Der Kreuzbandriss ist vor allem als typische Skiverletzung bekannt. Aber auch andere Sportarten und Situationen können dazu führen, z.B. auf dem Fussballfeld. Im Interview erklärt uns der Orthopäde Siegfried Reichenbach, wie typischerweise ein Kreuzbandriss entsteht. In seiner Tätigkeit bei der Sportmedizin St. Anna betreut er Amateur- und Profisportler. Im Rahmen der Medical Partnerschaft der Hirslanden Klinik St. Anna mit dem FC Luzern ist er als Arzt der 1. Mannschaft jeweils schon auf dem Fussballplatz direkt involviert, wenn solche Verletzungen entstehen. So gibt er uns auch einen Einblick in diese Tätigkeit und erklärt, inwiefern der Sport bei der Behandlung und Prävention eines Kreuzbandrisses im Fokus steht.
Der Kreuzbandriss ist als typischer Skiunfall bekannt. Welche Sportarten oder Alltagssituationen lassen auch häufig die Kreuzbänder reissen?
Siegfried Reichenbach: Neben Skiunfällen führen häufig Stop-and-Go-Sportarten zu Kreuzbandrissen. Vor allem bei Sportarten wie Fussball, Handball, Volleyball, Basketball kommt dies oft vor, bei Tennis, Badminton usw. etwas weniger.
Berufsunfälle oder Alltagssituationen führen im Vergleich zum Sport selten zu Kreuzbandrissen. Hier kann passieren, dass sich Leute beim Tragen von schweren Gewichten auf unebenem Gelände das Kniegelenk verdrehen.
Wieso passiert der Kreuzbandriss so häufig beim Fussball?
Siegfried Reichenbach: Zum einen natürlich, weil schlichtweg sehr viele Leute Fussball spielen. Aber auch wenn man die Zahlen bereinigt ansieht, reissen die Kreuzbänder beim Fussball häufiger als bei anderen Sportarten. Das liegt daran, dass der Fussball eine Stop-and-Go-Sportart auf unebenem Untergrund ist. Der Platz gleicht ja meist nicht einem englischen Rasen, sondern hat viele Unebenheiten, die der Körper ausgleichen muss. Ruckartige Verdrehungen können da schnell zu Kreuzbandverletzungen führen: Die Körpermasse will mit ihrer Geschwindigkeit nach vorne, gleichzeitig wird eine Drehung im Knie eingeleitet und der Untergrund bremst den Fuss abrupt ab – dann ist das Kreuzband nicht mehr in der Lage, dieses Gewicht zu stabilisieren und kann reissen. Im Prinzip ist es ähnlich wie beim Skifahren: Oben dreht’s und will vorwärts und unten bremst der Skischuh.
Sie betreuen als Medical Arzt die 1. Mannschaft des FC Luzerns. Wie häufig erleben Sie einen Kreuzbandriss direkt auf dem Fussballplatz?
Siegfried Reichenbach: In den letzten zwei Jahren hatten wir zwei Kreuzbandrisse und drei Innenbandverletzungen. Solche Verletzungen gehören also zum Glück nicht zum Alltag.
Was ist Ihre Aufgabe, wenn der Fussballspieler mit einer Knieverletzung auf dem Platz liegt?
Siegfried Reichenbach: Ich muss innert Kürze beurteilen, ob die Instabilität so gross ist, dass der Spieler nicht selbstständig vom Platz gehen darf, sondern eine Trage zum Einsatz kommt. Allenfalls muss ich das Knie auch sofort mit einer Knieschiene stabilisieren.
Manchmal sehe ich schon beim Bewegungsablauf des Unfalls mit Drehung und Sturz, dass wohl das Kreuzband gerissen ist. Oft kann ich aber nicht direkt auf dem Fussballplatz die exakte Diagnose stellen, weil dort der Schmerz überwiegt und ich die klinischen Tests auf dem Platz nicht detailliert ausführen kann. Da entsteht erst eine Verdachtsdiagnose. Sofern ein Kreuzbandriss nicht mit einer anderen Verletzung kombiniert ist, muss er in der Regel aber auch nicht am selben Tag operiert werden. Man hat Zeit für eine saubere Diagnose und Planung der optimalen Lösung.
Reissen die Kreuzbänder häufiger bei Profi- oder bei Amateursportlern?
Siegfried Reichenbach: Natürlich sehe ich in absoluten Zahlen mehr Kreuzbandrisse bei den Amateursportlern, weil es davon mehr gibt. Aber auch mit bereinigten Zahlen sind die Amateursportler gefährdeter als die Profisportler. Das liegt wohl an den Vorbereitungen und wie gut sie trainiert sind. Bei den Amateursportlern gibt es neben den gut trainierten auch viele schlecht trainierte, währenddessen ein Profisportler ja immer gut trainiert sein sollte. So sehe ich bei den schlecht trainierten Amateursportlern auch häufiger Kreuzbandrisse als bei den gut trainierten.
Da heisst, es gibt auch Präventionsmöglichkeiten?
Siegfried Reichenbach: Auf jeden Fall. Die Muskelkraft und die ausreichende Muskellänge spielen eine wichtige eine Rolle, d.h. sie müssen ausgewogen sein. In der Physiotherapie spricht man von der muskulären Balance.
