Bis vor ein paar Jahren kannte man die 3D-Drucktechnik eher nur von Produktdesignern und Autobauern. 3D-Drucker kommen aber auch immer öfter in der Medizin zum Einsatz, zum Beispiel für massgeschneiderte Knieprothesen. So gibt es auch in der Schweiz seit einigen Jahren die Möglichkeit, die Prothese an das Kniegelenk anzupassen und individuelle Prothesen entsprechend der Anatomie im 3D-Drucker herzustellen. Einer der noch nicht so zahlreichen Ärzte, die diese Technik in der Schweiz anwenden, ist Prof. Dr. Markus P. Arnold, Belegarzt an der Klinik Birshof und Kniespezialist in der Gruppenpraxis LEONARDO in Münchenstein, Basel. Für wen solche massgeschneiderte Implantate geeignet sind und wie diese entstehen und eingesetzt werden, erklärt uns der Orthopädie im Interview.

Was ist an standardmässigen Knieprothesen auszusetzen, damit es nun massgeschneiderte Implantate aus dem 3D-Drucker braucht?

Prof. Dr. Markus P. Arnold: „Auszusetzen“ ist vielleicht das falsche Wort. Denn viele Patienten sind schliesslich zufrieden mit einer Standardprothese. Studien zeigen aber, dass einer von fünf Patienten unzufrieden ist nach einer Operation mit einer Standardknieprothese. Da sucht man nach Gründen. Und ein Grund kann halt schon sein, dass das „Ding“, das wir einbauen, eben nur eine schlechte Kopie von dem ist, was wir uns vorher 60 bis 70 Jahre als unser eigenes Kniegelenk gewohnt waren.

Das Knie als Organ funktioniert so: Die Form der Kondylen (knöcherner Teil des Gelenks) und die Bandansätze sind gemeinsam zu einem einzigartigen, individuellen Design gewachsen. Wenn ich nun einen Faktor ändere (z. B. das Kreuzband an einem neuen Ort befestige oder die Form der Kondyle umgestalte), funktioniert das Knie nicht mehr richtig. Es funktioniert nur ideal in dem Design, in dem es gewachsen ist. Nun versucht man, dieses „ideale“ Design mit einer Standardprothese zu ersetzen. In ganz vielen Fällen klappt dies sogar ganz gut, in manchen aber nicht.

Beim Ersatz von Kniegelenken standen uns bis vor kurzem nur standardmässige Konfektionsprothesen zur Verfügung. Grössen 1-10, allenfalls noch etwas schmaler oder breiter. Man kann dies gut mit Schuhen vergleichen: Schuhe in den üblichen Konfektionsgrössen passen den meisten Füssen. Dann gibt es aber Füsse, denen ein Standardschuh nicht passt. Ein Massschuh passt aber in jedem Fall. Kniegelenke sind wie Füsse sehr unterschiedlich geformt.

Dazu kommt, dass es bei Standardprothesen in der Regel nur die radikale Wahl zwischen einer Totalprothese und einer einzelnen Teilprothese gibt.

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Was können die massgeschneiderten Knieprothesen nun besser?

Prof. Dr. Markus P. Arnold: Sie können auf Knie angepasst werden, die keine „Standardform“ haben.

Das ist aber nicht einmal das Spannendste: Oft ist es ja so, dass nicht das ganz Knie aufgrund einer Arthrose beschädigt ist. Das Knie hat drei Kompartimente: Innenseite, Aussenseite und der Teil, der zwischen Kniescheibe und Oberschenkel den Gelenkteil bildet. Bei Standardprothesen kann entweder ein einzelner Teil oder aber gleich das ganze Gelenk ersetzt werden. Oft sind aber zwei Kompartimente betroffen. Dies kann man konfektionsmässig nicht herstellen, da vor allem die Anatomie, die Verbindung von einem Teil zum anderen individuell sehr verschieden ist. Solche Patienten erhielten bis anhin in der Regel eine Totalprothese.

