„Room of Horrors“: Was gruselig klingt, ist in Wirklichkeit eine spielerische Möglichkeit, sich mit Risikofaktoren in Spitälern auseinanderzusetzen, und ist deshalb auch Thema der diesjährigen Aktionswoche Patientensicherheit. Die Klinik St. Anna hat bereits letztes Jahr einen „Raum des Schreckens“ eingerichtet – und positive Erfahrungen gemacht.

Eine Gruppe von Pflegefachpersonen begibt sich in ein Patientenzimmer. Im Bett liegt Anna Test. Frau Test hatte vor zwei Tagen eine Hüftoperation. An ihrem Arm liegt eine Infusion, gegenüber dem Bett – auf dem Pflegewagen – befindet sich die Patientendokumentation. Auf ihrem Nachttisch stehen eine Kanne Tee und ein kleiner Becher mit einer Schmerztablette. Doch warum darf Anna Test trinken, obwohl sie wegen einer vermuteten Schluckstörung vorerst nüchtern sein sollte, und weshalb ist ein Schmerzmittel gerichtet, obschon in der Akte der Patientin extra vermerkt wurde, dass sie auf diesen Wirkstoff allergisch ist? Die Antwort ist simpel: Weil es jemand mit Absicht gemacht hat.

Während sieben Wochen konnten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Luzerner Hirslanden Klinik St. Anna im letzten Jahr den sogenannten „Room of Horrors“ besuchen. Der Schrecken dieses Raums lag allerdings weniger im Übungsskelett Anna Test als in den zehn gravierenden Fehlern, die Claudia Imbery, Teamleiterin Pflegeexperten Hirslanden Klinik St. Anna, gemeinsam mit drei weiteren Fachpersonen in diesem fiktiven Patientenszenario versteckt hatte. Mit detektivischem Spürsinn konnten sich Ärztinnen, Pfleger, Apothekerinnen und Physiotherapeuten zu einem frei gewählten Zeitpunkt alleine oder in der Gruppe auf Fehlersuche begeben und ihre Entdeckungen schliesslich in einem Fragebogen festhalten.

Vorteil gegenüber theoretischen Schulungen

„Ziel der Aktion war es, auf spielerische Art und Weise das Thema Patientensicherheit in einem risikobehafteten Umfeld zu behandeln“, erklärt Claudia Imbery. Das ist der Projektgruppe, bestehend aus der Pflege und dem Qualitätsmanagement, gelungen. Über 60 Gruppen oder Einzelpersonen haben den Raum besucht. Eine von vielen Rückmeldungen, welche die Projektleiterin besonders freut, lautete: „Toll, was ihr hier vorbereitet habt. So eine geballte Ladung an Fehlern, die passieren können, aber nicht passieren sollten.“

Dieser Auffassung ist auch die Stiftung Patientensicherheit Schweiz und hat deshalb den „Raum des Schreckens“ zum Thema ihrer diesjährigen Aktionswoche gemacht, an der auch die Hirslanden-Kliniken Birshof, Permanence, Bois-Cerf, AndreasKlinik, Am Rosenberg, Im Park sowie Hirslanden teilnahmen. „Es ist eine Lernform, in der das Situationsbewusstsein der Mitarbeitenden trainiert werden kann. Dies ist ein wichtiger Vorteil gegenüber theoretischen Schulungen“, erklärt Prof. Dr. David Schwappach, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Patientensicherheit Schweiz.

Lerneffekt ohne Zeigefinger

Zudem lässt sich der „Raum des Schreckens“ einfach einrichten und auf die entsprechenden Schwerpunkte einer Klinik abstimmen. Um interessierten Spitälern die Vorbereitung zu erleichtern, stellt die Stiftung Unterstützungsmaterialien für verschiedene Szenarien aus unterschiedlichen Fachbereichen sowie Materiallisten und Anleitungen gratis online zur Verfügung. Obschon immer mehr technische und apparative Möglichkeiten eingesetzt werden, kommt es noch immer regelmässig zu Fehlern im Spitalalltag. Am häufigsten sind gemäss Schwappach Medikationsfehler sowie Infektionen. Der „Raum des Schreckens“ sei eine gute Möglichkeit, um das Thema Patientensicherheit zu thematisieren, ohne Zeigefingerpolitik zu betreiben.

Von dem positiven Effekt des „Raums des Schreckens“ ist auch PD Dr. med. Ilona Funke, Leiterin Medizinisches System an der Klinik St. Anna, überzeugt. Vor allem deshalb, weil die Übung auf eine gute Kommunikation zwischen den Teilnehmenden abzielt. „Beim Thema Patientensicherheit darf man das sogenannte ‚dreckige Dutzend der menschlichen Faktoren‘ nicht unterschätzen“, mahnt Ilona Funke. So entstünden viele Fehler im Alltag etwa durch mangelnde oder unklare Kommunikation, schlechte Teamarbeit, Selbstüberschätzung, unklare Vorgaben, aber auch mangelnde Ressourcen. „Im ‚Room of Horrors‘ wird ebendieser interprofessionelle Austausch zwischen den verschiedenen Berufsgruppen gefördert.“

Ob die letztjährige Übung in der Hirslanden Klinik St. Anna nachhaltig Wirkung gezeigt hat, kann Funke nicht anhand harter Zahlen belegen. „Die Aktion zielte vielmehr auf eine veränderte Unternehmenskultur ab, die Fehler als Chance zum Lernen versteht“, so Funke weiter. Statt eine Schuldkultur zu kultivieren, sollten stattdessen Möglichkeiten gefunden werden, wie Fehler künftig minimiert werden können.

Es sei wichtig, dass allen immer wieder bewusst werde, dass ein Spital eine Hochrisikoinstitution darstellt, erklärt Funke weiter. Auch deshalb empfiehlt sie jeder Klinik, einmal ihren eigenen „Room of Horrors“ zu gestalten. „Es ist eine effiziente und gleichzeitig niederschwellige Möglichkeit, um hierarchie- und professionsübergreifend über das Thema Patientensicherheit zu diskutieren“, so das abschliessende Urteil der klinischen Risikomanagerin.

 

Wo gearbeitet wird, passieren Fehler
Selbst dort, wo keine passieren dürfen: in der Arbeit mit kranken Menschen. Darum werden kontinuierlich Risiken identifiziert und in das Hirslanden-Sicherheitskonzept integriert. Eines der wichtigsten Tools dafür ist das Critical Incident Reporting System (CIRS), das kritische Zwischenfälle an einen definierten Personenkreis zur vertraulichen Überprüfung und Bearbeitung weiter­leitet. Im Alltag tragen zudem eine Vielzahl an Checklisten in den stationären und operierenden Bereichen sowie Patientenarmbänder zur Fehlervermeidung bei.www.patientensicherheit.ch/room-of-horrors