Mein Name ist Marvin*. Ich bin schon über 39 Wochen im Bauch meiner Mami. Es wird langsam eng. Aber es gefällt mir gut hier, weil meine Mami auch gut zu sich selber schaut. Sie isst ausreichend und vor allem keinen Knoblauch. Den mag ich nicht so und meine Mami kriegt davon Blähungen. Es ist immer warm hier drin. Und seit ich kopfüber in der Gebärmutter liege, habe ich ein wenig mehr Platz.
Der Tag meiner Geburt ist aufregend. Ich habe einen regelmässigen und kräftigen Herzschlag, das sagt zumal gerade die Hebamme, die meine Mami im Geburtsvorbereitungszimmer untersucht. Sie hat zuerst mit ihrer Hand ein wenig Druck auf den Bauch ausgeübt und gefühlt, wie ich da liege, das hat ein wenig am Kopf gekitzelt. Danach hat sie ein Holzrohr an den Bauch und an ihr Ohr gehalten und konnte dadurch einen ersten Eindruck meiner Herztöne erhalten, da durch den Hohlraum das Geräusch meines Herzschlages verstärkt wird. Dieses Holzröhrchen ist so etwas wie ein Holz-Stethoskop und so konnte auch mein Papi meine Herztöne abhören.
Nun muss meine Mami zur Seite liegen, damit die Hebamme den Cardiotokographen (CTG) richtig anschliessen kann. Mit dem CTG misst man dann über Schall meine Herzschläge über 30 Minuten hinweg und auch die Wehenaktivitäten. Ausgedruckt auf einem Papier ergeben sich dann so zwei Kurven und die Hebamme schaut dann, ob mein Herzschlag mit den Wehen sinkt oder steigt und ob ich mich davon wieder erhole, dann ist nämlich alles gut bei mir. Ich bin quietschfidel, ich mag es, wenn um mich rum etwas läuft, Leute sprechen und den Bauch berühren. Ich zeige das meiner Mami mit ein, zwei Tritten. Mein Papi findet das immer sehr amüsant und meint, sein Sohn werde einmal Fussballer …
Im Operationssaal
Ich werde durch einen Kaiserschnitt auf die Welt kommen. Das ist wohl ganz schön aufregend für mein Mami, denn in den letzten paar Minuten hat ihr Herz ganz schnell geschlagen und mein Papi hat ganz viel und leise auf sie eingeredet und den Bauch berührt. Sie muss nun meinem Papi tschüss sagen, weil sie für den Kaiserschnitt vorbereitet wird. Mein Papi kann da nicht dabei sein, er kommt dann wieder, sobald meine Mami im Operationssaal ist. Später erzählt er mir, dass diese Minuten ohne meine Mami ganz schön schwierig waren für ihn, er wollte sie eigentlich nicht alleine lassen, auch wenn das Klinikpersonal ganz super und lieb war.
Als mein Papi wieder zu uns kommt, hat meine Mami vom Anästhesisten bereits eine sogenannte Spinalanästhesie erhalten. Das bedeutet, dass sie nun für etwa vier Stunden brustabwärts fast nichts mehr empfindet, ausser Druck. So kann mein Papi mit ihr sprechen und ich höre sie flüstern, während es bei mir schon ein wenig rumplig wird. Erst rumpelt es von aussen an Mamis Bauch. Doch dann spüre ich plötzlich etwas an mir, was nicht zu Mami gehört! Da tasten Hände nach mir und schieben mich ein wenig hin und her und… HILFE, warum ist es nun so kalt? Iiiih! Das mag ich gar nicht und das melde ich sogleich lautstark an! Jemand reibt mich ab und ich strecke meine Arme und Beine und versuche, mich zu wenden. Und dann umschliessen mich zwei warme Hände, jemand wickelt mich ein und hält mich im Arm – schon viel besser! Ist das Papis Stimme? Die tönt ja lustig nun direkt an meinem Ohr. Er hält und wiegt mich und sagt, dass ich nachher gleich auf Mamis Brust darf. Ich freue mich darauf! Bei Mami war es doch immer so warm und kuschelig.
Willkommen, Welt!
Ich habe kurz auf Mamis Brust geschlafen, bevor mich die Hebamme wieder ins Nebenzimmer geholt hat. Mein Papi hat mir erklärt, dass Mami noch einige Minuten bleiben muss und wir schon mal zusammen in das Zimmer zurückkehren. Die Hebamme meint, dass ich kein Grosser sei (mein Papi hat dann insistiert und gemeint, für ihn sei ich der Grösste, ha!). Mit einem hellen Lachen packt mich die Hebamme aus den warmen Tüchern, aber, Gott sei Dank, legt sie mich sogleich unter die Wärmelampe. Sie schaut sich die Nabelschnur an und fragt meinen Papi, ob er nach dem Abklemmen den Rest abschneiden möchte. Mein Papi zittert, während er das macht, aber ich merke dabei gar nichts und bin froh, als das neue extraweiche und vorgewärmte Tuch mich umfasst und umhüllt. Ich bin echt müde und merke nur noch, dass mein Papi mich in ein Zimmer trägt, das weniger grelles Licht hat. Er murmelt etwas und dann schlaf ich auf seiner Brust ein.
Meine Mami wird ins Zimmer gerollt, und als sich meine Eltern sehen, fangen sie beide zu weinen an. Sie scheinen total happy zu sein und halten mich ganz eng an ihren Körpern. Ich mag das, das fühlt sich für mich so bekannt an. Die Hebamme muss meine Mami kurz untersuchen und schauen, ob unten rum alles in Ordnung ist. Auch muss sie ein wenig gewaschen werden, damit die Desinfektionsmittel entfernt werden und nicht auf meine sanfte Babyhaut kommen und brennen, sobald ich auf ihre nackte Brust gelegt werde. Ich aber habe Hunger! Und ich weiss auch, wie ich mich bemerkbar machen muss: Ich sauge einfach mal an allem, was mir in die Quere kommt. Für mich dauert es ewig, bis ich endlich trinken kann, aber die Brustwarze meiner Mami ist auch echt gross. Ich muss mein Maul weit aufmachen, damit etwas rauskommt, und ich sag euch: Trinken ist Schwerstarbeit!
So viel Neues …
Ich bin während des Stillens wohl eingeschlafen, bevor ich die rechte Brust meiner Mami leeren konnte. Mein Papi rechts von mir auf einem Stuhl schaut glückselig aus, meine Mami liegt links von mir im grossen Bett mit mir. Sie verzieht ab und zu noch ein wenig das Gesicht, weil das Betäubungsmittel langsam nachlässt und ihre Beine kribbeln. Immer wieder streicheln sie mich. Ich wandere abwechselnd von ihren Armen auf eine Brust und wieder zurück. Ich mag das.
*Marvin und seine Geschichte sind frei erfunden. Die Geschichte schildert aber wahre Abläufe, die die Autorin zusammengetragen hat, nachdem sie einen Tag lang eine Hebamme begleitet und über ihre Erlebnisse aus ihrem Arbeitsalltag befragt hat.
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