Total vier Monate arbeitet die Pflegefachfrau Tamara Carochas Ribeiro aus der Hirslanden Klinik St. Anna, Luzern, auf einem Spitalschiff von Mercy Ships. Sie ist eine von elf Hirslanden-Mitarbeiterinnen, die sich so bis Juni 2019 im Rahmen einer Partnerschaft von Hirslanden und Mercy Ships engagieren. Hier auf unserem Blog hat sie bereits über ihre ersten Eindrücke nach der Ankunft in Guinea berichtet. Erfahren Sie nachfolgend, wie es ihr in den Wochen darauf auf dem Spitalschiff ergangen ist.

Woche 3: Erste Frühschichten auf dem Spitalschiff

Meine ersten vier Nachtdienste hatte ich nun überstanden – für einen Morgenmenschen wie mich ganz schön herausfordernd. Zum Glück ist jeweils noch eine zweite Nurse (Krankenschwester) nachts auf der Abteilung im Dienst, plus die Übersetzungscrew, die jeweils in 12-Stundenschichten von 7 Uhr bis 19 Uhr oder umgekehrt arbeitet. Nach den Mitternachtsüberwachungen und der Medikamentenabgabe war es meist bis zum Morgen ziemlich ruhig. Um dabei nicht zu müde zu werden, spielten wir zum Beispiel Karten mit den Übersetzern. Nach den Nachtschichten hatte ich ein paar Tage frei und ging einmal mit einer Gruppe joggen. Puh! Definitiv anstrengender als zuhause bei der Wärme und hohen Luftfeuchtigkeit!

Meine ersten Frühschichten auf dem Schiff waren sehr spannend. Patienten, die ich bisher meist nur schlafend gesehen hatte, erlebte ich nun auch am Tag. Erst musste ich den Tagesablauf und meine Aufgaben und Kompetenzen hier kennenlernen. Diese sind anders als zuhause, da hier an Bord die amerikanische Arbeitsweise angewendet wird. So gibt es in jedem Dienst eine Charge Nurse, über welche viele Aufgaben laufen müssen. Sie ist zum Beispiel Ansprechperson für die Ärzte bei der Visite, kontaktiert die Ärzte bei dringenden Fällen oder kontrolliert übertragene Verordnungen als doppelte Instanz – ein wichtiger Schritt in der Qualitätssicherung, da hier Pflegende aus ganz verschiedenen Ländern arbeiten.

Die Abteilung hat 20 Betten, 19 waren zu dieser Zeit belegt. Die Patientenbetten und das Stationsbüro befinden sich alle im selben Raum. Das kann manchmal ganz schön eng und laut werden, besonders wenn gleichzeitig Therapien und Visiten stattfinden und die Kinder spielen oder weinen. An diesen Geräuschpegel musste ich mich erst gewöhnen

Wochen 4 bis 6: So viele Eindrücke an Bord und an Land

In diesen Wochen passierte so viel, dass ich gar nicht weiss, wo ich anfangen soll. Hier ein paar der eindrücklichsten Erlebnisse:

Viele der bisherigen Patienten waren inzwischen stabil und wurden deshalb auf eine andere Abteilung verlegt. Der «Abschied» war fast ein bisschen traurig. Aber sie kommen uns manchmal besuchen. Oder wir sehen uns auf Deck 7, wohin wir nachmittags mit den Patienten hingehen, um Tageslicht und frische Luft zu tanken – im Spital gibt es nämlich keine Fenster. Auf Deck 7 wird dann gespielt, mit Familien und Freunden telefoniert oder einfach nur die Aussicht aufs Meer genossen.

Einer neuen Patientin wurde ein übergrosses Ohr verkleinert. Die Operation war schwieriger als erwartet und dauerte die ganze Nacht, bis alle Blutungen gestoppt waren und die neue Haut erfolgreich angesetzt werden konnte. Nun erholt sie sich langsam auf der Intensivstation. Zum Glück sind nicht alle Fälle so schwierig. Schön ist es, wenn die Patienten Fortschritte machen und sich an kleinen Dingen freuen können. Wie zum Beispiel ein kleines Mädchen, das nach der Entfernung eines Neurofibroms (Nerventumor) über dem Auge zum ersten Mal wieder zwinkern konnte. Ich muss gleich wieder lächeln, wenn ich daran denke.

Als Crewmitglieder können wir uns als Blutspender registrieren lassen. Wir spenden einfach erst, wenn das Blut gebraucht wird, und sind somit eine wandelnde Blutbank. Auch ich wurde bereits getestet und kann vielleicht bald jemandem mit meinem Blut helfen.

