Geniessen Sie die Schwangerschaft und lassen Sie sich nicht verrückt machen, denn: je harmonischer die Schwangerschaft erlebt wird, desto unkomplizierter verläuft in der Regel die Geburt und desto glücklicher die Zeit danach. Schwanger zu sein, ist keine Krankheit, sondern eine äusserst emotionale Lebensphase einer Frau und ihres Partners. Neben der Freude, Eltern zu werden, begleiten von Beginn der Schwangerschaft Unsicherheiten («Mache ich alles richtig?») und Ängste die 9 Monate. Zu viele Ängste verunsichern und lösen Stress aus.
Was ich in meiner 30 jährigen Tätigkeit als Geburtsmediziner mit über 7000 Geburten seit einigen Jahren wahrnehme, ist, dass die Schwangeren durch das überbordende Beratungsangebot entmündigt werden. Zusätzlich spielt mit, dass 25-jährige Schwangere viel lockerer, aus dem Bauch agieren, während 35-jährige eher kopflastiger sind. Von allen Seiten werden Schwangere mit Risiken konfrontiert, was unnötige Ängste auslöst. Das kann die eigentlich glückliche Lebensphase, «schwanger sein» in «Stress pur» kehren. Nach 9 Stressmonaten ist es nicht verwunderlich, wenn die Geburt überfordert. Versagensgefühl und Wochenbettdepression können die Folge sein.
Freuen Sie sich in der Schwangerschaft und überlassen Sie das Erkennen von allfälligen Problemen dem betreuenden, erfahrenen Geburtshelfer.
Viele Beschwerden sind völlig normal und sollen für Sie kein Anlass zur Beunruhigung sein: Übelkeit in den ersten 3 Monaten, Rückenbeschwerden ab Schwangerschaftsmitte, Schlafprobleme gegen Ende der Schwangerschaft sind meist die Regel. Jede 2. Schwangere hat in den ersten 12 Wochen Blutungen, wobei diese in 50% harmlos sind und die Schwangerschaft völlig normal weitergeht. Ernsthafte Probleme in der Schwangerschaft sind eher die Ausnahme. Behalten Sie also lieber die Freude als allzu viele Ängste im Fokus.
Die Palette an Tests in der Schwangerschaft kann überfordern, selbst Fachpersonen
Anfang Schwangerschaft, um die 12./13. Schwangerschaftswoche, werden diverse Tests angeboten:
- 1.-Trimestertest, NIPT – diese Testmethoden soll der Arzt unbedingt detailliert und verständlich erklären, da sie, v.a. der 1. Trimestertest, lediglich eine Wahrscheinlichkeit angeben. So können die Patientinnen kompetent selber entscheiden, ob der Test erwünscht ist. Der nicht invasive Pränataltest NIPT hingegen ist aussagekräftig und hat eine Verlässlichkeit von über 99%.
- In der 2. Schwangerschaftshälfte werden Zuckerbelastungstest und ein Streptokokkenabstrich vorgenommen. Dies geschieht leider häufig, ohne die Bedeutung dieser Untersuchungen zu erklären. Ein Zuckerbelastungstest soll eine latente Zuckererhöhung aufdecken, wobei in der Schwangerschaft eine Urinuntersuchung, was bei jeder Kontrolle erfolgt, eine erhöhte Blutzuckersituation mit grosser Verlässlichkeit aufdeckt. Der Test auf Streptokokken ist sinnvoll, obwohl in den vergangenen 30 Jahren dieses Problem immer wieder zur Diskussionen Anlass gab und die Empfehlungen immer wieder änderten.
Wichtig bei allen Tests: Fragen Sie Ihren Gynäkologen über Sinn und Zweck und lassen Sie sich diese im Falle von Unsicherheiten in Ruhe erklären.
Sich im Geburtsvorbereitungskurs nicht verrückt machen lassen!
Ich habe selbst jahrzehntelang Geburtsvorbereitungskurse mitgestaltet und dabei immer die positiven Faktoren betont, was, je nach Zusammensetzung der teilnehmenden Schwangeren und Art der Hebamme, motivierend erlebt wurde. Sobald die Diskussion über Risiken in den Vordergrund rückte, wurden oft unberechtigte Ängste ausgelöst, womit in Hinblick auf die Geburt eine ungünstige Stimmungslage geschaffen wurde.
Meine Erfahrung ist, dass nach positiv erlebter Schwangerschaft auch die Geburt viel lockerer angegangen wurde. Auf sich zukommen lassen und offen sein, für das, was kommt. Verständlicherweise haben v.a. Erstgebärende ambivalente Gefühle vor der Geburt, die sie auch gerne mit anderen Schwangeren, zum Beispiel in einem Geburtsvorbereitungskurs, teilen möchten. Das ist auch völlig in Ordnung. Doch lassen Sie sich dabei nicht verrückt machen. Mit einem guten Selbstvertrauen durch die positiv erlebte Schwangerschaft wird auch die Geburt, wie sie auch immer ablaufen mag, einfacher.
Gebären «aus dem Bauch heraus» ist auch die beste Basis für die junge Familie
Jedes Baby ist anders. Es gibt sowohl «gemütliche» als auch «stressige», was Kräfte beanspruchen kann. Auf jeden Fall verändert der neue Erdenbürger den Alltag, da ein Baby nach dem Lustprinzip lebt – hier und jetzt will ich. Es kann manchmal sehr schwierig sein, sich als Eltern daran zu gewöhnen, da der zuvor geregelte Alltag und die Gewohnheiten auf den Kopf gestellt werden. Auch in dieser Phase sind die jungen Eltern viel besser dran, wenn sie es nehmen, wie’s kommt, und sich am Lächeln des Kindes freuen und die unruhigen Nächte wegstecken.
Autor: Dr. med. Reto Stoffel ist Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, speziell Operative Gynäkologie und Geburtshilfe, und Spezialist für Senologie / Brustmedizin. Er war als Belegarzt an der Klinik Im Park in Zürich tätig, bevor er 2019 in den Ruhestand trat.