Wenn ein Knochen still und leise schlapp macht, spricht man von einem Ermüdungsbruch, einer vor allem im Laufsport nicht seltenen Verletzung. Sportärztin Dr. med. Susanna Bischoff erklärt, wie man Ermüdungsbrüche erkennt, welche Konsequenzen sie mit sich bringen und warum sie nicht gänzlich zu vermeiden sind.

Susanna Bischoff, was genau ist ein Ermüdungsbruch?

Dr. med. Susanna Bischoff: Ein Ermüdungsbruch – auch Stressfraktur genannt – ist eine erhebliche Störung der Knochenstruktur, ohne dass ein eindeutiger, auslösender Mechanismus wie ein Trauma durch einen Sturz oder Unfall vorhanden ist. Ein Ermüdungsbruch entsteht nicht durch eine abrupte Gewalteinwirkung, sondern vielmehr ist es die Summe von einzelnen unterschwelligen Belastungen, die aufgrund ihrer Gleichförmigkeit und Dauerhaftigkeit den Knochen überfordern. Dabei kommt es zuerst zu einer Veränderung in der Anordnung der Knochenbälkchen, welche die Traglinien des Knochens repräsentieren, und dann oft zu einer Reaktion der benachbarten Knochenhaut in Form eines Ödems. Diese Anlagerung von Flüssigkeit im Knochen ist meist der Moment, wenn bei den Betroffenen erstmals Schmerzen auftreten.

Wie erkennen Sie einen Ermüdungsbruch?

Dr. med. Susanna Bischoff: Das Auftreten der Beschwerden ist oft schleichend und lässt nicht sofort an ein Knochenproblem denken. Aber wenn die Beschwerden da sind und der Patient diese beschreibt, ist ein Verdacht oft naheliegend, denn anders als bei Bänder- oder Sehnenverletzungen ist der Schmerz meist auch in Ruhe vorhanden und vor allem direkt am Knochen spürbar. Oft ist am Ort des Ermüdungsbruchs auch eine leichte Schwellung sichtbar, die zudem erwärmt ist. Wichtig ist die Abklärung der Rahmenbedingungen, die zu den Beschwerden geführt haben. In vielen Fällen sind die Patienten nicht erstaunt ob der Diagnose, weil sie selber gedacht haben, es könnte sich um einen Ermüdungsbruch handeln. Man spürt, dass etwas mit dem Knochen nicht stimmt.

Welche Diagnoseverfahren bestätigen einen allfälligen Verdacht?

Dr. med. Susanna Bischoff: Im Röntgenbild beispielsweise ist gar nichts erkennbar, da es ja nicht ein eigentlicher Bruch des Knochens ist und die Umbauvorgänge des Knochens auch nicht sofort sichtbar sind. Der Knochen ist nie verschoben wie bei einem klassischen Bruch. Es braucht daher eine Magnetresonanztomographie, um einen Ermüdungsbruch sichtbar zu machen.

Können Ermüdungsbrüche überall auftreten?

Dr. med. Susanna Bischoff: Im Prinzip kann eine Stressfraktur überall auftreten, wo hohe mechanische Belastungen des Knochens zu Stande kommen. Am häufigsten treten Ermüdungsbrüche in der Praxis im Fuss- und Beinbereich auf und oft im Laufsport oder in der Leichtathletik, aber auch Spielsportarten mit Sprüngen wie Volleyball- oder Basketball können Ermüdungsbrüche provozieren. Bei Squashspielern können Stressfrakturen am Handwurzelknochen auftreten. Es gibt auch immer wieder sehr ungewöhnliche Fälle. Ich hatte einmal eine Patientin, die Pole-Fitness (Fitnesstraining mittels einer vertikalen Stange) betreibt und an der Rippe einen Ermüdungsbruch erlitt, weil sie bei ihren Übungen so lange immer an der gleichen Stelle mit der Stange in Berührung kam, bis der Knochen darauf reagierte.

Und beim Radfahren oder Schwimmen?

Dr. med. Susanna Bischoff: Nein, da gibt es dieses Phänomen kaum, da wird der Knochen nicht derart belastet, dass ein Ermüdungsbruch auftreten kann. Auch im Triathlon ist es selten, weil die Belastung da durch die drei Sportarten vielseitig verteilt ist.