Kniearthrose in 1, 2 oder 3 Kompartimenten

Die Arthrose kann nur ein (links), zwei (Mitte) oder alle drei (rechts) Kompartimente des Kniegelenks betreffen.

Hier bringen massgeschneiderte Duoprothesen eine echte Revolution, denn diese können mehrere Teilprothesen miteinander verbinden, also zum Beispiel 2/3 des Knies ersetzen. Und die Bänder bleiben dabei unangetastet! Das bedeutet, dass die Kinematik, meine Bewegungsform, so bleibt, wie ich es gewohnt bin. Das Gelenk ist einfach wie mit einer Krone neu mit Metall beschichtet.

Knieprothesen für 1, 2 oder 3 Kompartimente des Kniegelenks

Massgeschneiderte Knieprothesen für ein (links), zwei (Mitte) oder drei (rechts)Kompartimente des Kniegelenks

Bei einer Standardprothese fällt mindestens das vordere Kreuzband weg, viele Kollegen entfernen auch das hintere Kreuzband. Im Sinne von „Die Kinematik ist nun sowieso anders, die Prothese übernimmt die Stabilisation der Bänder, alles Überflüssige stört nur und soll raus.“ Mit den massgeschneiderten Prothesen hingegen baut man schön um den gewohnten Bandapparat herum. Bis dahin war ich auch skeptisch, ob sich massgeschneiderte Prothesen durchsetzen. Aber diese Verbindung, diese Duoprothesen, eröffnen wirklich eine neue Denkwelt.

Bei welchen Patienten machen diese individuellen Prothesen besonders Sinn?

Prof. Dr. Markus P. Arnold: Ideal sind sie für jüngere Arthrosepatienten, die eine Prothese brauchen, da deutlich weniger Knochen entfernt wird als bei den Standardprothesen. So hat der Patient noch genug Knochen übrig, falls in 10 bis 20 Jahren noch einmal etwas gemacht werden muss. Also wenn altersbedingt noch eine umfassendere Arthrose hinzukommt, sich diese Prothese lockert oder Abriebpartikel eine Entzündung des Knochens verursachen. So kann man sich zukünftige Behandlungsoptionen besser offen halten und zum Beispiel später noch eine Standardprothese einsetzen.

Was sind die spürbaren Vorteile eines massgeschneiderten Knieimplantates gegenüber herkömmlichen Standardprothesen für den Patienten?

Prof. Dr. Markus P. Arnold: Da diese Technologie noch jung ist, liegen leider noch wenig konkrete Langzeitresultate vor. Was man aber sagt und auch erwartet ist, dass sich das Knie sehr schnell wieder natürlich anfühlt, man also weniger Fremdkörpergefühl hat: Man denkt gar nicht mehr daran, dass da eine Prothese im Knie ist.

In vielen Fällen profitiert der Patient von mehr Stabilität, da man vor allem bei den Teilprothesen die Bänder in Ruhe lässt. Bei Standardprothesen muss der Operateur oft einen Kompromiss zwischen Stabilität und Beweglichkeit eingehen, weil die Prothese eben nicht zu 100 % passt. Der Patient möchte ja auch mit Prothese ein stabiles Knie, weil er sich sonst unsicher fühlt. Ebenso möchte er aber das Bein wieder deutlich über 90° biegen und zum Beispiel wieder Fahrrad fahren können. Die optimale Kombination ist mit Standardprothesen oft schwierig, während bei massgeschneiderten Prothesen dieser Kompromiss wegfällt, da man ja das ideale, das eigene Knie kopiert.

Wie ist der Ablauf bei der Implantation einer massgeschneiderten Knieprothese?

Prof. Dr. Markus P. Arnold: Von der Planung bis zur Operation dauert es etwa acht Wochen. Vorgängig zur Operation erstellen wir eine Computertomographie des Kniegelenks. Anhand dieser Schichtbilder wird mit dem 3D-Drucker eine individuelle Prothese hergestellt und kurz vor dem Eingriff an die Klinik geliefert. Wie genau die Herstellung abläuft, verraten die Lieferanten natürlich nicht. Aber was dabei herauskommt, ist erstaunlich. Ich habe neulich drei Knieprothesen gesehen, jede total unterschiedlich. Es ist wirklich eindrücklich!