Diese Balance kann man natürlich auch testen. Bei Profisportlern, die wir betreuen, führen wir regelmässig solche sportmedizinischen Untersuchungen durch. Dadurch finden die Sportler ihre Defizite und können gezielt trainieren. So sollte man auch im Amateurbereich schauen, welche Defizite man hat, und diese gezielt trainieren, z.B. mit einem fachlich angeleiteten Muskeltraining. Dieses und regelmässiges Aufwärmen vor der Stop-and-Go-Sportart sind die beste Prävention.
Wann ist bei einem Kreuzbandriss eine Operation nötig, wann reicht Physiotherapie?
Siegfried Reichenbach: Bei Profisportlern macht man in der Regel keine Kompromisse und sie erhalten mittels Operation eine vordere Kreuzbandplastik. Ausnahmen sind selten.
Beim Amateursportler ist es sehr individuell. Es spielt vor allem eine Rolle, welchen Sport er ausübt und was seine Erwartungen sind. Je nach Konstellation von Verletzung und Sportart ist die Chance gut, dass das Knie auch ohne Operation wieder genug stabil wird.
Das Knie hat zwei Bewegungsebenen: Ein Scharniergelenk und ein Drehgelenk. In der Scharniergelenkebene wird das Kreuzband auch bei einer Behandlung ohne Operation meist stabil, sodass es für Sportarten wie Mountainbiken, Klettern, Schwimmen, Joggen, Skifahren stabil genug ist. Für Stop-and Go-Sportarten wie Tennis, Fussball etc., die das Drehgelenk beanspruchen, wird es schwieriger.
Neben der Sportart und den Ansprüchen des Patienten entscheidet aber auch, wie instabil das Knie unmittelbar nach dem Unfall ist bzw. ob Begleitverletzungen an Meniskus, Knorpel, Innen- oder Aussenband vorliegen. Muss man zum Beispiel bei einer Kombinationsverletzung den Meniskus operieren, ist man meist gezwungen, das Kreuzband ebenfalls zu reparieren.
Der Eingriff erfolgt mit einer Kniearthroskopie, also nur über kleine Hautschnitte. In der Regel bleibt der Patient dazu etwa 3 Tage in der Klinik.
Inwiefern spielt die Sportlichkeit des Patienten bei der Behandlung eine Rolle?
Siegfried Reichenbach: Der Patient muss sich bewusst sein: Das Kreuzband stabilisiert das Knie nicht ohne Muskulatur. Ohne Muskulatur nützt auch eine alleinige Kreuzbandoperation nichts. Gut ist, wenn schon vor der Verletzung (und auch vor der Operation) eine gewisse Muskulatur da ist: Noch wichtiger ist, dass sie danach wieder in den richtigen Schritten aufgebaut wird, egal ob operiert wird oder nicht.
Was ist nach der Operation wichtig, um diesen richtigen Muskelaufbau sicherzustellen?
Siegfried Reichenbach: Wichtig ist eine konsequente Nachbehandlung mit Physiotherapie und engmaschigen Kontrollen. Es ist wichtig, dass der Patient die richtigen Übungen zum richtigen Zeitpunkt umsetzt. Kreuzbandplastiken, die nicht halten, rühren häufig daher, dass zu früh bestimmte Belastungen ausgeübt wurden. Je mehr man da den Patienten «unter Kontrolle» hat, umso besser.
Bei uns im Gesundheitszentrum St. Anna im Bahnhof haben wir den Vorteil, dass die Ärzte die Patienten nach der Operation relativ häufig sehen. Dies geschieht auch in Form von Therapievisiten, d.h. wir schauen nach den Patienten während der Physiotherapie. So können wir direkt mit der Physiotherapie besprechen, zu welchem Zeitpunkt, welche Belastung sinnvoll ist. Es gibt natürlich ein Behandlungsschema nach Kreuzbandoperationen, das eine grobe Richtlinie vorgibt. Aber man muss dies individuell anpassen: Ist der Patient wirklich soweit, um in die nächste Stufe der Rehabilitation zu gehen? Der Patient kann sowohl zu viel als auch zu wenig nach der Operation machen – das sollte man stets im Auge behalten.
Wie schnell darf man nach einer Kreuzband-OP wieder aufs Fussballfeld bzw. generell Sport betreiben?
Siegfried Reichenbach: Im Profifussball dauert es in der Regel 8 bis 9 Monate, bis ein Spieler wieder uneingeschränkt im Mannschaftstraining mit Zweikämpfen und Sprüngen mitmachen kann.
Im Amateurbereich braucht man grundsätzlich dieselbe Zeit. Weiter ist dies natürlich sportartabhängig. Ein Rennvelofahrer beispielsweise kann viel früher als ein Stop-and-Go-Sportler seine normale Leistung bringen.
Kann man nach einer Kreuzbandverletzung wieder gleich gut Sport wie vorher betreiben?
Siegfried Reichenbach: Grundsätzlich ja. Bei jeder Gelenkverletzung besteht aber auch ein gewisses Restrisiko. So gibt es keine 100-%-ige Garantie, dass man nach der Behandlung auf das genau gleiche sportliche Niveau zurückkommt wie vor dem Unfall. Da ist von vielen Faktoren abhängig. Liegt zum Beispiel eine zusätzliche Knorpelverletzung vor, wird es schwierig, auf das gleiche Aktivitätsniveau zurückzukehren. Wichtig sind auch hier das korrekte Aufbautraining und die engmaschige Überwachung.
Herzlichen Dank für das spannende Interview.
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