Was sind die Ursachen eines Ermüdungsbruchs – zu viel Training im immer gleichen Bewegungsablauf?

Dr. med. Susanna Bischoff: Das kann man nicht pauschal sagen. Es ist zwar schon so, dass bei einem Ermüdungsbruch der Knochen wiederholt gleichförmigen, mechanischen Belastungen ausgesetzt wird und diesen irgendwann nicht mehr standhalten kann, aber wann diese Überlastung auftritt, ist extrem individuell und nicht vorauszusehen. Ursachen können unzählig viele Faktoren sein wie unpassende Laufschuhe, zu harter, schräger oder unebener Untergrund, Training auf ungewohntem Untergrund wie zum Beispiel ein Intervalltraining auf der Tartanbahn, Schuheinlagen, unökonomischer Laufstil, einseitige Bewegungsmuster, Dysbalancen oder auch Muskelverkürzungen. Bei Frauen können zudem Osteoporose, Menstruations- oder Essstörungen einen Ermüdungsbruch begünstigen. Häufig kommen mehrere Faktoren zusammen, das macht es so schwierig, eine klare Ursache zu finden.

Sind Frauen häufiger betroffen als Männer?

Dr. med. Susanna Bischoff: Bei Frauen mit Osteoporose ja, bei Sportlerinnen mit einem gesunden Knochen gibt es keinen Unterschied.

Kann man Läufern eine Empfehlung geben, bei welchem Kilometerumfang ein gesundes Trainingsmass überschritten ist?

Dr. med. Susanna Bischoff: Die Ursachen von Ermüdungsbrüchen sind zu wenig geklärt, als dass man allgemeingültige Empfehlungen geben kann. Es gibt Sportler, die laufen jahrelang über hundert Kilometer pro Woche ohne Probleme, andere laufen vielleicht nur zwanzig und erleiden einen Ermüdungsbruch. Ich hatte auch schon eine Patientin, die gar keinen Sport machte und dennoch einen Ermüdungsbruch erlitt, weil sie in Zürich Ordnungsbussen verteilte und den ganzen Tag auf den Beinen stand.

Wie sieht die Behandlung aus bei einem Ermüdungsbruch?

Dr. med. Susanna Bischoff: In erster Linie Pause für die auslösende Sportart, denn der Knochen muss mehr oder weniger ruhig gestellt werden. Erlaubt sind andersartige Bewegungen in schonenden Sportarten wie Velofahren, Schwimmen oder Aquajogging, wenn keine Schmerzen auftreten. Auch Krafttraining, Stretching und Koordinationsübungen können durchgeführt werden, so lange sie den Knochen nicht belasten.

Und wie lange muss der Knochen geschont werden?

Dr. med. Susanna Bischoff: Insgesamt rund drei Monate. Nach sechs Wochen folgt eine erste Kontrolle, ob die Schmerzen zurückgegangen sind, nach ungefähr acht Wochen wird langsam und sportartspezifisch mit dem Aufbau begonnen, aber immer streng unterhalb der Schmerzgrenze. Insgesamt ist mit gegen drei Monaten Trainingspause oder Schonung in derjenigen Sportart zu rechnen, bei welcher der Bruch aufgetreten ist. Eine zu frühe Wiederaufnahme des disziplinspezifischen Trainings kann leicht zum erneuten Aufbrechen der Verletzung und dadurch zu einer weiteren Verzögerung des Heilungsverlaufes führen. Vor allem ambitionierte Sportler neigen dazu, leichtere Schmerzen zu ignorieren und schnell wieder hart belasten zu wollen, was in der Heilungsphase einer Stressfraktur leicht zum Problem werden kann.

Gibt es Tipps, wie man Ermüdungsbrüche verhindern kann?

Dr. med. Susanna Bischoff: Der Knochen wird grundsätzlich da gestärkt, wo er belastet wird. Je vielseitiger daher jemand unterwegs ist, desto besser ist der Knochen auf unterschiedliche Belastungen eingestellt. Wenn man hingegen immer im selben Bewegungsmuster unterwegs ist, erhöht sich die Gefahr einer Stressreaktion.