Andrea Rütsche, gelernte Technische Operationsassistentin mit Matura und Weiterbildungen in Qualitätsmanagement/integrales Spitalmanagement, ist seit 2011 Direktorin der Hirslanden-Klinik Stephanshorn in St.Gallen. Als eine der ganz wenigen Frauen an der Spitze eines Spitals erklärt die sympathische Herrin über 400 Angestellte, wie sie dorthin gekommen ist, ob der Weg ein steiniger war und warum ihr Brustkrebszentrum führend bei Diagnose, Therapie und Nachbehandlung von Brustkrebs ist.

Andrea Rütsche, das Brustkrebszentrum an der Klinik Stephanshorn wurde im Dezember 2013 als erste Klinik der Hirslanden-Gruppe mit dem Qualitätslabel der Krebsliga Schweiz ausgezeichnet. Wofür steht dieses?

Es ist nicht nur das erste Zentrum innerhalb der Hirslanden-Gruppe, sondern generell die erste private Institution in der Schweiz überhaupt. Das Zentrum steht für Interdisziplinarität, den Teamgedanken und das Kollektiv. Es brauchte etwas Hartnäckigkeit während der Umsetzungsphase, aber dies ganz im Sinne und für die Sache der Frau.

Das heisst, dass Frauen für Diagnose, Therapie und Nachbehandlung von Brustkrebs – immerhin der am meisten vorkommende bösartige Tumor bei Frauen – in der Klinik Stephanshorn auf jeden Fall am richtigen Ort sind?

Selbstverständlich. Es ist ein grosses Plus, wenn man als Patientin immer die gleichen Ansprechpartner hat, die Behandlungskette aus einem Guss kommt und aufeinander abgestimmt ist.

Apropos am richtigen Ort: Sie leiten als eine von wenigen Frauen eine Klinik als Direktorin. War der Weg hierhin ein steiniger, oder hat das Geschlecht dabei keine Rolle gespielt?

Aus meiner Sichtweise hat das Geschlecht nie eine Rolle gespielt. Der Weg war nicht gerade steinig, aber auch nicht geradlinig. Eines hat sich aus dem anderen ergeben, ich habe mich stets weitergebildet. Ich denke, man kann sich Chancen erarbeiten, wenn man offen für Neues ist und an sein Potenzial glaubt.

Und in der «Ärztewelt», die nach wie vor männerdominiert ist: Haben Sie hier jemals Vorbehalte gegenüber Ihrer Person verspürt, weil Sie eine Frau sind?

Ich hatte nie den Eindruck von Vorbehalten, zu Beginn vielleicht etwas Zurückhaltung. Ich begegne jeder Arbeitssituation, unabhängig ob gegenüber Ärzten oder der Konzernleitung, immer gleich und zwar mit Sachlichkeit und Fachkompetenz. Verständnis und Kenntnis innerhalb der Materie sind essenziell, um ernst genommen zu werden – egal, ob man eine Frau oder ein Mann ist.

Wenn Sie auf das Feedback Ihrer Angestellten schauen: Nehmen diese Ihren Führungsstil anders wahr als denjenigen eines Klinikdirektors?

Das müssten Sie eigentlich meine Mitarbeitenden fragen… Mein Führungsstil ist geprägt von Vertrauen und Wertschätzung. Ich überlasse meinem Team einen hohen Handlungsspielraum, erwarte dafür aber zeitgerechte und kompetente Information und Kommunikation zu allen Themen.

Sie haben 2011 die Leitung der Klinik Stephanshorn übernommen: Hat sich im Klima in der Klinik und beim Auftritt nach aussen etwas verändert?

Ich denke, wir haben uns in der Art der Kommunikation verbessert und den Teamgedanken gestärkt. Dies spüren die Patientinnen und Patienten, das bekommen wir (fast) täglich zu hören.

Ein gesellschaftlicher Trend mit einer nachrückenden Generation, der Freizeit viel bedeutet, zeigt sich hin zum Jobsharing. Wie sieht das bei Ihnen aus, könnten Sie sich in Ihrer Führungsposition ein Jobsharing vorstellen?

Ich weiss nicht, ob an der Spitze eines KMU mit über 400 Mitarbeitenden und einer relativ hohen Komplexität in der «Kernproduktion» ein Jobsharing möglich wäre. Wohl eher nicht. Ich glaube, es ist schon ein Erfolg, wenn mit einem guten Team an der Seite und einer hohen Delegationsmöglichkeit das Arbeitspensum in einem normalen Rahmen erbracht werden kann. Ich spreche von 50 bis 60 Stunden pro Woche.

Und wie sieht dies für die Angestellten der Klinik Stephanshorn aus?

Selbstverständlich, je operativer eine Stelle/Funktion eingebettet ist, desto besser lassen sich Arbeiten teilen. Mitarbeitende können bei uns bereits mit einem Pensum von 60 % eine Kaderposition einnehmen. Für mich gilt: Der Job muss sehr gut gemacht werden, dann ist vieles möglich.

Was halten Sie ganz allgemein von Frauenquoten in Wirtschaft und Politik?

Persönlich bin ich gegen jegliche Art von Quoten. Aber aufgrund der tiefen Veränderungsbereitschaft in den Führungsetagen von Konzernen sehe ich die Quote als möglichen Katalysator. Dies beweisen auch die skandinavischen Länder.

Wie sieht das in der Klinik Stephanshorn aus – sind da Gleichstellung und Chancengleichheit für Mann und Frau überhaupt ein Thema?

Eigentlich nicht, weil die Gleichheit die Realität ist, sowohl was die Lohngleichheit als auch was die Weiterbildungs- und Aufstiegschancen anbelangt.

Was sind für Sie persönlich die Erfolgsfaktoren, die eine Frau auf der Karriereleiter ganz nach oben bringen?

Erfolgsfaktoren sind nicht per se frauenspezifisch. Es sind für mich Fachkompetenz, Sachlichkeit, Geradlinigkeit, Leistungsbereitschaft und lösungsorientiertes Handeln.

Und wo sehen Sie die grössten Hindernisse – und was kann man dagegen tun?

Zu wenig Durchsetzungsvermögen und Mut, sich auch schwierigen Themen zu stellen, und der wenig ausgeprägte Wille, vielleicht aufgrund mangelnden Selbstbewusstseins, etwas bewegen zu wollen. Man muss an sich glauben, etwas wirklich wollen, und bereit sein, dafür auch etwas zu tun.

Zum Schluss: Wenn Sie einer jungen Frau einen Ratschlag mit auf den Berufsweg geben könnten – wie lautete dieser?

Alles, was man tut, soll mit Herz und Leidenschaft angepackt werden – wohlgemerkt: Das «Handwerk» muss gelernt sein.


Quelle:
www.leaderonline.ch, Text: Stephan Ziegler