Jahrelang wird konsequent verhütet, weil man (noch) nicht schwanger werden möchte. Und dann, wenn die Zeit gekommen und der Kinderwunsch da ist, will es bei manchen einfach nicht klappen mit der Schwangerschaft.
Rund 10-15 Prozent der Schweizer Paare sehen sich mit ungewollter Kinderlosigkeit konfrontiert. Die Ursachen dafür liegen gleichermassen häufig beim Mann, der Frau wie auch in der Konstellation der beiden Partner, erklärt Dr. med. Sabine Steimann, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe im KinderwunschZentrum der Klinik St. Anna in Luzern. In rund fünf bis zehn Prozent der Fälle gebe es indes keine klare Ursache für die Unfruchtbarkeit.
Tatsächlich hat die ungewollte Kinderlosigkeit in den vergangenen Jahren sogar noch zugenommen. «Ein Grund dafür ist sicherlich, dass der Kinderwunsch sich bei vielen Paaren in eine spätere Lebensphase verschoben hat», erklärt Fachärztin Steimann. So lag das Alter der Frau bei der Erstgeburt im Jahr 2016 bei knapp 32 Jahren, wie eine Erhebung des Bundesamts für Statistik zeigt. Vor 20 bis 30 Jahren waren die Mütter in der Schweiz noch durchschnittlich 4 bis 6 Jahre jünger, als sie ihr erstes Kind zur Welt brachten. Die Chance, spontan schwanger zu werden, nimmt jedoch insbesondere nach dem 35. Lebensjahr deutlich ab, und auch die Fruchtbarkeit des Mannes reduziert sich ab 40 Jahren.
Diverse mögliche Ursachen für Unfruchtbarkeit
Neben dem Alter gibt es eine ganze Reihe anderer möglicher Faktoren für eine gestörte Fruchtbarkeit. «Eine eingeschränkte Eierstockreserve nach einer Operation oder eine gestörte Durchlässigkeit der Eileiter kann die Chance auf eine Schwangerschaft verringern. Ebenso kann aber auch die Einnistung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter durch organische Ursachen in der Gebärmutterhöhle erschwert werden», wie Fachärztin Steimann erklärt.
Der unerfüllte Kinderwunsch kann durch einen gesünderen Lebensstil beeinflusst werden. «Ausgewogene Ernährung, ein normales Körpergewicht, vernünftiger Umgang mit Alkohol sowie der Verzicht auf Nikotin können tatsächlich bei vielen Patientinnen bereits eine sehr positive Wirkung auf die Fruchtbarkeit haben“, weiss Fachärztin Steimann.
Endometriose oder PCO-Syndrom können Ursachen von unerfülltem Kinderwunsch sein.
Bei einem gewissen Anteil der Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch lässt sich eine Endometriose diagnostizieren. Die Endometriose ist häufig eine fortschreitende Erkrankung, bei der sich Gebärmutterschleimhaut ausserhalb der Gebärmutter im Bauchraum ansiedelt. Ursache ist wahrscheinlich, dass während der Menstruation ein Teil des Blutes, in dem lebensfähige Gebärmutterschleimhautzellen enthalten sind, über die Eileiter in den Bauchraum fliesst. Diese Schleimhautzellen haften sich am Bauchfell an und wachsen.
Typische Symptome sind chronische Unterbauchschmerzen, starke Schmerzen während der Menstruation, während des Geschlechtsverkehrs und während des Stuhlgangs. «Vor allem dann, wenn sich diese Schmerzen erst im Laufe des Lebens entwickelt haben und nicht schon immer da waren, ist dies ein wichtiger Hinweis auf eine Endometriose», erklärt Steimann. Da die Symptome häufig als normal angesehen werden oder anderen Ursachen zugeschrieben werden, bleibt die Erkrankung häufig unerkannt. Für eine Diagnose ist neben einer ausführlichen Anamnese in der Regel ein Ultraschall oder eine Bauchspiegelung nötig. Mit einem chirurgischen Eingriff oder einer medikamentösen Massnahme lässt sich die Endometriose behandeln und so auch die Chance auf eine Schwangerschaft erhöhen.
Häufig ist auch das Polyzystische Ovarialsyndrom (PCO-Syndrom) Ursache für den unerfüllten Kinderwunsch. Es handelt sich dabei um eine hormonelle Störung, die unter anderem zu einer erhöhten Konzentration männlicher Hormone führt und dadurch neben Zyklusstörungen auch eine gestörte Fruchtbarkeit zur Folge haben kann. Typisch ist, aufgrund der erhöhten Konzentration der männlichen Hormone, eine vermehrt «männliche» Körperbehaarung, etwa im Gesicht, am Bauch oder Rücken sowie starke Akne. Zudem kann dies zu einem gestörten Eisprung führen, was die Befruchtung einer Eizelle mit dem Samen des Mannes erschwert. Des Weiteren können vermehrt Schwangerschaftskomplikationen wie Schwangerschaftsdiabetes auftreten, erklärt Sabine Steimann (lesen Sie hierzu auch den Beitrag «Das PCO-Syndrom bleibt oft unerkannt». PCOS kann mit einer ausführlichen Anamnese und hormonellen Abklärungen diagnostiziert werden. Grundsätzlich sind die Symptome und Folgen des PCO-Syndroms durch eine leichte hormonelle Behandlung und Lifestyle-Änderung gut behandelbar, sodass der Grossteil der Patientinnen schwanger werden und eine komplikationslose Schwangerschaft haben kann.
Kinderlosigkeit als psychische Belastung: offen damit umgehen
Gegen viele Ursachen von ungewollter Kinderlosigkeit gibt es also Therapiemöglichkeiten. Und mit etwas Geduld kann in vielen Fällen auch die künstliche Befruchtung das herbeigesehnte Wunschkind bringen. Trotz dieser Hoffnung ist die psychische Belastung nicht zu unterschätzen «Paare leiden sehr darunter und werten die ungewollte Kinderlosigkeit auch häufig als individuelles Versagen. Ihre Lebensplanung gerät durcheinander und ihr Selbstwertgefühl sinkt stark. Zudem ist der Kontrollverlust für viele schwierig anzunehmen. In unserer Zeit ist alles möglich. Doch in diesem Bereich lässt sich eben nicht immer alles selbst bestimmen», erklärt Fachärztin Sabine Steimann, die schon Hunderte Paare mit einem unerfüllten Kinderwunsch begleitet hat
Obwohl immer mehr Menschen/Paare von diesem Thema betroffen sind, ist der unerfüllte Kinderwunsch in der Schweiz immer noch ein Tabuthema. Steimann rät jedoch dazu, offen damit umzugehen. Mit den Eltern, den Geschwistern oder Freunden darüber zu sprechen. Gleichzeitig ist der Umgang mit Freunden oder Familienmitgliedern, die selber Kinder haben, häufig schmerzhaft und wird deshalb reduziert. So besteht das Risiko, dass sich das kinderlose Paar immer mehr zurückzieht, was das Gefühl der Isolation noch mehr bestärkt. Steimann rät stattdessen zu Ehrlichkeit: «Man darf auch durchaus einmal vorschlagen, die Schwester oder die Freundin ohne Kinder zu treffen, wenn einem das aufgrund der persönlichen Situation Mühe bereitet.» Dieser Austausch hilft nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch deren Angehörigen. Denn in der Regel ist auch für diese das Thema nicht ganz einfach. «Manche wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen, ob sie das Thema besser ansprechen oder sich darüber ausschweigen sollen. Am besten ist es deshalb, wenn die Betroffenen offen sagen, was ihnen guttut.»
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