Mit dem Ziel, neue Erfahrungen zu sammeln, reisten Katrin Sager (Fachfrau Gesundheit) und Miriam Battocletti (Pflegeexpertin, Qualitätsmanagerin) der Hirslanden Klinik Am Rosenberg vom 15. bis 23. Oktober 2016 in die ländliche Nordwestregion Kameruns in die orthopädische Klinik Njinikom. Die Klinik wurde vor 60 Jahren von einem Missionar zusammen mit fünf Krankenschwestern aus dem Südtirol gegründet. Adi Klammer und Fritz Kägi (beides ehemalige Orthopäden der Klinik Am Rosenberg) engagieren sich regelmässig für diese Klinik. Die Klinik Am Rosenberg und die Klinik Stephanshorn unterstützen beide das Projekt, zum Beispiel mit ausgemusterten Geräten und Instrumenten, aber auch mit personellen Ressourcen (Lesen Sie dazu auch unseren Blogartikel «Mit künstlichen Gelenken und Know-how nach Kamerun»). Im folgenden Beitrag lassen uns Katrin Sager und Miriam Battocletti an ihren Eindrücken teilhaben.

Monate vor unserer Reise hatten wir uns auf den Einsatz in Kamerun vorbereitet. In der Klinik Am Rosenberg und im privaten Umfeld starteten wir eine Sammelaktion für die Kinder im Waisen- und Kinderheim. Wir konnten eine riesige Sporttasche mit Spielsachen, Schreibmaterial, Zahnbürsten, und -pasten füllen und nach Kamerun mitnehmen. Die Klinik Am Rosenberg stellte uns einiges an OP-Material zur Verfügung. Dazu gehörten Hüftprothesen, sterile Handschuhe, ein Llisarov Fixateur externe (zur Ruhigstellung von Körperteilen), Fäden, sterile Abdecktücher etc. Auch die Klinik unterstützte unseren Aufenthalt, indem sie uns einen Teil unseres Einsatzes als Arbeitszeit anrechnete. Herzlichen Dank an alle, die unseren Einsatz in Kamerun in irgendeiner Form unterstützt haben!

Zusammen mit Adi Klammer und Fritz Kägi reisten wir ab Zürich nach Douala in Kamerun. In Paris schlossen sich uns Thomas Oberhofer und Günther Ziernhöld, zwei Orthopäden aus Bozen an.

Holprige Strassenverhältnisse

Von Douala aus setzten wir die Reise mit einem Kleinbus fort. Die guten Strassen wurden allmählich zu holprigen Feldwegen, über die unser Fahrer dennoch mit bis zu 140 km/h fuhr. Nach neun Stunden kamen wir gut durchgeschüttelt, aber glücklich im Gästehaus in Njinikom an. Dort erwartete uns bereits Ruedi, ein Techniker aus der Schweiz. Er war bereits seit einer Woche in Njinikom, um die vorhandenen Instrumente, Apparaturen, Geräte zu kontrollieren und zu reparieren. Eine wichtige Aufgabe war auch die Überprüfung der elektrischen Versorgung. Ein italienischer Techniker reiste mit uns mit, um den vom Verein «Südtiroler Ärzte für die Welt» gestifteten Sterilisator in Betrieb zu nehmen. Zum Schrecken aller teilte Ruedi uns mit, dass es unmöglich sei, den neuen Sterilisator in Betrieb zu nehmen, da die Stromversorgung zu schlecht sei und diese erst angepasst werden müsse. Dafür werden weitere Spendengelder dringend benötigt. Ziel ist die Inbetriebnahme des Sterilisators für den Operationstrakt und die Pflegestationen im nächsten Frühling 2017. Betrübt von dieser Nachricht gingen wir zu Bett.

Angehörige der Patienten müssen unterstützen.

Am ersten Tag begleiteten wir die Ärzte auf die Visite. Bei der anschliessenden Sprechstunde warteten die Patienten mit ihren Angehörigen scharenweise und unter Umständen den ganzen Tag vor der «Praxis». Die vier Ärzte untersuchten die Patienten und entschieden, welche in den folgenden zwei Wochen operiert werden oder ob eine konservative Behandlung, also ohne Operation, möglich war. Die Leidensgeschichten der Patienten waren häufig sehr gross – dies stimmte uns sehr nachdenklich.

Die nächsten drei Tage verbrachten wir auf der septisch-chirurgischen Pflegeabteilung, bestehend aus fünf Zimmern mit je acht Betten. Neben den Patienten befanden sich die Angehörigen in den Zimmern. In Kamerun sind die Begleitpersonen sowohl für die Körperpflege, die Ausscheidung wie auch für die Verpflegung der Patienten zuständig. Die Angehörigen richten sich unter den Patientenbetten ihren Schlafplatz ein und kochen das Essen auf einem überdachten Platz im Freien.

Teil eines anderen Pflegealltags mit Gänsehaut-Moment

Am ersten Tag auf der Pflegestation schauten wir den Pflegepersonen bei ihrer Arbeit ganz genau zu. Die nächsten Tage arbeiteten wir mit und gewöhnten uns schnell an den dort üblichen Pflegealltag. Am Morgen geht jeweils das gesamte Personal der Nachtwache und des Frühdiensts durch alle Zimmer und verabschiedet bzw. begrüsst die Patienten. In einem Patientenzimmer wird das Morgengebet gehalten, Angehörige und mobile Patienten nehmen daran teil. Alle singen, klatschen und beten zusammen. Wir sahen, wie dieses halbstündige Ritual jedem Patienten ein Lächeln ins Gesicht zauberte, bei uns löste es einen Gänsehaut-Moment aus. Dies war wohl einer der schönsten Erfahrungen auf unserer Reise.

