Vor 15 Jahren hat Professor Mendelowitsch die Neurochirurgie an der Hirslanden Klinik Aarau gegründet. Vor kurzem wurde nun das Neurozentrum Aarau eröffnet. Im Interview erklärt uns der erfahrene Spezialist, wie ein Hirntumor behandelt wird und was der Vorteil von interdisziplinären Zentren wie das Neurozentrum ist.

Herr Professor Mendelowitsch, die Diagnose Hirntumor ist selten, für die betroffenen Personen jedoch ein Schock.

Prof. Dr. med. Aminadav Mendelowitsch: Auf jeden Fall. Wir haben es jährlich mit ungefähr 500 Hirntumor-Neuerkrankungen in der Schweiz zu tun. Das ist im Vergleich zu anderen Krebsarten zwar wenig, aber für den einzelnen Patienten eine schwerwiegende Diagnose. Betroffen sind alle Altersklassen. Die Gespräche mit den Patienten und den Angehörigen sind sehr wichtig. Wir müssen sie gut aufklären über die Erkrankung sowie die Chancen und Risiken der Behandlungsoptionen. Oft ist eine psychologische Begleitung sinnvoll.

Weshalb können Hirntumore Kopfschmerzen erzeugen?

Prof. Dr. med. Aminadav Mendelowitsch: Wenn die Tumoren wachsen, erzeugt dies mehr Druck im Schädel. Deshalb haben ungefähr 50 % der Patienten langsam zunehmende Kopfschmerzen – anders als etwa bei einer Hirnblutung mit einem plötzlichen, vernichtenden Schmerz. Weitere Symptome sind Ausfälle wie Sehstörungen oder motorische Probleme, auch epileptische Anfälle treten auf – je nach Ort des Tumors. Diese Symptome kommen aber auch bei anderen Krankheiten vor. Wichtig ist die sorgfältige Abklärung.

Bewirken Hirntumore auch Persönlichkeitsveränderungen?

Prof. Dr. med. Aminadav Mendelowitsch: Das kann vorkommen, je nachdem, welche Hirnregion betroffen ist. Ich hatte schon Patienten, bei denen ein Tumor im Frontalbereich Aggressivität auslöste. Nach der Behandlung normalisierte sich das Verhalten Schritt für Schritt.

Wie ist die Prognose für Patienten mit einem Hirntumor?

Prof. Dr. med. Aminadav Mendelowitsch: Das hängt von verschiedenen Faktoren ab und ist sehr individuell: Es kommt u.a. auf die Art des Tumors an, auf die Grösse und den Ort. Bösartige Tumoren haben keine klaren Grenzen, sodass eine vollständige Entfernung schwieriger ist. Das Risiko besteht zudem, dass sie wiederkommen. Es ist auch zu unterscheiden, ob der Tumor im Hirn entstanden ist oder ob es sich um Metastasen, also Ableger eines anderen Tumors, handelt. Gutartige Tumoren lassen sich gut operieren, wenn sie sich nicht an einer besonders ungünstigen Stelle im Hirn befinden.

Wie sieht es mit den Behandlungsmöglichkeiten aus?

Prof. Dr. med. Aminadav Mendelowitsch: Jeder Fall muss individuell angeschaut und interdisziplinär beurteilt werden. Gemeinsam mit den Patienten und verschiedenen Fachärzten diskutieren wir die Optionen. Grundsätzlich basiert die Behandlung auf der chirurgischen Entfernung des Tumors, der medizinischen Onkologie (z.B. Chemotherapie) und der Radiotherapie (Bestrahlung der Tumorzellen). Hierbei steht der Hirslanden-Gruppe auch ein CyberKnife zur Verfügung: Es handelt sich um ein nicht-invasives, robotergesteuertes radiochirurgisches System für die Behandlung von Tumoren.

Was ist die Herausforderung bei der Operation?

Prof. Dr. med. Aminadav Mendelowitsch: Wir müssen den Tumor möglichst vollständig entfernen und dabei das umliegende Gewebe schonen. Die Planung mit radiologischer und grafischer Bildgebung ist enorm wichtig, um den bestmöglichen Zugang zum Tumor zu bestimmen. Zudem muss man die Anatomie des Hirns sehr gut kennen. Wir können den Tumor nicht in einem Stück entfernen, weil der Zugangsweg zu schmal ist. Deshalb transportieren wir ihn Stück für Stück heraus, bis der Tumor in sich zusammenfällt. Wir arbeiten mit speziellen Mikroskopen und oft mit Unterstützung einer computerbasierten Navigation, um ganz präzise operieren zu können. Meist dauert eine Operation ungefähr 3-4 Stunden.

Radiologieaufnahme Hirntumor

Patient mit grossem Hirntumor, vor und nach der Operation

Welchen Nutzen hat das neu eröffnete Neurozentrum Aarau für Patienten?

Prof. Dr. med. Aminadav Mendelowitsch: Wir haben alle Neuro-Fachgebiete vereint und arbeiten eng zusammen. Dies ist für die optimale Diagnose und Behandlung sehr hilfreich. In gemeinsamen Fallbesprechungen erörtern die Spezialisten mit den verschiedenen fachlichen Schwerpunkten den bestmöglichen Weg. Die durchgängige Betreuung aus einer Hand bietet optimale Diagnose- und Therapiemöglichkeiten.

Sie sind Gastprofessor von drei Universitäten in China und reisen demnächst wieder dahin …

Prof. Dr. med. Aminadav Mendelowitsch: Darüber freue ich mich sehr, diesmal reise ich zu einem Fachkongress. Der internationale Austausch ist sehr spannend.

Autor:
Philipp Lenz, Abteilungsleiter Kommunikation / Marketing,
Hirslanden Klinik Aarau