Viele Patienten hier benötigen Hauttransplantationen, zum Beispiel wenn Augenlider wieder hergestellt oder Verbrennungen an den Fingern behandelt werden. Für eine gute Wundheilung erhalten die Patienten zusätzlich zur ausgewogenen Ernährung Vitaminpräparate. So bringen wir ihnen drei- bis viermal am Tag sogenannte Manashakes. Diese Trinknahrung besteht aus Milch und einer Paste mit Erdnussgeschmack. Gewisse lieben es, andere gar nicht und es braucht dann Überzeugungsarbeit.

Die Arbeit mit den Patienten macht Spass und ich bin sehr dankbar, dass ich Französisch sprechen kann. Das erleichtert die Kommunikation mit den Patienten und entlastet die Übersetzer. Das Leben hier ist bunt und vielfältig. Nicht nur Sprachen, auch Kulturen prallen aufeinander; und damit meine ich nicht nur die Patienten, sondern auch die anderen Crewmitglieder aus so vielen verschiedenen Ländern. Da kann man schon mal ins Fettnäpfchen treten. So musste ich feststellen, dass Humor auch schnell missverstanden werden kann und ich da noch viel vorsichtiger sein muss. Das sind meine Herausforderungen zurzeit, aber daran gewöhne ich mich noch.

Was neben der Arbeit geschah: Ich löste einen Monatsausweis für das Sportcenter für umgerechnet 2 Franken, spielte Frisbee und lernte, auf dem Markt zu verhandeln. Mit anderen Crewmitgliedern machte ich einen Ausflug auf eine Nachbarinsel, wo wir die wunderschöne Natur erkundeten, wo aber leider oft viel Abfall herumliegt.

Woche 7 bis 9: Viel Schmerzhaftes, aber auch unvergessliche Momente

Ich sah in diesen Tagen vieles, was ich zuvor nie gesehen hatte. Bei einigen Patienten wurden K-Wires eingesetzt. Das sind Metallstäbe, die in die Finger und Zehen oder Fersen eingeführt werden, um sie in einer gestreckten Position zu halten. Sie schauen aus dem Körper heraus und werden später wieder entfernt. Auch bei solchen Patienten sind wir von der Pflege in die Wundpflege involviert. Ein Anblick, den wohl nicht jeder verträgt. Es tut den Patient aber zum Glück nicht immer weh.

Auch sonst sehen wir hier viel Schlimmes und Schmerzhaftes, sei es aufgrund der Unterernährung oder der fehlenden medizinischen Versorgung. Viele Patienten haben grosse und komplexe Wunden mit aufwändigen Verbänden, die von einem separaten Team aus Wundexperten versorgt werden. Unsere Aufgabe ist es, den Patienten vorher genug Schmerzmittel zu geben, damit der Verbandswechsel nicht zu schmerzhaft wird.

Dank eines Holiday-Weekends mit Wochenendbetrieb blieb auch etwas Zeit für einen Ausflug zu einer Nachbarinsel, die denselben Namen trägt wie ich: Tamara. Dort machten wir eine Wanderung zu einem Leuchtturm mit wundervoller Aussicht und begegneten auf dem Weg Spinnen, Echsen, «Ameisenautobahnen» und einer Menge Schmetterlinge.

Einmal hatten wir eine Schweizer Delegation zu Besuch auf dem Spitalschiff. So beehrte uns zum Beispiel der Nationalratspräsident zusammen mit wichtigen Leuten von Guinea. Am Ende von Woche 8 herrschte Abschiedsstimmung unter den Pflegenden, weil einige nach fast zwei Monaten wieder abreisten. Wir verabschiedeten sie mit einem Abschiedsfest inkl. afrikanischer Tanzgruppe.

Mein Highlight war ein kleiner Junge, der trotz Gips an beiden Händen und am Fuss mit mir Musik machte, indem er auf meinem Klemmbrett rumtrommelte. Ich hatte ihn vorher selten so viel lachen sehen und ich lachte kräftig mit. Es gibt immer wieder so kleine Highlights auf der Abteilung. Eine andere schöne Situation war, als wir im Spätdienst mit den Patienten eine kleine Tanzstunde machten und gewissen Patienten zeigten, wie man mit Krücken tanzen kann. Es war eine tolle Stimmung mit viel Lachen und Freude. Das sind unvergessliche Moment, die ich mit nach Hause nehmen werde.

So ist nun auch schon die Hälfte meiner Zeit an Bord der Africa Mercy vorüber. Unglaublich, wie die Zeit vergeht. Ich bin gespannt auf die verbleibenden Momente, die ich mit nach Hause nehmen darf.

Viele Grüsse aus Guinea

Tamara Carochas Ribeiro

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