Nach dem Beten schüttelten wir die Bettwäsche auf, die hier nur einmal wöchentlich gewechselt wird. Sobald die Pflegenden ins Zimmer kamen, standen alle Patienten auf und setzten sich auf einen Stuhl neben dem Bett. Danach bereiteten wir die Medikamente vor und verabreichten sie den Patienten. Die Apotheke lieferte die Medikamente jeweils nur als einzelne Tabletten auf die Stationen.

Nur ein Verbandswagen und Mangel an Desinfektions- und Reinigungsmittel

Für die Verbandwechsel gingen alle Pflegenden in ein Zimmer. Da es nur einen Verbandswagen gab, warteten jeweils alle, bis der letzte Verbandswechsel in einem Zimmer gemacht war. So kam es nicht selten vor, dass die restlichen Pflegenden bis zu 30 Minuten im Zimmer plaudernd ihren Kolleginnen zuschauten.

Als wir das erste Mal die Wunden sahen, waren wir über das Ausmass und die Häufigkeit des Auftretens von infizierten Wunden erstaunt. Komplett offene Wunden und Ulcera (Geschwüre) an den Extremitäten, offene Frakturen, Dekubiti (Druckgeschwüre) vierten Grades, Kondylome (Genitalwarzen) aufgrund einer Komplikation einer HIV-Infektion und vieles mehr sahen wir täglich. Viele Wunden hatten ein Ausmass, welches wir in der Schweiz noch nie so gesehen hatten. Die Desinfektions- bzw. Reinigungsmittel für den Verbandswechsel sind sehr beschränkt. An gezielten Mitteln für eine hygienische und wundheilungsfördernde Desinfektion fehlt es. Die Pflegenden waren jedoch sehr darum bemüht, für jede Wunde das beste Mittel zu finden. Vor den Verbandswechseln wurden keine Schmerzmittel verabreicht. So haben wir nicht selten miterlebt, dass die Patienten vor Schmerz schrien oder gar winselten. Dies waren Augenblicke, in denen wir mit den Patienten Mitleid hatten, es uns schauderte und wir am liebsten das Zimmer verlassen hätten.

Die bei septischen Wunden verwendeten Scheren, Pinzetten, Klemmen und Nierenschalen wurden in einem Steintrog mit Seife ausgewaschen und anschliessend an der Sonne getrocknet. Die Bandagen wurden mit Seife ausgebürstet, getrocknet und aufgekocht. Dabei wurde uns bewusst, wie wichtig ein Sterilisator für die Pflege wäre. Nach dem Mittag wurden jeweils Kompressen gefaltet, Watte zu Tupfer gekungelt und andere Kleinarbeiten erledigt. Um 14.30 Uhr endet die Frühschicht mit einem kurzen Rapport und einem erneuten Durchgang durch die Patientenzimmer.

Dankbarkeit von Kindern und Eltern

Besonders eindrücklich war unser Besuch im Waisen- und Kinderheim, in dem zehn Kinder lebten. Die zuständige Nonne nahm uns mit offenen Armen in Empfang. Wir übergaben ihr die gesammelten Spielsachen in ihrem Büro, worüber sich die Kinder riesig freuten.

Den letzten Tag verbrachten wir im Operationssaal. Ein zehnjähriges Mädchen unserer Station wurde am Arm operiert, nachdem sie nach einer Fehloperation ihre Hand seit längerem nicht mehr gebrauchen konnte. Die Operation verlief gut. Die Mutter, welche nur die eigene Sprache verstand, wartete vor dem Operationssaal. Ihr war die Dankbarkeit sichtlich ins Gesicht geschrieben. Das Mädchen gehört der muslimischen Glaubensgemeinschaft an. Menschen dieser Glaubensgemeinschaft dürfen in Kamerun nicht in die Schule, lernen weder englisch noch französisch, sondern sprechen nur ihre eigene Sprache. Eine Verständigung war deshalb unmöglich. Wir schenkten ihr Farbstifte. Zu unserem Erstaunen wusste sie nicht, was sie damit anfangen soll und schaute diese völlig überfordert an.

So reisten wir nach gut einer Woche mit vielen Eindrücken im Gepäck zurück in die Schweiz. Wir lernten viel von der einfachen und sehr herzlichen Art der Kameruner. Uns wurde in dieser Woche aber auch bewusst, wie glücklich wir über unser Gesundheitswesen, unser Bildungssystem, unsere finanziellen Ressourcen und die geordneten Verhältnisse sein dürfen. Es war eine Erfahrung, welche wir niemals vergessen werden. Einen herzlichen Dank geht an die Ärzte Adi Klammer, Fritz Kägi, Thomas Oberhofer und Günther Ziernhöld, die uns die ganze Zeit unterstützten und viele Erklärungen abgaben.

Autorinnen:
Katrin Sager, Fachfrau Gesundheit, Miriam Battocletti, Pflegeexpertin, Qualitätsmanagerin
Hirslanden Klinik Am Rosenberg, Heiden