Unterscheidet sich der chirurgische Eingriff von solchen mit Standardprothesen?

Prof. Dr. Markus P. Arnold: Er unterscheidet sich technisch schon etwas, hat andere Abläufe, an die man sich als Arzt gewöhnen muss. Es ist anders, und doch ähnlich, so wie Velofahren und Mountainbiken.

Und die Genesungszeit nach der Operation?

Prof. Dr. Markus P. Arnold: Die erste Phase ist kaum anders, denn es ist und bleibt eine grosse Operation. Da müssen wir ehrlich sein. Entscheidend für die Schmerzen ist am Anfang vor allem der Zustand der Weichteile, wie viel es nachgeblutet hat und wie geschwollen das Knie ist.

Nach etwa vier Monaten sehe ich aber den grossen Unterschied. Bis vor kurzem musste man den Knieprothesenpatienten sagen: “Warten Sie ein Jahr, dann werden Sie zufrieden sein.“ Mit neueren Standardprothesen ist etwa die Hälfte der Patienten bereits nach vier Monaten ziemlich zufrieden, hat aber das Knie noch nicht ganz vergessen. Bei den massgefertigten Prothesen sagen mir eigentlich alle Patienten nach vier Monaten: „Es fühlt sich sehr gut an.“ Und die Jahreskontrolle ist nur noch eine Formalität.

Gibt es auch schon Prothesen aus dem 3D-Drucker für andere Gelenke?

Prof. Dr. Markus P. Arnold: Ich weiss, dass es auch massgeschneiderte Implantate für Hüfte gibt. Ich selbst konzentriere mich aber aufs Knie.

Wie ist Ihre persönliche Einschätzung: Geht der Trend generell dorthin, dass man irgendwann alle Gelenke mit massgeschneiderten Prothesen ersetzt?

Prof. Dr. Markus P. Arnold: Das ist schwierig zu sagen. Gerade eines der ersten Hüftimplantate überhaupt (von John Charnley aus Ender der 50er Jahre) ist auch heute immer noch eines der besten. Im Unterschied zum Knie ist die Hüfte aber auch ein „einfacheres“ Gelenk. Das mit sechs Freiheitsgraden bewegliche Knie ist sehr fein gesteuert und deshalb extrem gut mit Nerven versorgt. Diese notwendige, delikate neuromuskuläre Kontrolle macht das Knie relativ empfindlich. Diese Empfindlichkeit hat sicher dazu geführt, dass einige Patienten nach der bisher üblichen Operation nicht zufrieden waren. Auch wenn ich kein Hüftchirurg bin, denke ich, dass die Nachfrage und der klinische Erfolg von massgeschneiderten Hüftprothesen eher kleiner bleiben werden.

Wo ich aber grosses Potenzial sehe, ist bei den Sprunggelenksprothesen der Fusschirurgen, da dort die Erfolge in puncto Zufriedenheit der Patienten noch eher bescheiden sind. Hier kann ich mir vorstellen, dass die 3D-Drucker-Technologie relevante neue Möglichkeiten bringen könnte.

Besten Dank für das spannende Interview.

Kostenübernahme:

Die Kostenübernahme durch die Versicherung variiert je nach individueller Versicherungssituation. Wir empfehlen die Rücksprache mit Ihrem Arzt und der Versicherung.

 

Weitere Informationen zum Thema:

Gesundheitssendung CheckUp – „Operationsplanung dank 3D-Modell“ mit Dr. med. Uwe H. Bierbach der Hirslanden Klinik Permanence in Bern: Auch hier kommt der 3D-Druck zum Einsatz. Bei dieser Methode wird ein individuelles Modell des Kniegelenks hergestellt, um danach anhand einer passgenauen Schablone die Operation präzis durchführen zu können.