Herr F. hat Schmerzen in den Beinen. Er ist vor ein paar Monaten unglücklich gestürzt und hat seither grosse Beschwerden. Als er nicht mehr richtig gehen kann, wird die Spitex eingeschaltet. Trotz täglich dreimaligem Spitex-Besuch sowie Schmerzmedikamenten verbessert sich die Situation nicht. Herr F. wird ins Spital eingewiesen.

Die Untersuchungen ergeben eine nicht verschobene Schenkelhalsfraktur rechts. Die Fraktur muss nicht operiert werden. Mit mehr Schmerzmedikamenten ist das Gehen am Rollator in Begleitung für kurze Strecken möglich. Das Aufstehen aus dem Bett oder Stuhl bereitet aber nach wie vor Schmerzen. Die umfassende geriatrische Untersuchung* ergibt eine mangelnde Ernährung, ein Defizit der muskulären Kraft, des Gleichgewichts sowie der Gedächtnisfunktionen. Aufgrund dieser Erkenntnisse erfolgt eine intensive geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung**.

Mit breitgefächertem Training den Alltag meistern lernen

Diese Behandlung umfasst ein intensives Trainingsprogramm mit Physiotherapie, Ergotherapie und Gedächtnistraining. Zwei Mal täglich erhält der Patient physiotherapeutische Anleitung. Das Training dient einerseits der muskulären Kräftigung, andererseits erlernt er Techniken, wie er im Alltag Hindernisse überwinden und gleichzeitig die Sturzgefahr reduzieren kann.

Durch die Ergotherapie erlernt Herr F. die Körperhygiene und das Ankleiden mit geringen Hilfsmitteln selbstständig auszuführen. Zudem lernt er kleine Handreichungen in der Küche, so dass er seine Ehefrau unterstützen kann. All diese Tätigkeiten erlernt er unter Anwendung des Rollators.

Mit Gedächtnistraining werden seine Gedächtnisleistungen aktiviert, wie zum Beispiel durch das Lesen alltagsbezogener Zeitungsartikel, die Planung von Mahlzeiten oder das Erstellen von Einkaufszetteln. Zudem analysiert die Ernährungsberaterin mit dem Ehepaar das aktuelle Essverhalten und instruiert die notwendigen Ergänzungen.

Insgesamt hat Herr F. täglich drei Therapietermine. Einer davon findet im Rahmen einer Gruppe statt. Bereits in der zweiten Behandlungswoche ist er in der Lage, das Bett nur noch mit geringer Hilfestellung zu verlassen.

Erstaunliche Fortschritte

Einmal wöchentlich bespricht sich das ganze Behandlungsteam von Herrn F., um die Fortschritte zu dokumentieren und eine möglichst optimal abgestimmte Betreuung in allen Therapieformen zu gewährleisten: Beim hochbetagten Herrn F. kommt es zu einer erstaunlich schnellen Wiederherstellung der Alltagsfunktionen. Dies vor allem dadurch, weil die Schenkelhalsfraktur tatsächlich auch bei erhöhter Belastung nicht ins Rutschen gerät.

Zweieinhalb Wochen nach Eintritt ins Spital findet eine Beurteilung der häuslichen Situation mit der Physiotherapie und der Ergotherapie statt. Dabei können einerseits das Erreichen der Wohnung geübt und andererseits allfällige Problemstellen in der Wohnung ausgeräumt werden. In diesem Falle werden Zierteppiche als Stolperfallen entfernt, die Dusche mit einem Duschsitz und der Esszimmerstuhl mit einem Kissen als Sitzerhöhung ausgestattet.

Dem Austritt nach Hause steht nun nichts mehr im Wege. Damit Herr F. die erlernten Praktiken auch im häuslichen Umfeld nutzen kann, werden weitere neun Physiotherapien in der Wohnung angesetzt.

* Geriatrie: Ältere Patienten (in der Regel über 65 Jahre) mit mehreren Krankheiten werden in einem Team mit Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie und Ernährungsberatung behandelt. Die Geriaterin ordnet die benötigten Therapien und Hilfestellungen an. In Abklärungen mit den Patienten sucht sie die geeignete Lebensform für die aktuelle Situation und hilft, eine möglichst hohe Selbstständigkeit im Alltag zu erreichen.

** Frührehabilitative Komplexbehandlung: Die frührehabilitative Komplexbehandlung ist ein ganzheitlicher therapeutischer Ansatz, um eine Wiederherstellung der grösstmöglichen Mobilität und Selbständigkeit erreichen zu können.

 

Autorin: Dr. med. Christa Pintelon, Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin und spezialisiert auf die Geriatrie, ehemalige Belegärztin an der Klinik St. Anna in Luzern