestrahlen oder aber die ganze Brust entfernen, wodurch sich eine anschliessende Bestrahlung erübrigen würde. Ich entschied mich für die zweite Optionen – einerseits aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus und andererseits, weil eine Brustrekonstruktion nach den mehrmaligen Eingriffen ohnehin notwendig wurde. Der Wiederaufbau der Brust erfolgte als letzter Eingriff ein paar Wochen nach der Brustentfernung unter Verwendung eines Implantats.
Die BrustrekonstruktionLesen Sie im Blogbeitrag «Brustkrebs aus der Sicht eines plastischen Chirurgen» mehr über verschiedene Möglichkeiten einer Brustrekonstruktion. |
Nach der Brustkrebs-Diagnose haben Sie Ihren Job in der Gastronomie gekündigt und sich für eine neue berufliche Herausforderung entschieden: Sie lassen sich zur Tanz- und Bewegungstherapeutin ausbilden. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Anna Ribaut: Das Tanzen nahm seit jeher einen wichtigen Platz in meinem Leben ein. Ich tanze nicht nur selber viel, sondern gab auch schon vor meiner Erkrankung Unterricht in Orientalischem Tanz. Während der Behandlungszeit gab mir das Tanzen eine Struktur, da ich kaum mehr arbeiten konnte. Vor allem aber half mir die bewusste Arbeit mit dem Körper: Man setzt sich beim Tanzen mit ihm auf einer ganz anderen Ebene auseinander, als wenn man nur darüber spricht – was man während einer Behandlung ja ständig tun muss. So nahm das Tanzen in meinem Leben immer mehr Raum ein, und mit der Zeit reifte in mir der Entschluss, das Tanzen in irgendeiner Form zu meinem Beruf machen zu wollen. Ich begann nach Ausbildungen zu recherchieren und landete schliesslich bei der Tanz- und Bewegungstherapie. Schnell war mir klar: Das ist es, was ich machen will.
Welche Rolle spielte bei diesem Entscheid die Erfahrung Ihrer eigenen Erkrankung?
Anna Ribaut: Im Rückblick kann ich sagen, dass die Diagnose für meine Lebensgestaltung fast ein Geschenk war. Sie zeigte mir auf, dass in meinem Leben etwas falsch lief: Vor meiner Erkrankung war ich permanent einem grossen Stress ausgesetzt, emotional wie körperlich. Zusätzlich machte ich mir selbst grossen Druck, hatte das Gefühl, überall gleichzeitig sein zu müssen, und verzettelte mich. Dazu kam, dass die Arbeit in der Gastronomie einem gesunden Lebensstil nicht gerade förderlich ist. Heute weiss ich: Ich will anders leben.
Wie wird man Tanz- und Bewegungstherapeutin?
Anna Ribaut: Meine Ausbildung zur Tanz- und Bewegungstherapeutin mache ich am Integrativen Ausbildungszentrum iac in Zürich. Die Tanztherapie beruht auf der Einsicht, dass Körper und Psyche wechselseitig stark aufeinander einwirken (Prinzip des Embodiments). Sie nutzt unter anderem das künstlerische Medium des Tanzes, um auf körperlicher und psychischer Ebene heilsame Prozesse in Gang zu setzen. Konkret geht es darum, in der Bewegung Dinge in sich selbst zu entdecken und mit ihnen produktiv und kreativ umzugehen. Dazu gehören Emotionen und Bedürfnisse genauso wie verborgene Ressourcen, die es zu stärken gilt. Solche Ressourcen können beispielsweise Empfindungen wie Energie und Kraft sein, aber auch Ruhe und Entspannung. Diese Ressourcen können im weiteren Verlauf durch Bewegungsabläufe sowie durch die Arbeit mit Bildern und Figuren gestärkt werden.
Sie bieten neben dem Unterricht in Orientalischem Tanz auch ein tanztherapeutisches Gruppenangebot für Brustkrebs-Betroffene an. Welche Therapieziele werden damit verfolgt?
Anna Ribaut: Ein wichtiges Ziel besteht darin, das durch eine Krebserkrankung erschütterte Vertrauen zum eigenen Körper wiederherzustellen und zu lernen, ihn auch wieder in einem nicht-medizinischen Kontext wahrzunehmen. Während der Behandlung kommt man nämlich fast nicht umhin, die Perspektive der Ärzte einzunehmen und sich selber gleichsam von aussen als medizinisches Objekt zu betrachten. Ein weiteres Ziel liegt darin, über die Bewegung herauszufinden, was einem besonders gut tut und wovon man mehr braucht. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass jeder Krebspatient seinen individuellen Weg durch die Krankheit und später zurück in den Alltag finden muss. Ich möchte den Betroffenen helfen, herauszufinden, wo ihr jeweils eigener Weg liegen könnte, und sie darauf begleiten.
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